Sonntag, 1. Juli 2012

Die Schicksalsgläubigkeit des Adolf Hitler (Teil 3: 1934 - 1940)

Ab sofort gibt es diese Blogartikel-Serie ---> als Buch (430 Seiten für 15 Euro plus Versandkosten). Ende 2014 wird eine deutlich überarbeitete und erweiterte Version dieses Buches erscheinen.
Teil 3: 1934 - 1940 

Aufsatz in fünf Teilen: 1. Teil (1908 - 1925); 2. Teil (1927 - 1933); 3. Teil (1934 - 1940); 4. Teil (1941 - 1945); 5. Teil (Schluß, Anhang, Literatur)

2. Mai 1933 - Prinz August Wilhelm, Goebbels und Hitler im Kloster Lehnin 

Der von den Nationalsozialisten verfolgte expressionistische Schriftsteller Fritz von Unruh (1885 - 1970), der als Kadett im Kaiserreich zusammen mit zwei Hohenzollernprinzen die Schulbank gedrückt hatte, beschrieb in seinem 1944 im Exil vollendeten autorbiographischen Roman "Der nie verlor!", wie er 1940 im von den Deutschen besetzten Paris noch einmal dem zu den Nationalsozialisten übergetretenen Hohenzollernprinz August Wilhelm (1887-1949), genannt "Auwi", seinem früheren Schulfreund, begegnet sei. Offenbar hat - laut von Unruh - auch Rudolf Heß von dieser Begegnung gewußt. Und bei dieser Gelegenheit habe ihm sein früherer Schulfreund erzählt (S. 243f):

"Ja, mein teurer Uhle (= von Unruh), ich war es doch, der diesen schimmerlosen Patrioten (= Adolf Hitler) 1933, an einem Frühlingstag, durch die blühende Mark Brandenburg hinausfuhr bis zu dem alten Kloster Chorin. Dort habe ich ihm in der Bibliothek eine Weissagung aus dem 11. Jahrhundert vorgelesen, derzufolge derjenige Herr von Europa sein würde, der die schwarze Pest der Judenrevolutionäre ausrottet. - Was hätte denn dieser Anstreicher mit seinem ursprünglich doch rein instinktiven Ekel gegen die Juden angefangen, wenn nicht ich ihm die historische Berechtigung gegen die Zersetzer aller nationalen Belange aufgezeigt hätte? Da erstaunst du? - Hinterher, da fuhren wir auf einem Kahn auf den märkischen See. Träumerisch sah dieser ehemalige Gefreite dem von den Rudern tropfenden Wassergeglitzer nach und lauschte mit sämtlichen Ohren, als ich zu ihm sprach: ,Die Vorsehung — Adolf Hitler! -, hat Sie auserwählt, um die korrupten Gedankengänge, die uns erst von der französischen, dann von der bolschewistischen Revolution in das germanische Denken hereingeschmuggelt worden sind, wieder zu vernichten. (...)' Weit her vom Ufer sangen da mit einmal Ausflügler laut:
'Es liegt eine Krone im grünen Rhein,
Verzaubert von Gold und von Edelstein ...
Und wer sie erhebt vom tiefen Grund,
Den krönt man in Aachen zur selbigen Stund!'
(...) Durch ein paar auffliegende Fischreiher erschreckt, richtete er sich hoch. (...) Hob den rechten Arm und (...) und dann kreischte er: 'Deutschland, Deutschland über alles!'"

Auf der Rückfahrt habe Hitler ihm die Kaiserkrone in näherer oder fernerer Zukunft in Aussicht gestellt, und Prinz August Wilhelm habe dieselbe für seinen Sohn angenommen. Der Bericht offenbar, daß sich Fritz von Unruh mit der europäischen Prophezeiungsliteratur nicht so gut auskannte. Denn er verwechselt hier klar das Kloster Lehnin mit dem Kloster Chorin. Der Wahrheitskern dieses Berichtes wird aber nur allzu deutlich durch andere Veröffentlichungen, sogar des Jahres 1933 über den Prinzen August Wilhelm selbst, bestätigt (1933, S. 115) (Google Bücher Ausschnitt):

... Wilhelm eine besondere Freude, dem Führer in Lehnin das alte Zisterzienser-Kloster zu zeigen, in dem die Lehninsche Weissagung entstanden sein soll, und das Kaiser Wilhelm nach den alten Plänen hat erneuern lassen, um es vor dem Verfall zu bewahren. Die Geschichte hat den Schleier von dieser ...

Offenbar wird ausgeführt, daß die Machtergreifung eine Bestätigung der Lehninschen Weissagungen sei. Dieses Buch wäre noch einmal herauszusuchen, um dieses Zitat zu vervollständigen. Von diesem Besuch im Kloster Lehnin gibt es aber auch noch andere Berichte, in denen sogar das Anstimmen des Liedes "Deutschland, Deutschland über alles" erwähnt wird (Ernst Klee: Die SA Jesu Christi. Die Kirche im Banne Hitlers, 1989, 2007, S. 12f) (Google Bücher Ausschnitt) (auch auf Humanist.de):

Frohe Botschaft verbreitet sich am 2. Mai 1933 unter den Diakonissen des Luise-Henriettenstiftes in Lehnin in der Mark Brandenburg:
"Der Reichskanzler Hitler ist da und besichtigt eben die Kirche."
In Hitlers Begleitung befinden sich Joseph Goebbels und Prinz August Wilhelm von Preußen, ein Sohn Wilhelms II. und ein Verehrer des Reichskanzlers, der ihm dafür ehrenhalber die NSDAP-Mitgliedsnummer 24 verliehen hat.
Die Oberin der Lehniner Diakonissen: "Es war ein feierlicher Augenblick, als der Kanzler und Prinz August Wilhelm die Schwesternschaft leuchtenden Auges anschauten, und wir sie mit 'Heil!' begrüßen konnten. Alle Schwestern wurden vorgestellt und vom Reichskanzler mit Handschlag begrüßt. Die von den Schwestern ausgesprochene Bitte, die Herren mit den Schwestern fotografieren zu dürfen, wurde gern und freudig gewährt. Der Reichskanzler wählte selbst den Platz an der Sonne und führte uns vor den Pfeiler des Kreuzgangs in der Klausur." (...)
Die Herren verabschieden sich mit einem kräftigen Händedruck. Die Diakonissen stimmen "Deutschland, Deutschland über alles" an. Die Oberin:
"Vor der Kirche warteten die begeisterten Einwohner Lehnins und grüßten ihren Reichskanzler mit immer wiederholten 'Heil'-Rufen. Schwester Ilse Schrader drängte sich noch im letzten Augenblick durch die Menge, durch welche ihr ein Herr der Begleitung Bahn brach, und bat den Reichskanzler in unser Gästebuch einzuschreiben. Sein frohes, zuversichtliches Wort:
Es wird die Zeit kommen,
die Millionen Deutsche ersehnen.
Adolf Hitler.
steht im tiefsten Einklang zu der ruhevollen, starken Persönlichkeit und hat unser Vertrauen zum Reichskanzler noch mehr gefestigt." 

Eine andere, vielleicht doch etwas zu süßliche-christliche und darum nicht ganz glaubwürdige Erzählung berichtet aber auch von enthusiastischen Diakonissinnen im Kloster Chorin - vielleicht wiederum eine Verwechslung? - (Humanist.de):

"Kennen Sie die folgende, so bezeichnende kleine Begebenheit? Hitler trifft in der Nähe des Klosters Chorin eine Diakonisse und diese fragt ihn: 'Herr Reichskanzler, woher nehmen Sie nur die Kraft für Ihr schweres Werk?' Da zieht er ein Neues Testament aus seiner Rocktasche und sagt: 'Hier, Schwester!'"

Na, ein Adolf Hitler, der das Neue Testament mit sich herumträgt, davon hat man bislang noch nichts gehört. Ob Hitler zu jener Zeit so dick sein "positives Christentum" betont hat?

Zu bemerken ist jedenfalls noch, daß das Kloster Lehnin 70 Kilometer südwestlich von Berlin (und 30 Kilometer südöstlich der Stadt Brandenburg) liegt und daß das Kloster Chorin 70 Kilometer nordöstlich der Stadt Berlin liegt (11 Kilometer nordöstlich der Stadt Eberswalde). Es gibt zwar eine berühmte Lehnin'sche Weissagung, die wohl auch Heinrich Himmler gut kannte (erwähnt in Gesprächen mit Wilhelm Wulff?), es gibt aber keine Weissagung, die im Zusammenhang mit dem Kloster Chorin steht. Sehr auffällig ist, daß an diesem 2. Mai 1933 auch Joseph Goebbels dabei ist, der noch im Mai 1945 mit Adolf Hitler verschiedene Horoskopdeutungen durchdiskutieren wird (siehe unten).

Am 1. Mai 1933 war Tag der Arbeit. Am 2. Mai 1933 sind die Gewerkschaften zerschlagen worden. Goebbels selbst schreibt am 2. Mai 1933 in seinem Tagebuch über den 1. Mai 1933 (S. 416) (Google Bücher Ausschnitte):

Bei Hitler zu Hause. Er ist restlos glücklich. Arbeit Ministerium. Tempelhofer Feld. Tolles Gewimmel. Ich empfange die Arbeiter aus dem Reich. Welch eine Freude! Man kommt nicht mehr durch. Bei Hitler Mittag. Alles hingerissen. Empfang bei Hindenburg. Der Alte sehr nett zu mir. Hat Harald ein Rad geschickt. Der Empfang erschütternd. Er macht es sehr gut. Die Arbeiter bei ...

Und am 3. Mai schreibt er über den 2. Mai:

Gestern: Presse fabelhaft. Alles voller Lob für mich. War auch Ehrentag. Büro alles voll von Glückwünschen. Ich bin so froh. Oberst Nicolai hält mir Vortrag. Sehr klar und bestimmt. Den hol ich mir. Gewerkschaften wie verabredet planmäßig besetzt. Kein Zwischenfall. Bonzen verhaftet. Das geht wie am Schnürchen. Bei Hitler. Stimmung. Die Revolution geht weiter. Ausfahrt nach Lehnin. Klöster und Säuglingsheim. Die Leute sind toll vor Begeisterung. Im Walde Picknick. Dann heim. Den ganzen Abend mit Magda bei Hitler. Gute Presse. Gewerkschaftler werden weiter gefeuert. Die Bonzen kapitulieren. Wir sind die Herren von Deutschland.

Der Bedeutung der "Lehninschen Weissagung" für allgemeinere politische Entwicklungen ist sich Hitlers Weggefährte des Jahres 1923, der nachmalige Okkultismus- und Hintergrundpolitikkritier Erich Ludendorff, wie er 1937 veröffentlichte, schon im Januar 1923 bewußt geworden (siehe 5. Teil dieser Beitragsreihe).

21. Mai 1933 - Rudolf Heß beauftragt den Logen-Hellseher und Hanussen-Konkurrent Max Moecke, eine "Hochschule für Okkultismus" zu gründen 

Nach so viel augenscheinlichen Erfolgen, wie sie der NS-Bewegung durch Hellseher und Astrologen vorausgesagt, ja, in den Augen von Rudolf Heß womöglich sogar gebahnt worden waren, war es nur folgerichtig, daß dieser Rudolf Heß, der Stellvertreter des Führers, noch im Jahr 1933 beim Wissenschaftsministerium zwölf Millionen Reichsmark für die Gründung eines "Zentralinstituts für Okkultismus" beantragte (1, S. 136). Aufälligerweise hatte Eric Jan Hanussen auch ein solches Institut gründen wollen (Kugel).

Schrift von 1930

Über offenbar damit in engem Zusammenhang stehende Vorgänge brachte der völkische Okkultismus-Kritiker Erich Ludendorff in seiner Wochenzeitung "Ludendorffs Volkswarte" in der Folge vom 21. Mai 1933 die folgende Meldung:

Wir lesen in der 14tägig erscheinenden Zeitung "Erfolg", Folge 6 Seite 3 vom 15.4.33, Herausgeber Max Moecke (Occultist), Erscheinungsort Berlin:

"Zum Reichs-Kommissar für Okkultismus
wurde Max Moecke ernannt. Ihm obliegt die Bereinigung des okkultistischen Gebietes, die Einrichtung einer Aufklärungs- und Vortrags-Stelle beim Deutschlandsender und die Grundlegung wie Durchführung der Deutschen Hochschule für Okkultismus in den Räumen des Berliner Film-Seminars."

Wir fragen den Reichskanzler, ist das wirklich wahr? Soll der Occultismus in unserem armen Volk noch gefördert werden? Wir haben keine "Vereinigung" des Occultismus nötig, wir wollen keine Hochschule für Occultismus haben, sondern wir wollen Vernichtung des Occultismus mit Stumpf und Stiel. Hat der neue Kommissar nicht schon bewirkt, daß unser Flugblatt "Das Wunder an der Marne" verboten worden ist? Das wäre ein ungemein ernster Vorgang.

Um so dringender ist die Aufklärung über die occulte Pest und die Verbreitung des Buches "Induciertes  Irresein durch Occultlehren" von Frau Dr. Mathilde Ludendorff. Jeder freie Deutsche hat sich das angelegen sein lassen.

In dem Flugblatt "Wunder an der Marne" wurde auf die okkulten Berater des deutschen Generalstabschefs von Moltke im Jahr 1914 hingewiesen, nämlich Rudolf Steiner und das "Medium" Lisbeth Seidler, die damals in der Presse aus Anlaß des Todes der Seidler behandelt wurden, und deren Beratung zu dem widersinnigen Rückzugsbefehl an die siegenden deutschen Truppen an der Marne geführt hätten. Daß dieses Flugblatt gleich beim Machtantritt der Nationalsozialisten verboten worden ist und auch in der weiteren Zeit die öffentliche Erörterungen dieser Zusammenhänge staatlicherseits immer wieder Beschränkungen auferlegt wurde, wie aus dem Schrifttum der damaligen Ludendorff-Bewegung hervorgeht, macht natürlich viel Sinn von Seiten einer Regierung, die unter ähnlichen Einflüssen stand wie der deutsche Generalstabschef von 1914 und dessen Frau, und der ähnliche okkulte Prognosen gestellt worden sind wie dem General von Moltke lange vor 1914 und dann erst recht im Jahr 1914 selbst.

Eine Biographie und ein Wikipedia-Artikel zu dem Hellseher Max Moecke (gest. 1941) scheinen derzeit nun noch auszustehen. Ob der Historiker der Kriminaltelepathie Uwe Schellinger (IGGP, Freiburg) etwas über Moecke veröffentlicht hat, ist derzeit noch nicht zu übersehen. In Buch-Anzeigen heißt es über Moecke (Lulu):

Max Moecke war in den 20ern ein gerichtlich anerkannter Hellseher, von dessen Fähigkeiten selbst Dr. Georg Lomer überzeugt war! Selbst die Zeitschriften aus diesem Jahrzehnt berichten und rühmen von seinen Fähigkeiten. Moecke schrieb selbst einige Bücher, in denen er genau das Erlernen der Hellsehfähigkeit beschreibt, ja es trägt sogar hermetische Züge, weil er einer der wenigen ist, die schreiben, daß ohne seelisch, moralische Grundschulung eine Ausbildung dieser Fähigkeit unmöglich ist. Aber diese beiden Bücher will ich nicht hervorheben, denn die Ausbildung im "Weg zum wahren Adepten" von Bardon übertrifft sie dennoch.

In der "Zeitschrift für Parapsychologie", in der viele Mitglieder der "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" schrieben, die auch die "Leistungen" von Eric Jan Hanussen "streng wissenschaftlich" überprüft hatten und priesen (siehe unten), wird der Hellseher Moecke 1930 eine "außerordentliche hellseherische Begabung" genannt. In einer 1930 veröffentlichten Schrift nennt sich Moecke den "ersten akademischen Hellseher". Moecke hat den indischen Yoga praktiziert und dementsprechend ist in anderen Titeln seiner Schriften von 1930 und 1932 ist von einer "Indischen Loge" die Rede, bzw. sind sie einer "Weißen Loge" gewidmet.

Damit wird einmal erneut die enge Verflechtung zwischen Okkultismus, Hellseherei und Logen bestätigt, die viele Autoren und privat zugesandte Leserkommentare dieses Blogs immer noch gar so auffällig (!) unbeachtet lassen und in Bausch und Bogen negieren, obwohl sie doch ganz und gar unübersehbar ist und nun wirklich mehr als naheliegend ist. An anderer Stelle ist ist über den indischen Logen-Hellseher Moecke zu erfahren:

Der Parapsychologe und Hellseher Moecke wurde während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ist am 22. Juli 1941 im KZ-Lager Buchenwald umgekommen.

In allen Biographien des Hellsehers Eric Jan Hanussen wird Moecke deshalb  behandelt, weil er in Berlin der langjährige große "Konkurrent" des am 24. März 1933 ermordeten Hanussen gewesen ist. Der Nationalsozialist Hanussen hat den Sozialdemokraten Moecke durch einen ihm ergebenen, weil von ihm finanzierten, SA-Sturm im "Cafe Größenwahn" verprügeln lassen. Diesen Vorgang  hat auch Heinrich Mann literarisch ausgewertet. Moecke wurde von Erich Juhn "gemanagt", der zuvor der Sekretär Hanussens gewesen war und diesen "gemanagt" hatte. Es entsteht der Eindruck, als ob in diesen beiden Hellsehern aus Indien stammende östliche Esoterik (Moecke) mit aus dem jüdischen Bereich stammender westlicher Esoterik gerungen hätte. Hanussen-Biograph Kugel vermutet eine langjährige, systematisch betriebene Intrigenarbeit gegen Hanussen von einer Gegenseite aus, die schließlich auch zum Bekanntwerden seiner jüdischen Herkunft und (damit) wenig später zu seiner Ermordung geführt hätte.

"Hellseher Max Moecke, der in der Hochschule der Okkultisten seine Fähigkeiten vorführte, die er auf die Yogapraxis zurückführte" (Umschlagbild einer Buchneuerscheinung von 2011)

Möglicherweise finden sich Hinweise auf weitere Zusammenhänge in der Buchneuerscheinung von Mathias Tietke mit dem Titel "Yoga im Nationalsozialismus" (2011), denn der Umschlag des Buches

zeigt Hellseher Max Moecke, der in der Hochschule der Okkultisten seine Fähigkeiten vorführte, die er auf die Yogapraxis zurückführte.

Aber diese von Rudolf Heß und seinem okkulten Beraterkreis offenbar für Max Moecke beantragte Hochschule wurde vom Wissenschaftsministerium abgelehnt, auch, nachdem Heß noch einmal bei Wissenschaftsminister Rust persönlich interveniert hatte. Womöglich wurden die okkultismus-kritischen Stellungnahmen innerhalb der völkischen Bewegung als zu stark empfunden, als daß man dies genehmigen wollte.  Interessanterweise ließ man die Sache nämlich dann auf sich beruhren und setzte es nicht mit einen direkten "Führerbefehl" um, wie Heß und sein Beraterkreis das in anderen Fällen taten, wenn es um die Förderung des Okkultismus ging (siehe unten). 

Man arbeitete eben stattdessen einfach wie bisher weiter in den Astro-Abteilungen innerhalb der NSDAP, in den verschiedenen Ministerien und baute sie personell zügig aus wie schon eingangs angedeutet. Die dahinter stehenden ariosophischen Logen, die "Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" und die damit verbundenen Netzwerke konnten ja ebenfalls lange weiterarbeiten, zumeist zumindest bis 1941, aber wohl eher sogar bis Kriegsende, oft sogar innerhalb der Konzentrationslager (siehe unten).

1933 - Heß bekommt einen neuen Astrologen aus Lettland - Sergei Vronsky

Im Jahr 1933 kam auch der aus einer polnisch-russischen Adelsfamilie stammende 18-jährige, "begabte" Astrologe Sergei Vronsky (geb. 1915) aus Lettland nach Berlin, um hier Medizin zu studieren. Auf ihn sind wir von einem Leser dieses Blogs hingewiesen worden. Und über ihn gibt es einen Bericht aus dem Jahr 2007 (lt. Eduard Kovalev Magazin "Top Secret", 2007). Laut diesem Bericht war Vronsky im Jahr 1917 nach Paris gebracht worden, nachdem seine gesamte Familie von den Bolschewisten ermordet worden war. Weiter heißt es (Hervorhebung nicht im Original):

Die Großmutter von Sergey stammte aus der alten fürstlich-montenegrinischen Familie der Nenadichi-Negosch, einer Familie von erblichen Heilern und Hellsehern. Das hat das Schicksal des Lieblingsenkels vorbestimmt: die Fürstin Negosch hatte nicht nur eine ausgezeichnete Ausbildung in Deutschland und Frankreich erhalten, sondern sie beschäftigte sich auch ernstlich mit okkulten Wissenschaften – Astrologie, Chiromantie, Magie. Und alles, was sie selbst tun konnte, gab sie Sergey weiter, der sich schon im Alter von sieben Jahren an die Aufstellung der Horoskope für Schulfreunde und Lehrer gewöhnte. Bei ihm zeigte sich früh die Begabung für Hypnose, Psychotherapie, er begeisterte sich für Spiritismus und Magie. Sergey studierte dann in Riga am russischen Privatgymnasium Miller. (...)
Nachdem entschieden war, daß Sergey zum Studium nach Deutschland geschickt werden sollte, gab ihm eine Bekannte seiner Familie einen Empfehlungsbrief an den wichtigen Nazifunktionär Johann Koch (- ? Erich Koch?). Bei ihm lernte Vronsky Rudolf Hess kennen, der als Hobby Mystik betrieb. Nach einer Reihe von verwirklichten Weissagungen Vronsky's begann Hess dem neuen Bekannten bedingungslos zu vertrauen. „Wir befreundeten uns in der Astrologie, – erzählte Sergey über ihre Beziehungen, – und Hess ist mein erster Schüler geworden. Er erwies sich in der Erkenntnis dieser Wissenschaft als sehr begabt, ihn störte aber großes Selbstbewusstsein. Durch den Verkehr mit ihm begann ich richtig meine Begabung der Hypnose und Suggestion zu verwenden. Ich muß sagen, daß er sich gut dem beeinflussen ließ. Zuerst drang ich in den Kreis seiner Freunde und Arbeitskollegen ein. Als ich „zum Hof“ zugelassen wurde, von dem die Fremden möglichst ferngehalten wurden, halfen mir meine Intuition und Fertigkeiten, Habsüchtige und Karrierespiele unter den Vertrauten von Hess, ihre entstehenden Verbindungen und Gruppierungen zu erraten. Ich gab die Ratschläge, wie man sich wem gegenüber verhalten sollte, vor wem man sich zu hüten hätte, wer heranzuziehen wäre. Er horchte sehr auf diese Ratschläge, da ich gewöhnlich das Rechte traf.“ 

1933 - Ein Tibetmönch als Hitlers Astrologe? - "Der Mann mit den grünen Handschuhen"

Dumm nur, daß dieser nette Student - wieder einmal - wahrscheinlich für einen ausländischen Geheimdienst gearbeitet hat. Diesmal für den sowjetischen. Das ganze liest sich in der gleichen Veröffentlichung von Eduard Kovalev im Jahr 2007 folgendermaßen (lt. Eduard Kovalev Magazin "Top Secret", 2007):

Nach seiner Ankunft im Jahr 1933 wurde Sergey an die medizinische Fakultät der Universität Berlin immatrikuliert. Der Student aus Lettland zeigte bald ausschließliche Begabung für unkonventionelle Behandlungsmethoden: er stellt Diagnosen mit zugebundenen Augen, prophezeite den Krankheitsverlauf, behandelt ärztlich durch das Handauflegen. Bald wurde der Junge, ohne daß seine Zustimmung eingeholt worden wäre, in das von den Nazis gegründete geschlossene bioradiologische Institut versetzt, das „Lehranstalt Nr. 25“ genannt wurde. Von 300 Bewerbern aufs Studium wurden nur zehn ausgewählt. Für jeden wurde ein detailliertes Horoskop aufgestellt. In der am meisten privilegierten geheimen Wissenschafts- und Lehranstalt des Reiches war beabsichtigt, die Spezialisten mit übernatürlicher Begabung zur Beratung der Hitlerspitze auszubilden.

Es wäre noch zu recherchieren, ob sich noch weitere Angaben über dieses Reichsinstitut finden. Womöglich handelt es sich um jene "Hochschule für Okkultismus", die dann eben doch - nur in anderer Form - verwirklicht worden ist? Es wird jedenfalls weiter berichtet (Hervorhebungen nicht im Original):

Außer den konventionellen medizinischen Disziplinen wurden den Studenten Vorlesungen in der Psychotherapie, Hypnose und Beschwörerei gehalten. Mit ihnen beschäftigten sich tibetische Lamas, indische Yogis, chinesische Nadelinternisten. Zur Praxis machten sie Reisen nach Afrika, Indien, Amerika und Spanien. Die Institutverwaltung förderte auch ziemlich nicht abnorme „sachliche“ Initiativen der Studenten. Sergey jobte zum Beispiel in den Sommerferien als Pilot-Söldner und nahm am Bolivien-Paraquay- und dann am italienisch-abessinischen Krieg teil. Einmal während der Praxis bekam der begabte Russe eine ungewöhnliche Aufgabe. Aus einer Zahl der Strafgefangenen wurden für ihn 20 deutsche Kommunisten und Mitglieder ihrer Familien, die an verschiedenen Formen der Geschwulstkrankheiten litten, ausgewählt. Es wurde versprochen alle, die von ihm geheilt würden, freizulassen. Vronsky ist es damals gelungen, sechzehn Menschen, darunter vier Kinder, zu retten.
- Wie auch immer! Weiter:
Die Herrscher von Nazideutschland interessierten sich sehr für Astrologie, alle wollten in die Geheimnisse des eigenen Schicksals dringen, ihre Macht festigen. Im Jahr 1935 proklamierte Hitler sie sogar zur  „Reichswissenschaft“.
Womöglich ist hiermit sein Telegramm an den Astrologenkongreß gemeint (siehe unten).Womit diesem Telegramm allerdings noch eine viel weitere Bedeutung gegeben würde, als bislang bekannt! Weiter:
Er (Hitler) verhielt sich sehr ernst gegenüber Weissagungen und Horoskopen – im Jugendalter sagte ihm eine Zigeunerin eine große Zukunft voraus. Und der bekannte Astrologe Sebottendorff mahnte ihn wegen der Möglichkeit des Mißerfolges des von Hitler organisierten "Novemberbierputsches" im Jahr 1923, nach dem Adolf Hitler ins Gefängnis geriet. 
Und deswegen entschied er von nun an, nie mehr etwas zu riskieren. Nach dem Machtantritt hielt er bei sich ständig einen Tibetmönch, der „Mensch in grünen Handschuhen“ genannt wurde. Keine kriegs- oder Staatsaktion im „dritten Reich“ wurde durchgeführt, ohne sich zuvor mit ihm zu beraten.
Womöglich stand dieser Tibetmönch in Zusammenhang mit dem Magier Gurdjew, der ja ebenfalls Verbindung nach Tibet hatte. Weiter heißt es:
Deshalb ist es klar, daß im faschistischen Deutschland auf die Absolventen des bioradiologischen Instituts – Spezialisten in der Astrologie und Wunderheilung - eine tolle Karriere wartete. Vronsky beendete erfolgreich und vor der Zeit das Studienjahr. Und eines schönen Tages wurde er zum Kabinett des Rektors geladen. Dort haben auf ihn die Unbekannten in Wehrmachtsuniform gewartet. – "Sie haben die Lehrer durch ihre Erfolge im Studium überrascht," sagten sie Sergey, "wir sind auch mit ihnen zufrieden und denken, daß es in ihrem Interesse ist, ihre Kenntnisse und ihr Leben dem Nutzen des Führers und Großdeutschlands zu Verfügung zu stellen." Die Nazis, die Vronsky „angeworben hatten“, konnten sich offenbar sogar in ihren schrecklichsten Träumen nicht vorstellen, daß Sergey schon im September 1933 in die kommunistische Partei Deutschlands eingetreten war,
- also in eine Untergrundpartei! -
und daß er vielleicht schon damals begann, für den sowjetischen Geheimdienst zu arbeiten – ungeachtet dessen, was die Roten mit seiner Familie getan hatten. Ohne diese Zusammenarbeit offen zu bestätigen erinnerte sich Sergey Alekseyevich später: „in diesen schrecklichen Jahren war ich nicht nur Student, sondern auch Illegaler. Seit 1938 war ich einige Male heimlich in der Sowjetunion... Ich habe aber noch kein Recht darüber zu sprechen“. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Gründe einer solchen Wende in seinem Schicksal in seinen Jugendjahren zu suchen sind – einen ernsten Einfluß auf ihn konnte die Freundschaft mit Vilis Lazis, dem künftigen sowjetischen Schriftsteller und einer wichtigen kommunistischer Persönlichkeit, ausüben.

Es wird noch von zahlreichen anderen Astrologen im Umfeld der NS-Spitze zu berichten sein, die in Kontakten zu ausländischen Geheimdiensten standen (Wilhelm Wulff, Karl Ernst Krafft und andere mehr).

1933 - Eva Braun beim Wahrsager Vronsky

Eva Braun arbeitete bei Hitlers Fotografen Heinrich Hoffmann. Auf Wikipedia heißt es über sie:

Dort lernte sie 1929 mit 17 Jahren Adolf Hitler kennen und wurde von ihm in den folgenden Jahren immer wieder zum Essen oder zu einem Getränk eingeladen sowie ins Kino ausgeführt. Nach dem Suizid von Hitlers Nichte Geli Raubal (18. 9. 1931) intensivierte sich ab 1932 der Kontakt zwischen Braun und Hitler, der 23 Jahre älter als sie war.
Und Eduard Kovalev berichtet über die Bekanntschaft zwischen Vronsky und Eva Braun, wie sie sich ja nur in den Jahren 1933 oder 1934 abgespielt haben kann (lt. Eduard Kovalev Magazin "Top Secret", 2007):
... Bei einem nächstem Treffen teilte Vronsky dem niedlichen Mädchen mit, daß eine außerordentliche Zukunft auf sie warten würde fügte hinzu: „Und dieser ihr Aufschwung wird dank der Heirat geschehen“. Eva lachte nur zur Antwort auf. Aber einmal sah Hitler Eva, verliebte sich sofort in sie und bat sie dann, seine Erwählte zu sein. Hess rief gleich Vronsky an und sagte: „Deine Worte haben sich genau erfüllt“. Ab diesem Zeitpunkt gewann der russische Graf endgültig das Vertrauen von Hess und begann durch das Biofeld die obersten Nazibeamten und sogar Hitler, der an Magen-Darm-Störungen und Geistesstörungen litt, zu behandeln.

An späterer Stelle weiter unten wird sein weiteres Wirken entsprechend dem Bericht von Kovalev weiterverfolgt werden.

"Die Zeitschrift für Parapsychologie" in den Jahren 1933/34

Die "Zeitschrift für Parapsychologie" ist im persönlichen Umfeld zumindest von Heinrich Himmler und Rudolf Heß sicherlich eifrig studiert worden, wenn nicht auch im Umfeld von Adolf Hitler. Ihre Inhalte waren solche, denen diese Personenkreise nicht von vornherein mit strikter Ablehnung gegenüberstanden. Um so mehr kann man sich diese Zeitschrift daraufhin ansehen, welcher Art die Ansichten und Meinungen waren, die von solchen Zeitschriften wie dieser damals auf die NS-Führung Einfluß genommen haben. 

In der April-Folge des Jahres 1933 (S. 190f) erscheint eine Rezension des "Der Joga als Heilsweg" von J. W. Hauer. Eingangs wird rhetorisch gefragt, was der nach Lebenssinn Suchende tun kann:

Wird er versuchen, die Diktatur des Proletariats zu verwirklichen oder wird er in den Schoß irgendeiner Kirche flüchten oder wird er seinen Willen und seine Wünsche bemeistern, das Leben beherrschen und damit die Erlösung verwirklichen?! (...) Hauer sagt: "(...) Vielmehr kündigt das Interesse für den Joga Zeitwende an."
In der Mai-Folge 1933 schreibt Sünner (S. 238f):
Hellseher Hanussen ermordet.
Es wird berichtet, das Publikum habe immer häufiger seine "Tricks" durchschaut, so daß er sich zum Schluß gar nicht mehr auf die Bühne der Berliner Scala getraut habe. Und zum Schluß heißt es:
Fürwahr, ein Mensch mit gewiß hohen Fähigkeiten, Willenskraft, erstaunlichem Gedächtnis und hoher Kombinationsgabe hat die Zeichen seiner Zeit, in der er lebte, zu nutzen verstanden, aber seine Hybris hat ihn schließlich selber ins Verderben gestürzt!

Was "Zeitwende" im April 1933 bedeutete, war jedem Leser klar. In der Folge 1 vom Januar 1934 erschient in der "Zeitschrift für Parapsychologie" (S. 45f, pdf) eine Buchbesprechung eines Prof. Johannes Kasnacich (Graz) der Broschüre "Ein Blick in die Zukunft 1934" der Elsbeth Ebertin (Hervorhebung nicht im Original):

Diese in Interessentenkreisen überaus beliebte Broschüre der bekannten Astrologin, Frau E. Ebertin, steht heeuer im zeichen des erwachten Deutschland. Im ersten Aufsatz "Was die Sterne künden", beschäftigt sich die Verfasserin mit den Horoskopen A. Hitlers und des Generals von Epp. Schon vor 10 Jahren hat Frau Ebertin den großen Aufstieg des Führers, den sie persönlich kennt, vorausprophezeit. Die "Reichenhaller Zeitung" vom 30. März 1933 hat in einem Artikel "Die Ereignisse von 1933 vor 10 Jahren prophezeit" bereits darauf hingewiesen. (...) Anläßlich des 300jährigen Todestages Wallensteins bespricht C. Schmitz das von Kepler aufgestellte Horoskop des großen Feldherrn. Von den beigegebenen bildern seien jene der Astrologen H. Freiherr von Klöckler und Freifrau Dr. von Veldegg, sowie ein Bildnis Wallensteins erwähnt.

In der gleichen Folge (S. 46) schreibt der Berliner Astrologe Emil Saenger eine Rezension über die zweite, vermehrte Auflage von "Sternenmächte und Mensch" seines Vorgängers im Vorsitz der Berliner "Akademischen Gesellschaft für astrologische Forschung" Friedrich Schwab, eines DGWO-Vorstandsmitgliedes, eines Schülers der Satanisten Hartmann und Rudolf Steiner (siehe unten). Sie ist voll überschwenglichen Lobes. In ihr heißt es unter anderem auch:

Den Abschluß bildet ein unter dem Eindruck der großen Zeitereignisse gehaltener Vortrag über "Sterne und Vaterland".

Emil Saenger sollte von seinem DGWO-Kollegen Kritzinger noch im November 1939 gegenüber Goebbels ins Gespräch gebracht werden mit einem von Saenger damals erstellten Horoskop über Daladier (siehe unten).


In der Folge 3 vom März 1934 bezeichnet Gerda Walther in einer Rezension von Friedrich Rittelmeyers "Rudolf Steiner als Führer zu neuem Christentum" dasselbe als ein "inhaltsreiches und anregendes Buch" (S. 143). Zur Kennzeichnung ein kurzes Zitat:

Die Naturliebe der alten Germanen lebt wieder auf. (...) In einem besonderen Kapitel über "Geist und Geister" wird gezeigt, wie die höheren, bei den Medien noch von früher her lebendigen Organe zur Erfassung des Jenseitigen wieder entwickelt werden können.

Die Rezension eines Theodor Ballauff behandelt L.F. Clauss' '"Rasse und Seele" (S. 144), das, soweit übersehbar, gar keine okkulten Inhalte hat. Der Verlag Oswald Mutze, Leipzig, der die Zeitschrift herausgibt, empfiehlt eine Seite weiter in der dritten Umschlagseite Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrhunderts" zum Kauf. In der nächsten Folge vom April 1934 heißt es (S. 185):

Unsere Mitarbeiterin, Frl. Dr. Gerda Walther, wurde durch den Tod ihrer Großmutter in Trauer versetzt.

Womöglich haben die Leser aus diesem Satz noch mehr herausgelesen, als ein wenig bewanderter "Laie". Und es wird die "Volksauflage" der Edda-Übersetzung von Rudolf John Gorsleben besprochen. Rezensent Kasnacich schreibt (S. 192):

Jetzt kann und soll die Edda zum geistigen Besitztum des ganzen deutschen Volkes werden. Wer aber diese herrliche Dichtung in ihren tiefsten Tiefen erfassen will, wird genötigt sein, das im gleichen Verlage erschienene Standardwerk Gorslebens "Die Hoch-Zeit der Menschheit", in welchem der allzu früh heimgegangene Forscher die Ergebnisse seienr zwanzigjährigen Forschungen (...) niedergelegt und mit dem Bekenntnismut des Eingeweihten, allen Spöttern zu Trotz und Hohn, die Ergebnisse der offiziellen Wissenschaft in all ihren Irrtümern aufgedeckt hat, als Kommentar zu Rate ziehen.

(Man kann sich den Kommentar kaum verkneifen, daß wer in dieses letzterwähnte Buch einmal einen Blick geworfen hat, nachspüren kann, daß diesem Herrn Gorsleben wahrhaftig "Bekenntnismut" "allen Spöttern zu Trotz und Hohn" eigen gewesen sein muß ...)

Im Mai 1934 schreibt Rezensent Kasnachich zu zwei Atlantis-Romanen eines E. Kiß und einer Atlantis-Studie eines Alexander Bessmertny unter anderem (S. 237f):

Das von den Okkultisten stets verfochtene und von der offiziellen Wissenschaft mit ihren stumpfen Waffen auf das heftigste bekämpfte Atlantisproblem ist nunmehr nach den tiefschürfenden Forschungen und Studien eines H. Wirth, R. J. Gorsleben, E. Dacque, E. Kiß u.v.a. zu einer Atlantistatsache geworden.
Und:
Besonderes Augenmerk wird der Hörbigerschen Weltraumeislehre, den neuesten Forschungen Prof. H. Wirths (...) zugewendet, desgleichen werden die Anschauungen der Theo- und Anthroposophen, der Okkultisten sowie mediumistische Offenbarungen (Frau Silbert) in den Untersuchungskomplex mit einbezogen.

Bekanntlich hat sich Hitler über die Weltraumeislehre Hörbigers noch während seiner Tischgespräche in den 1940er Jahren positiv ausgesprochen.

1934: "Der Saturnring Hitlers"

Der "schillernde" Hamburger Astrologe Wilhelm Wulff schreibt in seinem "Tierkreis und Hakenkreuz" geheimnisvoll und munkelnd über das Jahr 1934 (1968, S. 68):

Die schrecklichen Voraussagen, die ich für das Hitlerregime gemacht hatte, wurden nur allzu schnell Wirklichkeit. Auch meine Sterne standen damals sehr unvorteilhaft. Der Saturnring Hitlers hatte auch mich umspannt. Saturn durchwanderte mein "Berufsfeld", das X. Feld, unter denkbar disharmonischen Aspekten zum Radix-Mars und anderen Gestirnen meiner Geburtskonstellation. (...) Nach meinen Berechnungen mußte der Sommer 1934 besonders bös verlaufen. Ich hatte mich
- wieder einmal, na klar! -
nicht getäuscht. Die grausamen, von der Staatsführung organisierten Morde am 30. Juni 1934 (...) wurden für Rechtens erklärt.

Im Jahr 1934 irgendwann nach den Röhm-Morden will Wulff im Zusammenhang mit einer Affäre seines Freundes Herbert Volck von Reinhard Heydrich das erste mal vernommen worden sein (S. 74).

30. Juni 1934: Hans Bernd Gisevius erklärt die Psychotechniken astrologiegläubiger, satanistischer Okkultsekten Adolf Hitler gegenüber

Warum die Mord-Aktionen rund um den sogenannten "Röhm-Putsch" von 1934 überhaupt durchgeführt worden sind, ist was zumindest die psychologische Seite etwa Adolf Hitlers selbst betrifft bis heute nicht so recht klar geworden und hat von der Forschung bis heute nicht so recht gut motiviert werden können. Der relativ dicht in der Nähe der damals Handelnden und Entscheidenden sich bewegende "kritische" Zeitzeuge Hans Bernd Gisevius gibt sich in seinem Buch "Bis zum bitteren Ende" über Seiten hinweg - ähnlich wie beim Reichstagsbrand und den weiteren großen Eckdaten der Geschichte des Dritten Reiches - wirklich alle erdenkliche Mühe, die Geschehnisse was die damals Handelnden und Entscheidenden betrifft psychologisch ausgewogen zu deuten und zu motivieren. Auffallend ist, daß er was den 30. Juni 1934 betrifft, von einem Zögern auf Seiten Hitlers bis kurz vor dem 30. Juni 1934 selbst spricht, ja, von einer Unsicherheit darüber, ob Hitler tatsächlich in Wiessee persönlich wie schon länger zuvor geplant, die Morde durchführen (lassen) würde oder ob er nicht doch noch im letzten Augenblick sich mit Röhm versöhnen würde. Und zwar Zweifel, die bei dem von den Plänen Informierten noch am 30. Juni 1934 selbst vorgeherrscht hätten. Gisevius spricht erst von den vielen Meldungen über landes- und hochverräterische Pläne der in der Röhm-Aktion Ermordeten, die Hitler vorgelegt worden wären. Und er fährt dann fort (zit. n. 1980, S. 197; aber offenbar schon identisch so in der Ausgabe von 1954, S. 185, s.a. Google-Bücher-Ausschnitt) (Hervorhebungen nicht im Original):

Der rechte Zeitpunkt
Wichtiger freilich als jede Meldung ist der günstige Zeitpunkt, sie anzubringen. Zuweilen legt Hitler eine Anzeige auf Eis, nicht etwa, weil er sie nicht glaubt, sondern weil er sie noch nicht braucht. Von Röhms Homosexualität will er beispielsweise erst jetzt etwas wissen. Umgekehrt muß sich der Generaloberst von Fritsch weitere dreiundeinhalb Jahre gedulden, ehe ihn sein oberster Befehlshaber zu entlarven gedenkt. Auch für Görings Intrigen und Himmlers Spitzelberichte muß die Zeit erfüllt sein.
So ist es an diesem 30. Juni. Seine Geschichte ist die Geschichte des richtiggewählten Zeitpunktes. Röhm fällt, weil er seine Stunde verpaßt. Göring-Himmler gewinnen, weil sie im gegebenen Augenblick zur Stelle sind. Zu welchem gegebenen Augenblick? (...) Wo die Spannung unerträglich wird, wo Hitler nicht mehr aus noch ein weiß, wo er wirklich nur noch eines vermag, nämlich wild umsichzuschießen. Tausendfach entscheidender, als was diese beiden Verschwörer an hochverräterischen Komplotten erdichten, erweist sich ihre kluge Berechnung, daß Hitler in jenen Tagen, wo sie selber zum Schlage ausholen wollen, für ihre verlogene Putschgeschichte empfänglich ist.

Mit den gleichen Worten hätte von dem Englandflug von Rudolf Heß und der Entscheidung für diesen gesprochen werden können. Heß mußte letztlich selbst die Entscheidung treffen. Aber seine "Empfänglichkeit" dafür, diese Entscheidung genau zu diesem Zeitpunkt zu treffen, ist bei Heß durch die Astrologie vorbereitet worden, wie wir heute wissen (siehe unten). Aber warum sollte denn Hitler gerade am 30. Juni 1934 "empfänglich" sein? Gisevius (den man schon bei seiner einleitenden langatmigen Schilderung des Reichstagsbrandes von 1933 als eines "feurigen Naturereignisses" als einen um satanistisch-hintergrundpolitische Vorgänge bestens Informierten erahnt) gibt nun auf seine selbst gestellte Frage folgende aufschlußreiche Antwort:

Am 30. Juni soll Röhms Amtsentsetzung stattfinden. Hitler will sie persönlich vornehmen. Aber je näher die entscheidende Stunde heranrückt, desto qualvoller peinigt Himmler und Göring die Sorge nach dem Ausgang dieses Unternehmens. Der Tag fällt auf einen Sonnabend. Das ist günstig. Die beiden wissen genau, welche Rolle in Hitlers Berechnungen der Sonnabend spielt. Sicherlich haben sie in seinem Horoskop nachgespürt, vielleicht durch seinen Seni ihm einflüstern lassen, daß die Sterne an diesem Tage von einer besonderen Krise und von der Notwendigkeit einer besondern Entschlußkraft reden. Trotzdem wissen sie viel zu gut, wie dieser Launische auch anders kann. Es ist nicht das erste Mal, daß er umfiele.

Das ist im Grunde genommen dümmlich unterstellt. Denn von Wilhelm Wulff wissen wir, daß Himmler nicht der Mann war, der anderen von ihrem Seni etwas einflüstern läßt. Vielmehr hat er sich ja selbst ständig alles mögliche von seinem "Seni" Wulff einflüstern lassen! Und auch von Göring wird man das kaum annehen wollen. Nein, was hier von Gisevius als Überlegungen Himmler's und Göring's erörtert wird, unterstellt wird, wird man wohl eher als die Überlegungen in den Kreisen jener satanistischen Okkultlogen unterstellen dürfen und müssen, die doch naheliegendsterweise die eigentlich psychologisch Motivierenden dieser Röhm-Morde gewesen sind. Schließlich waren sie schon in den 1920er Jahren für die damals bedeutendsten politischen Morde und Fememorde verantwortlich (an Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Walter Rathenau, Matthias Erzberger - vgl. übrigens dementsprechend auch die "entgegengesetzten" Morde an so vielen Thule-Ordens-Mitgliedern in den Revolutionstagen in München). Bei diesen Morden, für die zuvor Todesurteile im Thule-Orden gesprochen wurden, handelt es sich also um politische Morde, die schlicht und einfach jene berühmt-berüchtigten "Logenmorde" darstellten, deren Existenz alle Welt seit Jahrzehnten als steile Behauptung von "Verschwörungstheoretikern" abzustreiten sich bemüht.

(Bezeichnend und hervorragend zu allem passend ist übrigens auch die Mitverstrickung des nachmaligen klerikal-faschistischen Franco-Freundes Wilhelm Canaris in diese Morde. Nichts ist naheliegender, als daß Canaris sich ebenfalls - wie sein astrologiegläubiger Kollege und Vorgänger Lohmann und wie seine zumeist astrologiegläubigen Konkurrenten und Nachfolger Himmler, Heydrich und Schellenberg - in der Sphäre internationaler satanistischer Okkultlogen bewegte, die sich gerne auch für gewisse zwölf Jahre ein "völkisches" Gewand umhängen konnten. Schließlich wird ja von Canaris auch mit viel Berechtigung vermutet, daß er Agent des britischen Geheimdienstes war und als solcher um das Wirken Bormanns, des Agenten des russischen Geheimdienstes wußte und es nur "kritisch" beäugte, ohne es jemals aufzudecken.)

Unter Berücksichtigung des Denkens und Handelns von solchen international vernetzten satanistischen Okkultlogen und Geheimdiensten erscheinen einem doch auch die Röhm-Morde erst psychologisch ausgewogen motiviert.  (Und indem wir dies niederschreiben kommt uns ein schöner, neuer, kurzer und knapper Titel für diese Beitragsreihe in den Sinn: "Okkultverblödung und Verbrechen - Die Geschichte des Dritten Reiches"). Wie Gisevius in seinen Worten schon anklingen läßt und wie sich die Geschehnisse auch sonst "anfühlen", kam es offenbar gar nicht darauf an, wer und welche Gruppen wen ermorden, sondern lediglich darauf, daß durch umfangreiche Morde in den Eliten überhaupt Angst und Schrecken und damit einhergehende Einschüchterung verbreitet wurden. Es sollte kein Zweifel über den Unrechtscharakter dieses totalitären Regimes auch in der öffentlichen Wahrnehmung, auch bei den Anhängern des Regimes selbst mehr bestehen. Denn viele dieser Anhänger wollte man ja zu weiteren Verbrechen anstacheln. (Etwa so wie "man" nur wenig später mit der "Verfassungsschützerin" und RAF-Terroristin Verena Becker und ihren Taten andere zu ähnlichen, weiteren Taten aufstacheln wollte - im Dienste nicht der deutschen Verfassung aber wohl doch der heutigen deutschen "Verfaßtheit".)

Diese einschüchternden Morde sind nicht im Wesentlichen die "Herrschaftstechnik" des - wie sich ja immer mehr erhärtet - okkultverblödeten Adolf Hitler (diese Okkultverblödetheit unterstellt hier jedenfalls auch Hans Bernd Gisevius), sondern es ist die (praktisch jahrtausendealte) Herrschaftstechnik satanistischer Okkultlogen überhaupt. Ebenso wie offenbar der Reichstagsbrand und alle anderen wesentlichen Eckpunkte der Geschichte des Dritten Reiches Ausdruck der Herrschaftstechnik derselben sind. Und dementsprechend ist Hitler - wie auch bei anderen Daten - jeweils vor allem "astrologisch" auf den "richtigen Zeitpunkt" seines Handelns vorbereitet worden, "empfänglich" gemacht worden für die (aus Logensicht) "richtigen" Entscheidungen und Handlungen seinerseits. (Man beachte beim Reichstagsbrand die psychologische Vorbereitung vieler Beteiligter durch Hanussen.) Es seien die von Gisevius Himmler und Göring in diesem Zusammenhang unterstellten Erwägungen noch vollständig wiedergegeben (S. 197f) (Hervorhebung nicht im Original):

Was aber, wenn die Szene im bayrischen Bergland nun damit endete, daß Hitler nicht handelt, sondern nur redet? Erfahrungsgemäß reagiert Hitler seine Impulsivitäten beim Reden ab. Menschlichem Ermessen nach versandet dann das Strafgericht in einer rührseligen Versöhnung. (...) Weil es diesmal ums Ganze geht und weil die beiden Staatsstreichler (Göring und Himmler) Hitler keine letzte Standfestigkeit zutrauen, darum übertrumpfen sie an jenem 29. abends alle ihre Berichte - und machen aus ihrer eigenen Verschwörung den Röhmputsch. Sie berichten etwas, was dem Kanzler keine Zeit mehr zum Überlegen, erst recht keine Möglichkeit mehr zum Verhandeln läßt. Kurzerhand lassen sie in ihren Meldungen die SA in Berlin und München aufmarschieren.

Und diese teuflische Rechnung geht auf. Ihre letzten "dringendsten" Nachrichten stoßen den schwankenden Hitler in die Entscheidung hinein.

Wird der Röhmputsch gedeutet als Verschwörung astrologiegläubiger satanistischer Okkultlogen "gegen" einen zögernden und schwankenden Hitler bekommen alle damit zusammenhängenden Geschehnisse erst ihre ausgewogene in sich nicht mehr widersprüchliche, "stimmige" psychologische Motivierung. Und es kommt einem in den Sinn: Waren etwa auch die Ereignisse rund um den 9. November 1923 deshalb für die Hellseherin Elsbeth Ebertin und (womöglich) für den Astrologen Rudolf von Sebottendorff und andere so gut "voraussehbar", weil auch hier Hitler zuvor von astrologieverblödeten Okkultlogen für diesen "empfänglich" gemacht worden war, unter anderem mit sich selbst erfüllenden Prophezeiuungen? Am 9. November 1923 wurden ja in jedem Fall "Schwankende" "in die Entscheidung hineingestoßen", wenn auch die Herren Kahr, Lossow und Seißer (ebenso wie Ludendorff) durch Hitler - warum also soll nicht auch der "schwankende" Hitler selbst damals durch irgendwelche "Meldungen, die keine Zeit zum Überlegen und Verhandeln" mehr gelassen haben, "in die Entscheidung hineingestoßen" worden sein?

Es paßt dies auch wieder einmal psychologisch gut zu der eingangs erläuterten Freimaurer-Komödie "Zauberflöte", als die man das Dritte Reich immer deutlicher wahrzunehmen in der Lage ist. Übrigens sei noch zitiert, was Gisevius allerhand Seiten zuvor in gleichem Sinne geschrieben hatte über die Situation Hitlers am Vorabend des 30. Juni (S. 152):

Diesmal gibt es kein Ausweichen mehr. Hitlers "Vorsehung" gönnt ihm keine weitere Frist mehr.

1934: Rudolf Heß auf dem deutschen Astrologen-Kongreß in München

Es war nur folgerichtig, daß Rudolf Heß den XIII. Astrologen-Kongreß in München besuchte, der vom 8. bis 11. September 1934 stattfand. Jedenfalls behauptete die Astrologin Waldtraut Weckerlein, daß Rudolf Heß auf diesem Kongreß auf den Astrologen Karl Ernst Krafft aufmerksam geworden wäre, daß also sowohl Rudolf Heß wie Karl Ernst Krafft an diesem Kongreß teilgenommen hätten (1, S. 177). Der astrologische Berater von Rudolf Heß, Schulte-Stratthaus, spricht noch 1940 in Schreiben an das Amt Rosenberg mit großer Hochachtung über Krafft (siehe unten). Von Ellic Howe wird die Astrologin Weckerlein laut Personenverzeichnis nicht erwähnt. Das ist ein schweres Versäumnis seinerseits. Denn schließlich hat dieser Umstand auf seine (wie sich immer mehr herausstellt allzu verharmlosenden) Schlußfolgerungen nicht unbedeutende Auswirkungen. Wenn Heß erst ein Jahr zuvor den genannten Antrag gestellt hatte, lag ein Besuch bei so tatkräftigen Unterstützern des Dritten Reiches, von denen sich viele in seinem, Heß' Umfeld bewegten, ja auch wirklich nahe. Auch sein Atemtherapeut Schmitt besuchte ja diese Kongresse (siehe unten).

Neujahr 1935: Hitler hat Sorge vor einem Putsch der Wehrmachtgeneralität

In seinem 1963 erschienen Buch "Adolf Hitler - Versuch einer Deutung" beschreibt der, wie wir gesehen haben mehr als "gut informierte" Hans Bernd Gisevius die sozusagen "erschöpfte" Zeit nach den Röhmmorden von 1934, in der Hitler öffentlich kaum in Erscheinung tritt. Gisevius macht insbesondere auf die Neujahrsbotschaft Hitlers von 1935 aufmerksam (S. 319 - 324). Sie ist nach Gisevius von der latenten nervösen Sorge Hitlers vor einem Staatsstreich der Wehrmachtsgeneralität bestimmt, die Reinhard Heydrich über Himmler mit entsprechend aufgebauschten Berichten über die Absichten der Generalität bei Hitler vergrößert hätte. Als gar so unberechtigt wird man diese Sorge wohl nicht nennen dürfen, weiß man doch, wieviele sogar "gute Nationalsozialisten" aufgrund der Röhmmorde am "Nationalsozialismus" und ihrem "Führer" irre wurden. Wie viel mehr dann erst die Wehrmachtgeneralität. Jedenfalls fügt Gisevius an dieser Stelle einen eigenen Abschnitt ein, den er überschreibt mit "Hintergründiges". Darin heißt es (S. 321 - 323; s.a. Google-Ausschnitt-Ansicht) (Hervorhebung nicht im Original):

Man wird das Gefühl nicht los, als habe er (Hitler) damals im Gespür, daß sich um ihn herum allerlei "tut", was er im einzelnen nicht ausmachen kann, aber bei dem er Gefahr für seine Existenz wittert.
Oder "sieht" er etwas? Vielleicht, daß er in seinem Horoskop eine besonders kritische Konstellation entdeckt hat? Die Astrologen tuscheln sich in jenen Jahren geheimnisvolle Hinweise zu, wie exakt er sich bei seinen Großaktionen an die Konstellationen der Gestirne halte. Wenn sie dabei gewisse Namen als die seiner vertrauten Berater nennen, so sind diese falsch. Jedenfalls hat sich bis heute kein Astrologe gefunden, der nachgewiesen hätte, er habe Hitler beraten. Noch weniger läßt sich aus den Daten der Überraschungscoups oder großen Reden "beweisen", mit welcher Präzision Hitler sich an sein Horoskop gehalten habe. Mag sein, daß Konstellationen und Aktionen oft zusammenfallen und somit etwas Objektives über die Unabweisbarkeit astrologischer Zusammenhänge ausgesagt werden kann; Hitlers subjektive Einstellung zu diesen Dingen ist damit keineswegs aufgeklärt. Es ist auch nicht ersichtlich, wie man bei diesem Geheimnistuer von besonderen Graden jemals etwas Zuverlässiges über seine verborgensten Meditationen in Erfahrung bringen könnte.
Trotzdem soll man mit der angemessenen Beiläufigkeit auf diesen Problemkreis hinweisen. Man kann nicht über Hitlers außergewöhnliche Erscheinung schreiben, ohne die Frage nach seinem Verhältnis zum Okkulten im allgemeinen und zur Astrologie im besonderen anklingen zu lassen. Eigentlich müßte es sehr verwundern, sollte dieser Mediale, der zeitlebens so hart an der Schwelle des Unbegreiflichen und, wenn nicht des Mystischen, so des Mysteriösen gewandelt ist, nicht den Drang verspürt haben, auch die Astrologie in sein "Geheimwissen" einzubauen.

Noch einmal durch gründlichere Lektüre seines Buches wäre zu überprüfen, was nach Meinung von Gisevius eigentlich noch in Hitlers "Geheimwissen" "eingebaut" war, und auf welcher Grundlage Gisevius Hitler einen "Geheimnistuer von besonderen Graden" nennt. - Jedenfalls hier weiter:

Daß sein Stellvertreter Rudolf Heß den okkulten Wissenschaften mit Leib und Seele verschrieben ist, weiß er natürlich. Die Entrüstung, der er nach dessen abenteuerlichem Englandflug an den Tag legt, und das Strafgericht, das dann über Hellseher und Astrologen niedergeht, ist nichts anderes als typisch hitlerische Verlogenheit. Daß sein Famulus Himmler sich für die Sterndeuter interessiert, daß dieser sogar einen geheimen Stab von Senis unterhält, bleibt ihm erst recht nicht verborgen. Es ist daher undenkbar, daß er sich nicht mit beiden über ihre Erfahrungen mit den Sternen unterhalten hätte, die bekanntlich "geneigt machen, aber nicht zwingen". Dies um so mehr, als Heinrich Hofrmann bestätigt, Hitler habe sich viele Werke über Astrologie und die okkulten Wissenschaften, auch die ihn sehr beeindruckenden Weissagungen des Nostradamus, kommen lassen.

Auch dies wäre anhand etwaiger Erinnerungen von Heinrich Hofmann, auf die sich Gisevius hier zu beziehen scheint, zu verifizieren und zu überprüfen. Weiter:

Warum solle dann dieser stets auf Neuheiten und Ausgefallenes Versessene (...) nicht in seinen schlaflosen Nächten außer architektonischen oder waffentechnischen Zahlenreihen auch den Gang der Gestirne nachgerechnet haben? Die Tatsache, daß Sekretärinnen oder Adjutanten ihn gelegentlich haben darüber spotten hören - Hoffmann drückt sich sehr viel vorsichtiger aus -, bestätigt eher das Gegenteil.

Man hat eingewandt, der "Hitler privat" sei viel zu materialistisch gesonnen, um sich mit der Astrologie einzulassen. Es kann so sein. Es kann auch umgekehrt sein, indem er sich insgeheim Erfolg auf Erfolg ausrechnet, bis sich dann zu seinem Zorn herausstellt, daß die Rechnung nicht aufgeht. Wer sich so selbstgewiß mit der "Vorsehung" im Bunde fühlt, sich so offen seiner "nachtwandlerischen Sicherheit" rühmt und so unbeirrbar auf seinen "guten Stern" verläßt, nicht ohne sich mit verkrampfter Selbstherrlichkeit von den Offenbarungen der großen Religionen abzuwenden, mag sehr wohl der Meinung sein, er verfüge über geheime Techniken der Einsichtnahme in ein höheres Walten oder des Kontaktes mit den Mächten des Unbewußten.

Hitlers Karikatur Himmler versichert sich bei den Sternen und findet Absolution in der Bhagavad-Gita. (...) Mit der bloßen Tatsache, daß niemand die Ephemeriden oder den "I ging" auf Hitlers Schreibtisch liegen sah, ist deshalb nichts Abschließendes über seine verschwiegenen Exerzitien gesagt, Anschluß an das Okkulte zu finden: auch das uralte chinesische Orakelbuch kann nichts dafür, sollte sich Hitler bei ihm falsche Auskunft geholt haben.

Womöglich ist hier die Erwähnung des chinesischen Orakelbuches auf die damals, 1963, erst kürzlich erschienene Behauptung von Louis Pauwels gemünzt, Hitler habe Funksprüche aus Tibet bekommen, die mit Hilfe von (tibetischen?) Orakelbüchern verschlüsselt gewesen wären. Aber auch sonst finden wir in diesen Ausführungen von Gisevius (erstmals gründlich eingesehen am 1.8.2012) viele Vermutungen und Gedankengänge - oftmals sogar fast wortidentisch - wieder, wie wir sie selbst zuvor hier in den Beiträgen schon formuliert und vermutet hatten, ja in den Titel dieser Reihe gesetzt hatten. Es ist also offensichtlich nicht sehr schwer, auf das von uns anhand von Stephan Berndt Erarbeitete und Geschlußfolgerte auch aus anderer Richtung und von anderer Grundlage her zu kommen. Und zwar schon 1963! Diese Ausführungen von Gisevius bestätigen unsere Ansichten recht deutlich. Und es scheint auch nicht, daß Stephan Berndt von diesen Ausführungen von Gisevius beeinflußt gewesen wäre in seinen Beurteilungen. Gisevius wird in seinem Buch nirgendwo erwähnt oder zitiert.

4. Juli 1935: Hitler wünscht den Arbeiten des deutschen Astrologen-Kongresses "weiteren" Erfolg 

Ein Jahr später ging man sogar noch weiter. Da sandte der das Dritte Reich so tatkräftig unterstützende XIV. Astrologen-Kongreß vom 3. bis 5. Juli 1935 in Wernigerode Adolf Hitler persönlich ein Telegramm, wobei er wohl im Vorhinein wußte, daß Hitler antworten würde:

Die zu ihrem XIV. Kongreß in Wernigerode versammelten wissenschaftlichen Astrologen der "Astrologischen Zentralstelle" geloben dem Führer unseres deutschen Volkes unentwegte Treue und Gefolgschaft. Durch ernstes, verantwortungsbereites Erforschen uralten germanischen Weistums wollen sie mithelfen am Wiederaufbau deutschen Bildungs- und Kulturgutes zum Wohle für Volk und Vaterland.

Zu diesen Zeilen muß man sich wohl den hübschen Satz hinzudenken: "Du weißt Bescheid, ich weiß Bescheid - und allen macht's Vergnügen!" Diese Astrologen werden schon gewußt haben, warum es nicht als unangemessen empfunden werden konnte, ein solches Telegramm zu senden. Und warum öffentlich? Nun: Es gab in Deutschland und unter den Völkischen noch von der Astrologie Unüberzeugte. Diesen mußte ein Signal gegeben werden, daß diese sich - ggfs. - höchster Gunst erfreute. Und Adolf Hitler antwortete dementsprechnd (zit. n. 1, S. 176).

Telegramm des Führers
Auf das vom XIV. Astrologen-Kongreß an den Führer gerichtete Telegramm traf an den Leiter des Kongresses, Dr. Korsch, folgende Antwort ein:
Danke herzlichst für Begrüßungstelegramm, erwidere Grüße mit besten Wünschen für weiteren Erfolg Ihrer Arbeit. Adolf Hitler.

Hitler wünschte einen "weiteren Erfolg" der Arbeit dieser Astrologen. Das setzt voraus, daß er - wie so viele Politiker vor und nach ihm und wie so viele Parteigenossen seiner nächsten Umgebung - von dem bisherigen Erfolg der Arbeit dieser Astrologen überzeugt gewesen ist. Womit er klar davon ausging, daß diese Arbeit schon "Erfolg" hatte. Der höchste Arbeitgeber und die für ihn arbeitenden Astrologen senden sich gegenseitig Begrüßungstelegramme. Hitler muß sich damals übrigens gerade in einem Stimmungshoch befunden haben ...

Ist es Zufall - oder mehr als Zufall -, daß der Schweizer Astrologe Karl Ernst Krafft, einer der angesehendesten deutschsprachigen Astrologen der damaligen Zeit, angeblich der "Astrologe Hitlers" (siehe unten) ausgerechnet nach diesem Kongreß und diesem Grußtelegramm Hitlers mit Hilfe von astrologischen Freunden und Verehrern begann, innerhalb Deutschlands einen astrologischen Freundes- und Verehrerkreis aufzubauen, für den Krafft künftig Vortragsreisen machte und einen politisch-astrologischen Rundbrief herausgab (Howe, S. 203)? Krafft hatte nach dem Kongreß in Wernigerode einen ähnlichen in Brüssel besucht und dort denselben Vortrag gehalten wie in Wernigerode. An seinen deutschen Verehrer Goerner schrieb er (S. 203):

Wenn ich die Kongresse in Wernigerrode und Brüssel miteinander vergleiche, wird mir klar, daß das Wesen der Typokosmie (also sein eigener "wissenschaftlich"-astrologischer Ansatz) nur von den Deutschen verstanden werden kann. ... Die romanischen Länder mit ihrer Vorliebe für quelque chose de clair et precis sind von diesem Verständnis weit entfernt. So werde ich in der näheren Zukunft auf wachsendes Verständnis in den deutschsprachigen Ländern zählen.

Hatte ihn das Grußtelegramm Hitlers beflügelt? Auch ihn? Oder sogar mehr von Hitlers Seite aus? Oder war er durch den Zuspruch von Rudolf Heß beflügelt worden? Man darf mit großer Sicherheit vermuten, daß im okkulten Umfeld von Rudolf Heß und Heinrich Himmler die angesehendsten Astrologen im deutschsprachigen Raum, um so mehr, um so mehr sie sich einen "wissenschaftlichen" Anstrich zu geben wußten, nicht unbeachtet geblieben sind. Auch Krafft wird von dieser Seite manche noch etwas direktere Ermunterung erfahren haben, als es bloß Hitlers Grußtelegramm dargestellt haben wird.

Und der schon zitierte, gut informierte deutschstämmige, katholische Astrologe der Churchill-Regierung und des britischen Geheimdienstes während des Zweiten Weltkrieges Lajos Wohl (genannt Ludwig von Wohl, bzw. Louis de Wohl) berichtet in seinem Buch "Sterne, Krieg und Frieden - Astrologische Erfahrungen und Praktische Anleitung" von 1951 auch (n. Howe, S. 276):

1935 habe de Wohl einen Parteigenossen kennengelernt, der "eine prächtige Uniform trug und viele Sklaven hatte". Dieser Herr habe ihn aufgefordert, seine astrologischen Kenntnisse in den Dienst Deutschlands und des Führers zu stellen. Er solle sich mit der zuständige Stelle in Verbindung setzen. De Wohl habe erwidert, er habe nicht gewußt, daß es überhaupt eine zuständige Stelle gebe. "Dafür bin ich ja da", habe der Parteigenosse geantwortet. Er habe eine ausweichende Antwort gegeben und Deutschland verlassen.

Auch aus diesem Bericht wird deutlich, daß das Jahr 1935 mitsamt Grußtelegramm des Führers für parteinahe astrologische Kreise ein Jahr der Beflügelung durch Regierungsstellen gewesen sein muß.

Horoskope für die Gauleitung Franken

Im "Hauptkriegsverbrecher-Prozeß" in Nürnberg wurde auch folgender Sachverhalt festgehalten (Trial of the Major War criminals before the International Military Tribunal. Nürnberg 14. November 1945 - 1. Oktober 1946, Bd. 28: Documents and other Material in Evidence. Nürnberg 1948, pdf, S. 214, Google Bücher):

Die angebliche Schriftstellerin Maria Obermeier, geb. 7. 7. 1900, befaßt sich mit Astrologie und hat u. a. einer Reihe von maßgebenden Personen in der Gauleitung Franken Horoskope gestellt, auch dem Oberführer König. Im Laufe  der Zeit entspann sich ein Freundschaftsverhaltnis zwischen  König und  der Obermeier, das die Obermeier  insofern bei den Arisierungen für sich ausnutzen zu wußte,  als sie ihren  Einfluß auf König entsprechend hervorhob und so erreichte, daß sie aus einigen Arisierungen den  Betrag von RM 17.000.-- als Provisionsanteil erhielt.

Januar 1936: "Einer der bekanntesten Magier" bei Goebbels

Der Graf von Helldorf (1896-1944), der schon mit Hanussen in so engem Kontakt gestanden hatte, war im Juli 1935 zum Polizeipräsidenten von Berlin ernannt worden und hatte als solcher unter sich den Regierungsrat Hans Bernd Gisevius. Dieser berichtet über die anhaltenden okkulten Interessen seines Vorgesetzten im Januar 1936 während der Olympiade in Garmisch-Partenkirchen folgendes (Ausgabe 1960, S. 232):

Eines Abends ließ ich mich von Helldorf bereden, ihn zu begleiten, als er seinem Gauleiter Joseph Goebbels pflichtgemäße Aufwartung machte. (...) Wir trafen den Minister im Eibsee-Hotel. (...) Doch dann hellten sich unsere Blicke auf. Zur Belustigung der Hotelgäste sollte nach dem Abendessen im Festsaal eine Zaubervorstellung stattfinden. Einer der bekanntesten "Magier" führte seine Künste vor. Goebbels ließ sich überreden, teilzunehmen. (...) Dann gingen wir in den Festsaal, nicht ohne daß der vorsichtige Goebbels dem Zauberkünstler durch den Hoteldirektor hatte eröffnen lasen, er möge es sich nicht etwa einfallen lassen, ihn zum Gegenstand seiner Kunststücke zu machen.

Was wir dann zu sehen bekamen, war in der Tat erstaunlich. Es war eine richtiggehende Zauberei. Ein Experiment wirkte verblüffender als das andere. Gleichwohl erschien mir am fesselndsten in diesem ganzen Hokuspokus das Gesicht, das Joseph Goebbels machte. So wie er, die Beine weit von sich gestreckt, fasziniert zum Podium starrte, war er für zwei Stunden wirklich einmal jenseits von Gut und Böse. Dieser Diabolus war einfach konsterniert. Offensichtlich tat sich Neuland vor ihm auf. Intuitiv erfaßte er, daß es auch außerhalb seiner Hexenküche allerlei gab, was man dem Volke vormachen konnte. Jedenfalls merkte man, wie sein Verstand und seine Phantasie, angeregt und beunruhigt zugleich, das Gesehene verarbeiteten. Er hat denn auch darauf bestanden, daß die gleiche Vorstellung vor Hitler in der Reichskanzlei wiederholt wurde.

Es deutet vieles darauf hin, daß es sich bei diesem Magier um den Zauberkünstler "Kalanag" handelte, der mit bürgerlichem Namen Helmut Schreiber (1903-1963) heißt. Über ihn heißt es nämlich auf Wikipedia unter anderem (Hervorhebung nicht im Original):

Aufgrund seiner guten Kontakte zu Propagandaminister Joseph Goebbels machte er (in den 1930er Jahren) Karriere bei der Tobis-Filmgesellschaft. Er (...) zauberte vor öffentlichen Reden von Hitler und war 1939 Gast auf dessen Berghof am Obersalzberg. Schreiber pflegte Freundschaft mit Hitlers persönlichem Adjutant SS-Gruppenführer Julius Schaub, der Zauberveranstaltungen protegierte. Für Zauberkünstler ungewöhnlich mißbilligte Schreiber die öffentliche Aufklärung über betrügerische Tricks von Spiritisten und drohte Verrätern sogar offen mit der Gestapo. Diese Haltung mag mit Schreibers Freundschaft zum Berliner Polizeichef und Okkultisten Wolf-Heinrich Graf von Helldorf zusammenhängen, der seinerzeit den trickreichen Hochstapler Erik Jan Hanussen für einen echten Magier gehalten hatte.

Hier dürften sich wiederum nicht gerade die unwichtigsten Zusammenhänge andeuten.

1936 bis 1939 - Der Präsident des "Magischen Zirkels von Deutschland" steht unter dem persönlichen Schutz Adolf Hitlers

Der mondäne Helmut Schreiber, der nach 1945 weltweit mit seinen Auftritten bekannt werden sollte, kam also vor allem aus der Filmindustrie. Er war aber von 1927 bis 1945 auch der Schriftleiter der Zeitschrift "Magie". Und von 1936 bis 1945 Präsident des "Magischen Zirkels von Deutschland" (a, b, c). Auch war er in den Verdacht geraten, einer Freimaurerlogen anzugehören (d). Der im Wikipedia-Artikel erwähnte Julius Schaub (1898-1967) nun war vom 1. Januar 1925 bis zum April 1945 der persönliche Chefadjutant Adolf Hitlers. In seinen 2005 herausgegebenen Erinnerungen wird nicht nur der Hang Hitlers zur Zauberkunst erörtert, sondern auch sein Verhältnis zur Astrologie. Im folgenden, was diesbezüglich nur bruchstückhaft den Google Bücher-Ausschnitten entnommen werden kann (2005, S. 153):

... Helmut Schreiber, der außerdem Präsident des Magischen Zirkels war - einer Vereinigung von modernen Zauberkünstlern -, erschien zwei bis dreimal auf dem Berghof. "Simsalabim" heiß dann das Schlagwort des Abends, Schreibers Zauberwort.

In dem Fall von Kritik, der auch im zitierten Wikipedia-Artikel erwähnt wird, scheint Hitler selbst - nach Schaub - Schreiber aktiv in Schutz genommen zu haben, was womöglich dann auch wieder Rückschlüsse zulassen würde über das Verhältnis zwischen Hitler und Hanussen. Dies muß in den Schaub-Erinnerungen noch einmal genau nachgeschlagen werden, wo es heißt (2005, S. 154):

... deren Leistungen ins Akrobatische gingen. ein besonderes Interesse. Als er eines Tages von Schreiber geben wurde, ein bekanntes Mitglied des Magischen Zirkels zu schützen, dessen Tricks in einer Artikelserie der Zeitschrift "Die Koralle" der Öffentlichkeit preisgegeben wurden ...
2005, 2010
Darauf kommt Schaub hundert Seiten später nochmals zurück. An dieser weiteren Stelle scheint Schaub jedoch dann - wie auch Hitlers Sekretärin - sehr bewußt in Abrede stellen zu wollen, daß sich Hitler mit Astrologie beschäftigt habe (2005, S. 246):
... lebhaft und eingehend mit Astrologie beschäftigt habe, sich ständig Horoskope stellen ließ und sich auch nach diesen Dingen richtete. Dies war bis dahin völlig ...
(2005, S. 247):
... Englandfahrt ein Horoskop erstellt. Im Gegensatz dazu stand er den Zauberern und ähnlichen Artisten ...
(2005, S. 249):
... Wie groß seine Vorbliebe für das Zaubern war, zeigt folgende Begebenheit: Ein Mitglied des Magischen Zirkels war wegen irgendwelcher Unstimmigkeiten dort ausgeschlossen worden. Daraufhin begann er in einer großen Illustrierten Zeitung eine Artikel-Serie zu veröffentlichen, in der ein bedeutender Trick entschleiert wurde. Dies erfuhr Hitler und er verbot daraufhin dieser Zeitung sofort den Abdruck der Serie. Er sagte, es sei eine Unerhörtheit, wie sich dieser Mann benehme: er schade damit vielen guten Artisten und bringe hunderttausenden von Menschen um ihr Vergnügen, das ihnen diese Tricks bereiteten.
Der Herausgeber dieser Erinnerungen ist jener Olaf Rose, der in einer eigenen Studie auch die Bedeutung des Thule-Ordens, in dessen Umfeld sich viele Astrologen bewegten, bzw. der wohl als ein Astroclub selbst zu bezeichnen ist, herunterspielt. Deshalb werden ihm in diesem Zusammenhang auch die Erinnerungen Schaubs wichtig sein (2005, S. 268):
Adolf Hitler und die Astrologie (Sterndeuterei)
In den verschiedensten Zeitungen tauchen immer wieder Artikel und Behauptungen auf, daß Adolf Hitler ....
(2005, S. 269):
... öfteren auch ein angeblicher Herr Kraft genannt.

Um diese Behauptung aus der Welt zu schaffen, muß endlich mal festgestellt werden, daß Hitler weder sich Horoskope hat stellen lassen noch daß ein gewisser Herr Kraft jemals zu ihm befohlen wurde, um für ihn Horoskopte zu stellen.

Hitler war der schärfste Gegner jener Sterndeuterei. Nach dem Fluß Heß' nach England, der ja angeblich auf Grund eines Horoskops des Prof. Schulte-Strathaus ...

... Astrologie unterlag. In diesem Zusammenhang wird des ... stattfand, ging Hitler soweit und ließ zum großen Prozentsatz Sterndeuter und Hellseher einsperren. Hitler sah in dieser Pseudowissenschaft erstens eine Verdummung des Volkes, aber auch eine propagandistische Gefahr für den Staat. In der heutigen Zeit erleben wir es ja ...
(2005, S. 428)
Ernst Schulte-Strathaus, Ernst Prof. Sachbearbeiter für Kulturfragen im Stab des Stellvertreters des Führers, München; Wahrsager

Wie schon im zitierten Wikipedia-Artikel zu Schreiber anklang, könnte es sich bei einem so engen Vertrauten Hitlers wie Julius Schaub auch um einen so engen Mitwisser der okkulten Hintergründe des Dritten Reiches handeln, daß er in seinen Erinnerungen sehr bewußt solche okkulten Hintergründe abstreitet. All das muß noch genauer untersucht werden.

Womöglich wird man über diese Szene der Zauberkünstler und des "Magischen Zirkels" auch mehr erfahren, wenn man "Falsche Geister - echte Schwindler" von Albin Neumann liest (zuerst 1969). Neumann war auf vielen Varietebühnen als Zauberkünstler tätig. Und auf Wikipedia heißt es über Albin Neumann:

In der NS-Zeit war er auch im Auftrag der Reichstheaterkammer mit Vorträgen in ganz Deutschland gegen Scharlatane, Schwindler und als Spiritistenentlarver tätig. Auch nach dem Krieg war er als Hypnoseexperte und ehrenamtlicher Gutachter für Falschspieler für das österreichische Innenministerium tätig. Falsche Geister, echte Schwindler war eine von ihm gestaltete Radiosendung.

7. März 1936: Die Besetzung des Rheinlandes

Am 7. März 1936 marschierten deutsche Truppen in das entmilitarisierte Rheinland ein (Wiki). Die internationale astrologische "Kapazität" B. Venkata Raman, damals Briefpartner des Schweizer Astrologen Karl-Ernst Krafft, des deutschen Astrologen Alfred Max Grimm und des Schweizer Okkult- und Astrologiegläubigen C. G. Jung, schreibt in seinen Erinnerungen "My Experiences in Astrology" (Hervorhebung nicht im Original):

As is usual in Western Astrology the aspects between the transiting and radical planets were the basis of astrological interpretation. To Hitler, astrological aspects simply decided the factor of luck. And he got away with the occupation of Rhineland and invasion of Austria and Czechoslovakia. And according to military experts "four French divisions would have been enough to stop him at that time".
Raman geht also ganz selbstverständlich davon aus, daß die deutschen Astrologen Adolf Hitler beraten haben und daß Hitler auf ihren Rat gehört hat bei all seinen riskanten außenpolitischen Manövern.

1937/38 - Hitlers Hofastrologe Ossietz und sein Sternenstudio in Berchtesgaden

Aktualisierung 4.6.14: Dieser Abschnitt hat sich erübrigt, da er nicht auf einem Tatsachenbericht beruht, sondern auf einer ausgedachten Geschichte (s. GA-j!, 4.6.2014).

Ein Jahr lang, zwischen 1937 und 1938, will eine Pauline Kohler Hausmädchen auf Hitlers Berghof in Berchtesgaden gewesen sein. Sie veröffentlichte am 15. Juni 1940 ihren 128-Seiten starken Bericht "I was Hitlers Maid". Darin schreibt sie (zit. n. Sobieroj, Martin: Das Medium Hitler. Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Okkulte Mächte im Hintergrund als Drahtzieher der Weltpolitik. Auf Scribd):
In Berchtesgaden gibt es fünf Zimmer, die niemals fotografiert wurden. Ich sah sie einmal, und nur einmal. Sie werden die Sternenzimmer genannt. Sie bilden eine Art Penthaus hoch unter dem Dach. Nur zwei Personen dürfen sie jederzeit betreten - Hitler selbst und sein Astrologe Karl Ossietz. Im Hauptraum dieser Suite besteht die Decke aus dunkelblauem Glass, auf dem durch Knopfdruck die Bewegungen der Planeten und Konstellationen gezeigt werden. Die besten optischen Arbeiter in Jena arbeiteten an diesem Zimmer länger als ein Jahr, bevor Hitler zufrieden war. Darstellungen des Tierkreises schmücken die Wände. In einem anderen dieser Zimmer kommt die einzige Beleuchtung von einer Tag und Nacht brennenden Kohlenpfanne. Hitler verbringt hier oft Stunden allein, in ihr zorniges Glühen blickend, oder in eine große Kristallkugel starrend, in ihren wechselnden Schatten die Zukunft zu sehen versuchend.
Weiter ist zu erfahren (Arthur H. Mitchel: Hitler's Mountain. The Führer, Obersalzberg and the American Occupation of Berchtesgaden. Mcfarland & Co Inc, 2007, S. 30f und S. 184 Anm. 22, (Google Bücher), eigene Übersetzung):
Die Behauptung, daß Rudolf Ossietz Hitlers Hofastrologe war, wurde gemacht von Walter Tschuppik in einer deutschsprachigen Zeitung in London kurz nach dem Rudolf Heß (...) seinen quichottenhafen Flug nach Schottland im Mai 1941 gemacht hatte.
Diese Behauptungen von Pauline Kohler werden auch in der Schrift "Der Stern des Abgrundes" eines Sri Aurobindo angeführt (Satparam: Der Stern des Abgrundes. Das Medium Adolf Hitler im Lichte Sri Aurobindos und Der Mutter. 2007. Auf: Lulu, s.a. Wikuphil): "Die Mutter", offenbar eine in Paris um 1880 geborene Frau mit Vornamen Mira, soll in spiritistischer Verbindung zu dem bösen Geist von Hitler gestanden haben und ihn dahingehend in die "Falle" gelockt haben, daß sie ihm 1941 - von Indien aus - zum Rußlandkrieg geraten habe. Schon das "Marna-Drama" von 1914, also der Schutz ihrer Geburtsstadt Paris sei - in ähnlicher Weise - ihr eigenes Werk gewesen.

Es ist ja nicht unwahrscheinlich, daß tibetische und andere Astrologen, sowie dann geopolitische Berater von Karl Haushofer im Umkreis von Hitler im Sinne dieser "Mutter" gewirkt haben.

1937: Der Deutsche Astrologen-Kongreß verboten

Witzigerweise wurde dann der für 1937 geplante 16. Deutsche Astrologen-Kongreß in Baden-Baden verboten. Und ein Jahr später untersagte man der deutschen Delegation die Ausreise zum 4. Internationalen Astrologenkongreß 1938 in Paris. Und noch vor Kriegsbeginn wurde im Jahr 1939 die Astrologische Zentralstelle aufgehoben.  Die "wertvolle" Astrologie sollte nicht mehr unter den breiten Massen den "Aberglauben" stärken, sondern nur noch der abergläubischen Elite nutzbar gemacht werden. - Wieder ein Ausdruck der "Stimmungsschwankungen" Hitlers? Oder sah man einfach die Notwendigkeit besserer Tarnung? Auf der Seite des heutigen Deutschen Astrologenverbandes stehen über die Folgezeit die aufschlußreichen Worte (Hervorhebung nicht im Original):

Ab 1939 begann eine Leidenszeit für die deutschen Astrologen, die erst 1945 beendet war. Durch die national-sozialistische Gewaltherrschaft haben namhafte Astrologen ihr Leben verloren: Frank Glahn, Dr. Hubert Korsch, Karl-Friedrich Krafft (sic!), Prof. Dr. Theodor Lessing, Prof. Dr. Johannes Verweyen und viele andere ungenannte. Wohl in keinem Land der Erde, auch nicht im Mutterland der modernen Astrologie, in England, hatte die Astrologie vor 1939 einen so mächtigen Aufschwung genommen und selbst in wissenschaftlichen Kreisen so großes Interesse gefunden wie in Deutschland. Aber nirgendwo gab es auch einen solch katastrophalen Rückschlag wie in Deutschland unter nationalsozialistischer Diktatur.

Und sollte nicht zusätzlich ausgeführt werden: "Und nirgendwo gab es auch die Erkenntnis der Notwendigkeit der besserer Tarnung als in Deutschland unter nationalsozialistischer Diktatur"? Was genauso auch über die Freimaurerei geschrieben werden könnte? Es wäre außerdem zu fragen, ob das Lebensschicksal, das die hier genannten Astrologen erfuhren, sie nicht selbst in ihren eigenen Horoskopen über sich haben lesen können und somit williger bereit waren, es hinzunehmen. (Ok, das ist arg zynisch. Aber sollten Astrologen Hitler beraten haben, wären sie für zahlreichere Morde mitverantwortlich, als sie in ihren eigenen Reihen erlitten haben.)

Lorenz Mesch, ein Astrologe Hitlers und Himmlers

Diese Angaben des "Deutschen Astrologen-Verbandes" widersprechen aber gewissermaßen den Angaben des Aufsatzes "Astrologie im Dritten Reich" von Theodor Kayser in der deutschen Astrologen-Zeitschrift "Meridian" des Jahres 1988. Die Angaben von Theodor Kayser gehen auch über die Angaben des Buches von Stephan Berndt hinaus. Sie sind von dem ehemaligen Chefredakteur von "Bild", Udo Röbel, ins Internet gestellt worden. Wie gerade er auf diesen Artikel gestoßen ist, der sogar einem solchen Spezialisten wie Stephan Berndt entgangen zu sein scheint, schreibt er nicht. Röbel zitiert diesen Aufsatz von 1988 im Zusammenhang mit anderen Recherche-Ergebnissen für seinen 2012 erschienenen Roman "Der rote Reiter". Theodor Kayser nun schrieb schon 1988:

... es ist aber kaum bekannt, daß neben der Reichsregierung noch einige Dienststellen der höheren Führung einen eigenen Astrologenstab gehalten haben, der sich intern mit dem Schicksal der Nazi-Größen beschäftigt hat.

Also auch wieder einmal die "Reichsregierung" selbst! Sie wird hier nur im Vorübergehen erwähnt. Und das könnte sich natürlich vor allem auf die 1945 (siehe unten) erwähnten "Forschungsabteilungen" Adolf Hitlers beziehen. Natürlich ebenso auf die "Astro"-Abteilung des Joseph Goebbels, des Heinrich Himmler oder des Rudolf Heß. Sie alle drei waren Minister und damit Mitglieder der Reichsregierung. Da im folgenden ganz selbstverständlich mit Heinrich Himmler fortgesetzt wird, der (erst) ab 1943 Reichsminister des Innern war, bleiben dennoch Deutungsspielräume dahingehend, was hier konkret mit "Reichsregierung" im Unterschied zu Himmler gemeint ist, und auf welchen Zeitraum sich das bezieht.

Aber wird man nicht überhaupt davon ausgehen müssen, daß alle diese Astrologen und Wahrsager und Pendler untereinander über gute Kontakte zueinander verfügten, schon allein, um gegenseitig voneinander zu lernen und sich abzustimmen? Sie trafen sich ja jährlich auf dem Astrologen-Kongreß, sie trafen sich bis 1941 in der "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus", gerne auch - mit dem Schriftführer und O.T.O.-Leiter und späteren Axel Springer-Berater Fritsche - in deren "innerem Forschungsring". Oder (zumindest bis 1935) fast monatlich in den (umgewandelten) Freimaurerlogen oder (zumindest bis 1939) im "Bund der Guten" oder in der "Thule-Gesellschaft", im Skaldenorden, im Jesuitenorden und anderen katholischen Orden und Klöstern, in der Berliner "Fraternitas Saturnis", ggfs. in der "Vril"-Gesellschaft, unter Anthroposophen, in "Freundeskreisen" um Heinrich Himmler und Rudolf Heß und bei vielen anderen Gelegenheiten mehr. Nach 1941 dann sogar in Konzentrationslagern. Nun weiter im "Meridian" von 1988:

Über diese Astrologen ist nie geschrieben worden, und ihre Namen wurden bisher nie genannt.
Die Beratung für diese Dienststellen und die Horoskope wurden von einem Architekten namens Lorenz Mesch aus Lochham (Oberbayern) im Abonnement geliefert, der nach eigenen Angaben mit Hitler schon 1919 in vielfache persönliche Beziehungen kam.

Teilaspekte dieser "vielfachen persönlichen Beziehungen" werden darin bestanden haben, daß Lorenz Mesch zusammen mit dem Okkultisten Rudolf John Gorsleben nicht nur zum "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund" (DVSTB) gehörte, sondern dort auch Gauleiter war wie Gorsleben. Sie waren beide Gauleiter in Bayern für diesen Bund und betrieben um 1921/22 eine Abspaltung ihrer beiden Gaue von den norddeutschen Teilen ihres Verbandes (Hist. Lexikon Bayerns). Offenbar bewegte sich Mesch also im Umfeld des völlig okkultverblödeten Okkultisten Rudolf John Gorsleben. Und in diesem Umfeld kam er "schon 1919" (!) in "vielfache persönliche Beziehungen" zu Hitler. Mesch ist ein Astrologe, der in der langen Astrologen-Aufzählung von Stephan Berndt (1) noch gar nicht vorkommt. Deshalb sei weiter aus dem Meridian-Heft von 1988 zitiert:

Er konnte die laufende Ausarbeitung der Horoskope natürlich nicht alleine bewältigen. Er bedient sich deshalb der Mitarbeit des Schriftstellers E. Baumann in Planegg bei München, den er etwa mit der Hälfte des Honorars abfand, das er als Leibastrologe der Reichsführung SS aus deren Kasse bezog.
Was haben bloß all diese Wahrsager und Astrologen gemacht, so fragt man sich zwischendurch, nachdem sie 1945 arbeitslos geworden waren? Ihre Verantwortlichkeiten scheinen auffallenderweise weder von Gerichten noch von der Zeitgeschichtsforschung jemals ausreichend überprüft worden zu sein seit 1945. Sie haben also fröhlich einfach so weitergemacht wie zuvor!
Es ist dokumentarisch belegt, daß durch die Reichsführung SS und des SS-Oberführers Wolff von allen führenden Nazis und Faschisten laufend Horoskope von diesen beiden Herren angefertigt wurden, die auf eigens dazu hergestellten Karteiblättern aufbewahrt wurden.
Das waren also alles Horoskope für Heinrich Himmler, bzw. für das Reichssicherheitshauptamt.
Das Verzeichnis der Horoskope enthält 134 Namen, darunter: Amann, Blomberg, Bormann, Bosch, Bouhler, Darré, Dorpmüller, Goebbels, Gömbös, Göring, Heß, Heydrich, Hierl, Himmler, Hitler, Hugenberg, Keitel, Krupp, Laval, Lebrun, Ley, Ludendorff, Milch, Mussolini, von Neurath, Papen, Rosenberg, Rausch, Rust, Schacht, Streicher, Terboven und Thyssen. Diese Dienststelle bestellte auch Horoskope von ganzen Ländern, u. a. von Deutschland, Finnland, Frankreich, Tschechoslowakei, Sowjetunion und Österreich.
Die gesamten astrologischen Bestände und Unterlagen aus den Archiven der Gestapo, die astrologischen Büchereien aus beschlagnahmtem Besitz, sind ebenso wie das Hauptarchiv der Partei, das gegen Kriegsende noch nach Schloß Hohenburg bei Lenggries in den Alpen verlagert worden war, von der amerikanischen Besatzungsbehörde nach den USA abtransportiert worden.
Unter den noch ungehobenen Schätzen der Parteigeschichte liegt auch das gesamte Material zum Kapitel „Partei, Astrologie und Okkultismus“ ungesichtet begraben. Aus diesem Material stammt auch das abgebildete Horoskop von Dr. Konstantin Freiherr von Neurath, das von Herrn W.G. Krupkat vor dem Abtransport nach den USA abgelichtet werden konnte.
Genau dieses Kapitel scheint noch längst nicht ausreichend aufgearbeitet. Und Stephan Berndt scheint dieses Kapitel zunächst nur in einem "ersten Durchgang" aufgearbeitet zu haben. Röbel fährt dann fort:
Kann man diesem Artikel glauben? Bei meinen weiteren Nachforschungen fand ich den Sohn von Lorenz Mesch, der mir bestätigte, daß sein Vater auch als Astrologe gearbeitet habe. Allerdings habe er sich später mit den Nazis überworfen. Und auch an seinen Partner könne er sich noch erinneren. Nur, daß dieser Baumeister und nicht Baumann geheißen habe. Ein Mann mit Vollbart und einer dunklen brummigen Stimme, der öfters bei ihnen zu Besuch gewesen sei und sich mit seinem Vater unterhalten habe, während er als kleines Kind unter dem Tisch herumkrabbelte.
Daß „Baumann“ in Wirklichkeit Baumeister geheißen hat, belegt das einzige Dokument, das ich zu diesem Komplex noch in den Archiven gefunden habe: ein Begleitschreiben von Erich Baumeister vom 29.11.1936 an den Reichsführer SS, in dem er sich „gestattet“, Himmler eine „astrologische Studie“ über das Horoskop des spanischen Generals Franko zu übersenden. In diesem Schreiben erwähnt er auch Mesch, dem er das Original der Studie überlassen habe. Lorenz Mesch verstarb 1968. Und sein Sohn erinnert sich noch daran, daß nach seinem Tod die ganze Familie ratlos vor seiner Bibliothek gestanden habe mit seinen vielen astrologischen Büchern und Unterlagen. Niemand habe damit etwas anzufangen gewusst: „Wir haben dann den ganzen Glumbatsch im Garten verbrannt.“

Aber damit sind die "interessanten" Einzelheiten über diesen Astrologen und Architekten Lorenz Mesch noch längst nicht zu Ende. Lorenz Mesch war nicht nur führendes Mitglied des "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes", sondern auch der Leiter der Ortsgruppe Regensburg der 1912 gegründeten völkischen Freimaurerloge Germanenorden, also der Mutterorganisation des Thule-Ordens. In Regensburg bestand der Germanenorden unter gleichem Namen und unter Leitung von Mesch mindestens bis 1922 fort. In diese Ortsgruppe des Germanenordens hatte Lesch die nachmaligen Mörder von Matthias Erzberger, Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen, aufgenommen. Diese hatten nach ihrem Wortortwechsel nach München im Rahmen der "Organisation Consul" auch diesem Orden erneut bedingungslosen Gehorsam schwören müssen und waren wenig später zur Vollstreckung des Logenurteils gegenüber Erzberger ausgelost worden waren. Zumindest die Mitwisserschaft von Lorenz Mesch über dieses Logenurteil und diesen Auftragsmord ist mehr als naheliegend. Zumal Mesch zuvor in Vorträgen, an denen auch die Mörder teilgenommen hatten, Matthias Erzberger als hassenswerten "Jesuitenzögling" bezeichnet hatte (Cord Gebhard, S. 22f, 54).

Einiges zur Vervollständigung der Biographie von Lorenz Mesch: 1950 gab er die 22-seitige Schrift heraus "Ein 3. Weltkrieg? Nein! - Sondern ..." (Lohe Verlag, München). 1956 veröffentlichte "K. Lorenz Mesch" in der Zeitschrift "Okkulte Stimme", herausgegeben von einem Hans Geisler, den Aufsatz "Drei magische Meditationsformeln". 1957 in dieser Zeitschrift den Aufsatz "Wer war Jesus Christus?" und 1958 "Grundsätzliches über Yoga". In dieser Zeitschrift schrieb übrigens auch der Freund des Astrologen Wilhelm Wulff, Ernst Issberner-Haldane, die beide freundschaftlich verbunden waren im ariosophischen Geiste und wohl auch in ariosophischer Logenzugehörigkeit (s.u.). Issberner-Haldane schrieb in dieser Zeitschrift etwa 1954 über "Gestörte Antennenkräfte" (!), 1955 "Über die Gefahren der Besessenheit". 1958 erschien in dieser Zeitschrift etwa auch ein solcher Aufsatz wie "Logenbruder Mozart, ein Schreibmedium Gottes"

1956 bis 1959 war Lorenz Mesch dann auch noch zusammen mit eine Guido Roeder, Inhaber eines völkisch-esoterischen Widar-Verlages, wegen der Verbreitung eines antisemitischen Flugblattes angeklagt (Christoph Jahr, 2011, S. 361 - 365).

Gerüchte, "daß Hitler sich vor wichtigen Entscheidungen von Astrologen beraten ließ"

11. Aufl.(2002),1.(1985)

Kein Wunder übrigens, daß bei solchen oben angeführten Telegrammen Hitlers an den deutschen Astrologen-Kongreß von 1935 "Gerüchte im Volk umliefen". Christa Schröder, die Privatsekretärin Adolf Hitlers zwischen 1933 und 1945 schreibt darüber in ihren Erinnerungen (zit.n. 1, S. 183):

Es liefen im Volk Gerüchte um, daß Hitler sich vor wichtigen Entscheidungen von Astrologen beraten ließ. Ich gestehe, daß ich davon nichts bemerkt habe und daß auch in den Gesprächen niemals davon die Rede gewesen ist. (...) Er lehnte sich immer eifrig gegen die Vorstellung auf, daß das Schicksal der Menschen von den Sternen oder ihren Konstellationen abhinge.

Das widerspricht natürlich deutlich den gut erkennbaren Interessen Hitlers und seiner nächsten Minister, sowie den zahlreichen persönlichen Kontakten Hitlers mit Astrologen und Hellsehern, die im vorliegenden Beitrag mit Hilfe des Buches von Stephan Berndt und mit Hilfe einer Fülle von weiteren Angaben zusammen gestellt sind. Auch kann man das nicht aus dem Grußtelegramm Hitlers an die deutschen Astrologen von 1935 herauslesen. Natürlich, solche hier genannten Gerüchte konnten für Hitler auch gefährlich werden. Und da diese Gerüchte offensichtlich Hitler bekannt waren, wird er selbst gegenüber engeren Mitarbeitern alles getan haben, um sie zu zerstreuen. So konnte er sich Handlungsfreiheit bewahren. Schröder weiter:

Allerdings hatten ihn in den allerersten Jahren der Kampfzeit die Voraussagen einer Münchner Wahrsagerin sehr beeindruckt. Es scheint, daß ihre Voraussagen Punkt für Punkt eingetroffen sind. Aber Hitler sprach nur ganz ironisch von dieser Koinzidenz und betrachtete das ganze als einen Spaß.
Offensichtlich wollte Hitler doch das Vertrauen seiner Sekretärin in ihn nicht erschüttern. Ein Hintertürchen läßt er sich immerhin sogar ihr gegenüber offen dahingehend, ob nicht doch Wahrsager Einblicke in die von ihm so oft angeführte "Vorsehung" würden haben können. Auch der Reichspressechef von 1933 bis 1945 Otto Dietrich äußert sich ähnlich wie Schröder (zit.n., 1, S. 183):
Der Sterndeuterei und dem Okkultismus in jeder Form stand er, entgegen mancherlei anderer Auffassung im Volke, völlig ablehnend gegenüber. Sein scharfes Vorgehen aus Anlaß des Falles Heß, dem er geistige Hörigkeit und Abhängigkeit von mystischen Zirkeln zum Vorwurf machte, ist bekannt.

Ein Reichspressechef muß natürlich befähigt sein für Dementis. Dietrich macht es sich sogar noch einfacher als Schröder und verweist nur auf das Vorgehen Hitlers nach dem Englandflug. Das kann - und wird sicherlich - von Hitler als "Scheinkampf" geführt worden sein, wie Berndt mehr als plausibel macht. 

Der Pressesprecher Dietrich und die Sekretärin Hitlers wiesen beide nach 1945 auf "Vermutungen im Volke" hin, Hitler wäre von Wahrsagern abhängig und bestreiten dies ziemlich entschieden. Vielleicht ist ihnen nur entgangen, daß Hitler auch ihnen gegenüber nicht mit offenen Karten gespielt hat? Daß Hitler sein geheimes Logenwissen aus der Thule-Gesellschaft auch ihnen gegenüber hinter einer Maske von "Kritik" und spöttischer "Gleichgültigkeit" gegenüber Astrologie verborgen hat? Und daß ebenso Goebbels gehandelt hat?

1939: Hitler konsultiert Astrologen in Berchtesgaden

Auch im Londoner "Daily Mail" vom 30. Januar 1939 wurde behauptet, Hitler schenke dem Rat seiner persönlichen Astrologen große Aufmerksamkeit (Howe, S. 314). Im April 1939 schrieb die "Gazette de Lausanne" (zit. n. Howe, S. 314):

Es gibt keinen treueren Anhänger der Astrologie als Herrn Hitler. Die besten Kunden des Internationalen Instituts in London sind die Privatastrologen in Berchtesgaden. Jeden Monat ordern sie neue astrologische Dokumente. Das alles, weil Herr Hitler an die Wahrheit der Astrologie glaubt. Und er beweist sie auch. Es ist kein Zufall, daß er all seine coups im März landet. Vor dem Losschlagen erfragt er die günstigte Zeit aus den Sternen. Der März ist der beste Monat ... Ob man nun an Astrologie glaubt oder nicht, wichtig ist, daß Hitler daran glaubt.
Howe schreibt dazu in seiner gewöhnlichen "kritischen" Weise:
Doch leider gab es kein Internationales Institut in London und keine "astrologues particuliers" in Berchtesgaden.
Zumindest mit der zweiten Aussage scheint er sich getäuscht zu haben, wie Stephan Berndt erst im Herbst 2011 herausbekommen hat. Nachdem sich das Buch von Stephan Berndt nämlich schon im Druck befand, schreibt dieser am 3. Oktober 2011 auf einem Forum:
Vor ein paar Tagen habe ich einen 84jährigen Mann aus Berchtesgaden interviewt, der als Kind Hitler kennengelernt hat, weil seine Familie an Hitler ein Grundstück am Obersalzberg verpachtet hatte. Die Familie hatte öfters Besuch von [dem Hellseher Alois] Irlmaier, war Nachbar von Hitler, und so kam es, daß Hitler von Irlmaier Wind bekam und sich für den Seher interessierte. Irlmaier hat aber den Braten gerochen und Hitler nur Gutes erzählt. Trotzdem sollen Irlmaier und Hitler öfters miteinander gesprochen haben. (Habe Interview auf Tonband)
Was heißt "trotzdem"? Nach dem, was wir vom Verhältnis zwischen Elsbeth Ebertin und Hitler wissen, müßte es eher heißen: "... nur Gutes erzählt. Deshalb ...". Nach den Lebensdaten von Alois Irlmeier (1892 - 1959), der während des Zweiten Weltkrieges mit seiner Wahrsagerei begonnen haben soll, könnte das durchaus passen. Im Jahr 1939, als auch der Schweizer Astrologe Krafft für Hitler zu arbeiten begann, war Irlmeier 47 Jahre alt. Aber auch sonst würde aus diesen Angaben einmal erneut hervorgehen, daß sich Hitler für Hellseher interessiert hat, wo immer er auf solche gestoßen ist.

Auch noch am 12. Juli 1939 berichtet die "Daily Mail" (Howe, S. 315):
der Präsident der Columbia Universität in New York, Dr. Nicholas Murray, habe bestätigt, daß Hitler einen Stab von fünf Astrologen beschäftige.
Der deutschstämmige Astrologe in damaligen Diensten des britischen Geheimdienstes Louis de Wohl sagte im November 1947 in einem Zeitungsinterview (zit. n. Howe, S. 311):
Einer meiner besten Klienten in England war ein alter Kunde von Karl Krafft, dem Hausastrologen Hitlers.
Bei diesem Kunden handelt es sich wahrscheinlich, wie noch genauer zu behandeln sein wird, um den rumänischen Botschafter in London, Tilea. de Wohl weiter:
Von ihm erlernte ich Kraffts Technik. Ich wußte, was er Hitler raten werde, noch bevor er es dem Führer mitgeteilt hatte.
Wie Howe ausführt, kann kaum ein Astrologe aufgrund des Erlernens der "Technik"  eines anderen Astrologen "voraussagen", was dieser anderen voraussagen wird. Aber warum sollte sich auch der britische Geheimdienst, der die okkulten Kreise im Umfeld der NS-Führung "infiltriert" hatte, sich auf eine so unzuverlässige Erkenntnisquelle gestützt haben. Womöglich ist dies nur eine der vielen erfundenen vorgeschobenenen "Legenden" für das, was eigentlich geschah. Denn was de Wohl weiter sagt, klingt - im Zusammenhang mit allem übrigen - keinesfalls unplausibel:
Im Jahre 1940 arbeitete ich mit Kraffts Methode als Captain in der Abteilung für psychologische Kriegführung, und es war klar, daß er dem Führer raten werde zu handeln.
Warum nicht sagen: Es war klar, daß der britische Geheimdienst Krafft anwies, dem Führer zu raten, er solle handeln - oder von dieser Anweisung aus Logenkreisen wußte. de Wohl weiter:
Der Führer nahm den Rat an und besetzte Frankreich.
Hatte Hitlers also ohne diesen Rat tatsächlich gezögert, Frankreich anzugreifen und mußten ihm durch das Elser-Attentat und seine Auswertung und damit durch die Zuspielung eines neuen Astrologen tatsächlich neue astrologische Sicherheit gegeben werden? Nach Dünkirchen, so de Wohl (zit. n. Howe, S. 311)
geriet Hitlers Glaube an seinen Chefastrologen erstmals ins Wanken, und von nun an begann er sich mehr und mehr auf seine eigene Intuition zu verlassen.
Warum nicht? Der Heß-Flug und sein Mißerfolg - ob mit oder ohne Wissen oder stillschweigende Duldung Hitlers erfolgt - wird diesen Glauben ein weiteres mal ins Wanken gebracht haben und könnte dafür gesorgt haben, daß Hitler Krafft bis zu seinem Tod nicht mehr aus der Haft entließ. de Wohl weiter:
Seine Intuition wurde der unbekannte Faktor in meinen Berechnungen. Bis zuletzt glaubte Hitler an Astrologie, und die Nachfrage nach meinen Berichten rieß nicht ab. Mehr als einmal konnten wir einige taktisch unberechenbare Züge Hitlers vorhersagen.

25. September 1939: Die "Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" macht das Propagandaministerium auf Möglichkeiten der Auslandspropaganda mit Hilfe des Nostradamus aufmerksam

Am 25. September 1939 oder einige Tage früher beginnt ein neues Herangehen von okkulter Seite an die Reichsführung, hier an das Propagandaministerium. Konrad Schuppe, der Präsident der "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus", in deren Auftrag nur zwei Monate später der Schweizer Astrolge Karl Ernst Krafft arbeiten wird, und die wir weiter unten deshalb noch genauer behandeln werden, schreibt in seinem regelmäßigen Bericht an den Berliner Polizeipräsidenten (wie von van Berkel berichtet):

In an addition to his report of September 19, 1939 about the activities of the Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus, her president Konrad Schuppe, Oberleutnant a.D. wrote on September 25, 1939 to the Berlin police commissioner that on that day, he had handed over the comment of Loog and Kritzinger on the decline of England, dating from 1922 (Mysterien von Sonne und Seele) to an employee of the ministry of Propaganda. Quoting the relevant parts on page 136, Schuppe emphasized that the figure 1939 was in bold printing. The employee of the ministry of Propaganda urged Schuppe to give a lecture on this for employees of the Auslandpresse and told that communications about this would be broadcasted in English language in England, given the fact that a significant part of the British people were quite superstitious (Landesarchiv Berlin, A Pr.Br. Rep. 030-04 Nr. 327). It is not noted in this file whether or not Schuppe gave the lecture.

Nur wenig später tritt der Schweizer Astrologe Karl Ernst Krafft in das Blickfeld der nationalsozialistischen Führungskreise, bzw. wird in ihr Blickfeld geschoben. Man darf annehmen, daß sein "Ins-Blickfeld-Schieben" parallel geplant und umgesetzt worden ist, wie dieser Hinweis auf Nostradamus von Seiten des Konrad Schuppe. Womöglich gehen beide Aktionen letztlich von denselben (satanistischen) "inneren Forschungskreisen" der "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" aus (siehe unten).

Karl Ernst Krafft - der "Hofastrologe" Adolf Hitlers 

Abb. 11: Der Astrologe Karl Ernst Krafft

Der Astrologe Karl Ernst Krafft (1900-1945) (s.a. Astrowiki) steht im Mittelpunkt des informationsreichen Buches "Uranias Kinder" des vormaligen - allerdings offenbar nur in untergeordneten Stellungen tätig gewesenen - britischen Geheimdienstmitarbeiters Ellic Howe. Dieses Buch scheint vor allem zu dem Zweck geschrieben worden zu sein - oder seine Erarbeitung scheint vor allem durch Dritte zu dem Zweck gefördert worden zu sein -, die vielen Gerüchte im In- und Ausland, die sich spätestens seit 1939 um den Schweizer Astrologen Karl Ernst Krafft als den "Hofastrologen Hitlers" woben, zu zerstreuen.

Es sollte aber berücksichtigt werden, daß der kenntnisreiche, ariosophische Hamburger  Kriminal- und Geheimdienst-Astrologe Wilhelm Wulff in seinen Erinnerungen über Ellic Howe schreibt (S. 109) (Hervorhebung nicht im Original):

Mein Freund Ellic Howe hat in seinem Buch "Urania's Children" (...) (1967) diese Geschichte (der persönlichen Kontakte zwischen Krafft, Heß und Hitler) als die "Krafft-Legende" entlarvt. (...) Ellic Howe hat für seine Thesen gute Gründe; trotzdem bleibt das Ausmaß von Kraffts Tätigkeit für die Nazis undurchsichtig.

Wer sollte das wohl besser wissen, als ein Wilhelm Wulff, der mehr als ein Jahr sehr intensiv in der gleichen Weise für Heinrich Himmler gearbeitet hat, wie es vielfach Krafft unterstellt wurde in seiner Arbeit für Hitler, und dessen Gestapo-Kundschaft 1933 über ihn, Wulff, als Nachfolger von Hanussen nachgedacht hat, und der für Heydrich, Himmler und Schellenberg das (sehr schlechte) Horoskop Hitlers und anderer ausarbeitete? Auch Stephan Berndt macht darauf aufmerksam, daß die Tatsache, daß Himmler Krafft nicht helfen konnte, weil er nicht gegen Hitlers Wünsche arbeiten konnte, darauf hinweist, daß es doch engere Beziehungen zwischen Krafft und Hitler gegeben haben muß, als nach Ellic Howe's Untersuchungen nachweisbar oder auch nur plausibel zu sein scheint. 

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab der vormals ariosophische Astrologe und Hellseher Carl Heinrich Huter (geb. 1898) die astrologische Wochenzeitschrift "Das Neue Zeitalter" (DNZ) heraus, die bis in die 1970er Jahre eine Auflage von mehr als 100.000 Exemplaren hatte. Howe meint, in vielen ihrer Artikel würden "Wahreit und Fiktion Seite an Seite" stehen, so der letzte Satz seines Buches (S. 312). In dieser Zeitschrift erschien 1949 eine Artikelserie, deren Grundthese Howe offenbar mit seinem Buch zerstreuen wollte, die einem aber mehr als plausibel erscheinen muß. Howe schreibt darüber im letzten Absatz seines Buches (S. 312):

Besonders bemerkenswert ist eine Serie, die 1949 in der DNZ erschien. (...) Angeblich beruhte dieser Bericht auf Kraffts Tagebüchern, in deren Besitz sie seien. Das Tagebuch war reine Erfindung. Diese phantastische Serie beschrieb Begegnungen von Krafft und Goebbels, die nie stattgefunden hatten, und schilderte eine imaginäre Liäson Kraffts mit einer Dame namens Karin Markow. Sie sei eine Geheimagentin im Dienst der Briten gewesen, die ihre Instruktionen von de Wohl bekommen habe.

Woher Ellic Howe weiß, daß das Tagebuch und die Geheimagentin Karin Markow reine Erfindung gewesen sind, sagt er mit keinem Wort. Gerade seine wenig begründeten apodiktischen Urteile diesbezüglich machen  ihm gegenüber mißtrauisch, so wertvoll sonst das von ihm zusammengetragene Material ist. - - - Ellic Howe beschreibt zunächst sehr detailliert den Lebensweg von Karl Ernst Krafft (1900 - 1945) (s.a. Astrowiki) zwischen 1900 und 1938/39, als Krafft so überraschend und auffällig plötzlich durch das Reichssicherheitshauptamt rekrutiert wird. Howe stellt den Lebensweg von Krafft als einen reichlich "vermurksten" dar, jedoch geprägt von dem krankhaften Ehrgeiz, sich einen "Namen" in der wissenschaftlichen - oder zumindest in der astrologischen - Welt zu machen.

Der mit einer "gnomenhaften Gestalt" (S. 177) versehene Krafft stammte aus einem sehr wohlhabenden aber zugleich sehr schwierigen Schweizer Elternhaus. Beim Tod seiner Schwester hielt die Familie okkulte Seancen ab. Das war sicherlich einer der auffälligeren ersten Berührungspunkte Krafft's mit dem Okkultismus (S. 176). Sein Vater wollte jedoch, daß er einen "ordentlichen" Beruf und eine "normale" Lebensstellung erlangen würde und finanzierte ihm ein Studium, das Krafft - zum großen Ärger seines Vaters, auf dessen Tasche er lange Jahre lag - niemals abschloß. Denn der Filius vertiefte sich immer tiefer in astrologische "Forschungen" und glaubte ständig, vor einem neuen wissenschaftlichen "Durchbruch" zu stehen.

Die Universitäten wollen von den "Forschungen" Kraffts nichts wissen

Durch seine astrologischen Veröffentlichungen, denen er - im Gegensatz zur "traditionellen Astrologie" - einen gewissen "wissenschaftlich-statistischen" Anstrich zu geben wußte, verstand Krafft es, sich zumindest in astrologischen Kreisen einen sehr guten Namen und ein großes Ansehen zu verschaffen. Diesen Umstand, der doch auch allzu deutlich auf die NS-Führung selbst gewirkt hat (auf die okkulte Umgebung von Heß vor allem) stellt Howe keineswegs genügend heraus. In astrologischen Kreisen gab es ja noch allerhand mehr "Krausköpfe" außer Krafft selbst. Kraffts Versuch, mit seinen astrologischen Forschungen an einer Universität - sei es in der Schweiz, sei es in Frankreich, sei es in England - wenigstens einen geisteswissenschaftlichen Abschluß zu erlangen, schlug trotz wiederholter ernsthafter Versuche fehl. Obwohl - oder weil - er es dabei auch mit solchen Kapazitäten zu tun hatte wie den naturwissenschaftlich orientierten britischen Psychologen Karl Pearson (Galton-Institut, London) (bei ihm versuchte noch der Begründer der Soziobiologie, William D. Hamilton, Anfang der 1960er Jahre zu promovieren) und Cyril Byrt. Auch bei Astronomen konnte er mit seinen statistischen "Forschungen" bei aller Hartnäckigkeit auf Seiten Kraffts nicht landen.

Selbst bei dem der Astrologie aufgeschlossen gegenüber stehenden C. G. Jung konnte Krafft - zu seinem großen Ärger - trotz wiederholt anfragender Briefe, die nicht beantwortet wurden - lange Zeit nicht landen.  Es kam aber dann schließlich doch zum persönlichen Gespräch zwischen Krafft und Jung. Ein Namhafterer, dem es schon früh gelang, den Veröffentlichungen Krafft's Positives abzugewinnen, war der - freilich seinerseits ebenfalls recht "vielseitige" - Graf Keyserling in Darmstadt. Er führte mit Krafft einen regen Briefwechsel. Keyserling empfahl Krafft sogar weiter an den Schweizer Diplomaten Jacob Burckhardt. Doc Howe stellt stattdessen stärker heraus, daß Graf Keyserling in seinem Briefwechsel mit Krafft schließlich ab Mitte der 1930er Jahre die sogar ihm nun wenig verständlich gewordenen "Forschungen" von Krafft ablehnen würde.

Ein Mitarbeiter Kraffts (Tappolet) berichtet über denselben: "Ich kann seine Feindseligkeit der ganzen Welt gegenüber kaum beschreiben." Viele berichten, daß ihre Begegnung mit Krafft zu den menschlich negativsten Erlebnissen ihres ganzen Lebens gehörte. Andere beschreiben Krafft aber auch als liebenswürdig (besonders jene, die die "Forschungen" und Theorien Kraffts nach 1945 weiterverfolgten).

In führender Stellung in Personalabteilungen Schweizer Firmen

Mit seinen graphologischen und astrologischen "Kenntnissen" erlangte Krafft durch Vermittlung seines Vaters - und solange sein Vater lebte - einen beruflich recht gehobenen Wirkungskreis. Nämlich in der Personalabteilung eines Schweizer und eines Pariser Verlags- und Kaufhauses, sodann in einer theosophischen Buchhandlung in Lausanne, sodann als vielreisender Redner in einem sich um ihn bildenden astrologischen Sympathisanten- und Verehrerkreis in Lausanne, in Mannheim und schließlich in Berlin. In diesem Anhänger- und Sympathisatenkreis gewann er auch Kunden für einzelne, recht teure graphologische und astrologische Privatgutachten. Und für diesen Anhänger- und Sympathisantenkreis gab er schließlich auch regelmäßig (monatlich) versandte astrologischen “Wirtschaftsberichte und kulturpoliti­schen Studien“ heraus. Unter anderem über diese wurde schließlich das Reichssicherheitshauptamt auf ihn aufmerksam.

Nach dem Tod seines Vaters glaubte Krafft ein üppiges finanzielles Erbe mit Hilfe seiner astrologischen "Kenntnisse" über Börsenspekulationen vermehren zu können. Lächerlicherweise und zu seinem Ärger geschah aber das genaue Gegenteil und in den Jahren 1938 und 1939 mußte er sich zusehends nach neuen Geldgebern umsehen. Und da er nicht zurück in die Schweiz wollte, weil er sich dort mit zu vielen Leuten überworfen hatte, kamen ihm sicherlich Verbindungen zu Rudolf Heß, zu dem nachmaligen rumänischen Diplomaten Tilea, zum Reichssicherheitshauptamt in Berlin, zum Propagandaministerium und zur "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" wie gerufen. So zumindest der Tenor von Howe der allerdings so tut, als wüßte er gar nichts von der "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" des Konrad Schuppe, den er in einem Absatz erwähnt.

Der indische Astrologe B. Venkata Raman über Hitler's Astrologen

Abb.: B. Venkata Raman
In seinem Buch "My Experiences in Astrology" (- The Autobiography of a Vedic Astrologer. 1985; 1992; South Asia Books, 1995; UBS Publishers 2011) berichtet der in astrologischen Kreisen sehr bekannte und angesehene indische Astrologe Bangalore Venkata Raman (1912-1998) (Astrowiki), der 1976 sogar vor den "Vereinten Nationen" einen Vortrag über Astrologie hielt,  über seine frühen Kontakte zu europäischen Astrologen unter anderem folgendes:
The most important contact was with Herr Kraft (sic!) referred to by European astrologers as "Hitler's personal astrologer". It was Kraft who sent me the correct birth details of Hitler. In his correspondence with me, Kraft had shown himself to be an expert in western Astrology. In fact he presented me with a copy of his latest book on Astrology written in German. Hitler was still a non-entity though his name was becoming popular. In 1940 or 1941 Kraft and other leading German astrologers were put in concentration camps "by Hitler and all the published astrological literature including my own book in German Indische Astrologie were seized and several thousands of copies destroyed.
Another well-known German astrologer who merits attention and with whom I was in touch for a long time was A. M. Grimm who considered grandfather as his Guru. 

Dieser Kontakt Kraffts zu einem indischen Astrologen wird von Ellic Howe gar nicht erwähnt. Auch der Astrologe Alfred Max Grimm stand der "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" (wie Krafft) nahe und wurde von dieser koordiniert (siehe unten). Womöglich gab es in dieser noch mehr, die den Großvater dieses Raman als "Guru" betrachteten. Auf Astrowiki heißt es über diesen Großvater Bangalore Suryanarain Rao (1856 - 1937):

Suryanarain Rao ist der erste Astrologe des modernen Indiens, der auch außerhalb der Landesgrenzen bekannt wurde. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichte er astrologische Schriften, die bis dahin nur in Sanskrit vorlagen, in englischer Sprache, das erste Werk erschien 1882. Verdient hat er sich um die Übersetzung klassischer indischer Astrologiewerke ins Englische gemacht. Am bekanntesten ist seine Übertragung des indischen Astrologiewerks Brihat Jataka von Varaha Mihira geworden.
Sein Enkelsohn schreibt nun noch weiter an anderer Stelle:
My forays into political astrology had started with the collection of data of the founding of nations and horoscopes of world leaders. The Dutch astrologer Karl Kraft had supplied me with authoritative birth details of Hitler, Mussolini and other European leaders.
An anderer Stelle schreibt B. Venkata Raman, in vielen Angaben oft etwas ungenau - aber vom Tenor her in Übereinstimmung mit anderen Angaben:
What could be of interest to the astrological savants is the employment of the services of astrologers by the Allies to aid them in anticipating the moves of Hitler, which were based mostly on the astrological counsel tendered by Hitler's personal astrologers.

Years earlier i.e., probably in 1936-37, I was in touch with the well-known Dutch astrologer Karl E Kraft He had written to me in one of his letters, enclosing a copy of his book on Astrology in German language, that Hitler had been interested in Astrology for a long time. It seems one of his astrologers Baron Sobotendoroff warned Hitler against undertaking "anything of major importance" in November 1923. Hitler appears to have neglected the warning and undertook his famous beer cellar Putsch. (...) He shared his prison cell with Rudolf Hess who reminded him of Sobotendorffs prediction. Hitler's interest in Astrology increased and he started studying the subject and from then on had a number of experts to advise him. It might interest my readers to know that the Fuehrer had Astrology officially recognised. In fact he sent a personal telegram of good wishes to the astrologers' congress held in Dusseldorf in 1937.

(Zeitlich zuletzt eine falsche Angabe, siehe oben - aber sonst womöglich richtig.)

Zwei deutsche Anhänger, Mitarbeiter und Nachfolger Kraffts

Zwei Ingenieure und Astrologen, der Mannheimer F. G. Goerner (1898 - 1979) und Georg Lucht, gehörten zum Freundes- und Verehrerkreis des Schweizer Astrologen Krafft und setzten seine Theorien und Forschungen noch nach 1945 in abgewandelter Weise fort. Howe berichtet über Goerner (S. 203):

Die astro-statistischen Artikel Kraffts, die er ein oder zwei Jahre später (nach 1926) erstmals las, machten einen so großen Eindruck auf ihn, daß er Krafft geschrieben hatte. Er hatte sich inzwischen entschlossen, hauptberuflich astro-graphologischer Berater zu werden und die nötigen Kenntnisse dafür autodidaktisch zu erwerben. Er erzählte mir, Krafft habe ihm regelmäßig Kopien seiner psychologischen Gutachten für "Globus" geschickt, die ihm als Anleitung für die eigene Arbeit gedient hätten.
Im Jahr 1931 lernten sie sich persönlich kennen (Howe, S. 178). Nach dem Deutschen Astrologen-Kongreß von Wernigerode im Jahr 1935 half Goerner Krafft dabei, um sich innerhalb Deutschlands einen astrologischen Freundes- und Verehrerkreis aufzubauen, für den Krafft künftig Vortragsreisen machte und einen politisch-astrologischen Rundbrief herausgab (S. 203).

Georg Lucht hatte Krafft auf dem Deutschen Astrologen-Kongreß von 1936 in Düsseldorf kennengelernt, weilte im Januar 1940 "zufällig", ohne - als Ingenieur - im Kriegseinsatz zu stehen, in Berlin und wurde dann vom Januar bis 2. April 1940 Kraffts engster Mitarbeiter (S. 233). Goerner sollte später mit Krafft im Konzentrationslager zusammenarbeiten. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten sie inhaltlich auf seinen "wissenschaftlichen" Grundlagen weiter. Auf Astrowiki heißt es über Goerner:
1948 gründete er zusammen mit seiner Frau Ruth und Georg Lucht das Forschungsteam G2L. (...) Goerner hielt Vorträge auf astrologischen Fachtagungen, z. B. der Tagung für Kosmobiologie 1949, unter dem Signum G2L wurden Beiträge in der Zeitschrift Kosmobiologie veröffentlicht.
Im Juli 1961 befragte Ellic Howe Goerner über seine Zusammenarbeit mit Krafft und bekam auch ein Memorandum von Lucht über dessen Zusammenarbeit mit Krafft (Howe, S. 167f). Aus diesem "Memorandum" führt Howe immer wieder wesentlichste Tatsachen an. Er schreibt selbst (S. 168):
Das erwies sich als ein äußerst wichtiges Dokument.
Warum er Lucht nicht selbst persönlich sprechen konnte, schreibt Howe nicht. Leider zitiert Howe auch aus diesem Memorandum nur wenig im Wortlaut, geschweige, daß er es, angesichts der Bedeutung, die demselben wohl in der Tat zuzusprechen ist, vollständig abdrucken würde. Howe scheint diesem Memorandum von Georg Lucht reichlich unkritisch gegenüber zu stehen und sich seinem Tenor vollständig anzuschließen. Gerade dieses "Memorandum" scheint die Grundthese seines Buches zu stützen, daß es keine Arbeit des Krafft für Adolf Hitler persönlich gegeben habe, obwohl davon vor und nach 1945 so viele Leute in diplomatischen und astrologischen Kreisen ausgegangen sind (wie wir sehen werden).

Daß jedoch Astrologen, die in enge Berührung kamen mit der Führungsspitze des Dritten Reiches (mit Heß, Hitler, Goebbels, dem Reichssicherheitshauptamt, dem Auswärtigen Amt), die für den Nationalsozialismus und den Kriegserfolg des Dritten Reiches im Ausland Propaganda machten, ja, die noch geschichtsentscheidenderen Einfluß auf wesentlichste politische und militärische Entscheidungen genommen haben könnten, als dies Wilhelm Wulff 1944/45 gegenüber Heinrich Himmler versucht hatte (recht deutlich im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes in der Schweiz), daß solche Astrolgen dazu neigen können, ihre eigene Rolle und die ihrer "Lehrer" herabzuspielen, ja, ganz ins Gegenteil zu verkehren (wie das so viele Menschen gerade auch im Umkreis von Okkultlogen nach 1945 so unverfroren taten, ohne daß das von vielen kritisch hinterfragt worden wäre), gerade dieser Möglichkeit geht auch der Historiker und Gehiemdienstmann Ellic Howe an keiner Stelle nach. Das ist dann schon reichlich naiv. Bzw. bezeichnend, wo doch gerade Howe Sensibilität besitzen müßte für das Wirken satanistischer Okkultlogen, deren Geschichte er in anderen seiner Bücher untersucht ....

Genau unter diesem Blickwinkel aber sind im folgenden seine Forschungen und Mitteilungen noch einmal völlig neu und ebenso detailliert zu sichten, wie sie auch Howe vorgetragen hat. Denn die offensichtlich abgekartete astrologische Auswertung des Elster-Attentats auf Hitler im November 1939 in Verbindung mit so vielen anderen Hinweisen sind doch ein allzu deutlicher Hinweis darauf, daß der britische Geheimdienst in Verbindung mit dem Reichssicherheitshauptamt ein ähnliches Spiel gespielt hat wie mit dem okkulten Umfeld von Rudolf Heß und Heinrich Himmler. Wie sollte es denn auch anders sein?

Frühjahr 1937: Krafft beeindruckt den rumänischen Diplomaten Tilea mit seinen "Fähigkeiten"

Um wen handelt es sich bei diesem Tilea? Der Botschafter Rumäniens in London von 1938 bis 1940 Virgil Tilea (1896 - 1972) hat nicht nur in der sogenannten "Tilea-Affäre" vom 17. März 1939  (siehe unten) provozierende Informationen weitergegeben, die dann von England als Signal und Auslöser für das Ende seiner Appeasement-Politik gegenüber Deutschland benutzt wurden, sondern er hatte schon seit 1937, als er noch gar kein offizielles Amt innehatte, den Kontakt zu dem von ihm persönlich als unsympathisch empfunden Astrologen Krafft aufrecht erhalten (S. 234ff). Womöglich auf Veranlassung irgendwelcher Geheimdienste, sei es des rumänischen, sei es des britischen oder welches anderen immer. Howe berichtet jedenfalls (S. 235):
Im Frühjahr 1937 hatte sich Tileas erste Frau in der Bircher-Benner-Klinik in Zürich einer Behandlung unterzogen, und er (Tilea) hatte sie dorthin begleitet. Dr. Franklin-Bircher hatte ihm vorgeschlagen, Krafft kennenzulernen. Tilea interessierte sich zwar nicht besonders für Astrologie, willigte aber ein. Als er Krafft begegnete, mochte er ihn nicht. (...) Krafft bot ihm an, sein Horoskop zu erstellen, und Tilea akzeptierte sein Angebot. Er erwartete nicht viel von diesem seltsamen und ihm neuen Verfahren, war jedoch beeindruckt, als Krafft ein paar Tage später Informationen über sein Vorleben lieferte, von denen er eigentlich nichts hätte wissen können.
Womöglich war Tilea auch nur beeindruckt, von etwaigen weitreichenden Geheimdienst- und Geheimgesellschafts-Kontakten Krafft's, die dieser damit bewiesen hatte, weshalb Krafft für den Diplomaten Tilea weiterhin "interessant" bleiben konnte. Das ist zumindest eine Möglichkeit der Deutung der weiteren Vorgänge. Von  nicht geringem Interesse dürfte auch sein, daß hier der Erfinder des Birchermüslis, der Schweizer Sanatoriumsleiter und Ernährungsreformer Maximilian Oskar Bircher-Benner (1867 - 1939), bzw. wohl eher einer seiner beiden Söhne ins Spiel kommt. Prominente Sanatoriumsgäste dort waren auch Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse und Wilhelm Furtwängler. Es handelt sich offenbar um ein ähnliches Sanatorium in ähnlichen lebensreformerischen (und damit buddhismus-nahen?) Netzwerken wie jenes des einflußreichen buddhistischen Astrologen, Ideologen und Naturarztes Karl Strünckmann in Bad Harzburg. Letzterer brachte 1932 das Buch "Adolf Hitler und die Kommenden" heraus.

In seinem Buch "My Experiences in Astrology" (- The Autobiography of a Vedic Astrologer. 1985; 1992; South Asia Books, 1995; UBS Publishers 2011) berichtet der schon erwähnte indische Astrologe B. Venkata Raman über die von ihm in der Nachfolge seines Großvaters herausgegebene Zeitschrift "The Astrological Magazine" (Hervorhebung nicht im Original):
In the October-December 1937 issue of "The Astrological Magazine" in my leading article, "Hitler, Mussolini and World Peace" in which, after analysing the charts and indicating that a European War was likely in 1939, I had said: "The nativities of Mussolini and Hitler will drift Europe towards a dangerous zone. It now remains for countries with wise statesmen, to set right the equilibrium in European politics. Note the Emperor of Japan's horoscope and see how Italy, Germany and Japan, with absolute impunity break the public law of the world".

In dieser Zeitschrift hatte er sich zuvor schon mit dem Abbessinien-Krieg Mussolinis beschäftigt.

Die "Weltpolitische Monatsberichte" des astrologiegläubigen Karl Haushofer 1937 bis 1939

Nicht auszuschließen ist, daß auch die "Weltpolitischen Monatsberichte" von Karl Haushofer, die von 1937 bis August 1939 in der wöchentlich erscheinenden Fachzeitschrift "Deutsche Justiz" erschienen (1937, S. 203 - 205, 323 - 325, 515 - 517, 755 - 757, 826f, 1010f, 1161 - 1163, 1365 - 1367, 1545, 1716 - 1718, 1859f; 1938, S. 50f, 161f, 349 - 351, 523 - 525, 730 - 732, 871 - 873, 1039 - 1041, 1248 - 1250, 1400 - 1402, 1606 - 1608, 1768f, 1962 - 1964; 1939, S. 60 - 62, 233 - 235, 403 - 405, 626f, 756f, 1009 - 1011, 1151 - 1153, 1291 - 1293 ), auch von dem zuletzt angeführten indischen Astrologen beeinflußt gewesen sind.

März 1938 - "Das Jahr des Tigers"

Denn in der Folge vom 4. März 1938 dieser Fachzeitschrift, beginnt Karl Haushofer seinen Monatsbericht mit den Worten (S. 349; zit. auch bei Rehwaldt, Weissagungen, 1939, S. 112f):

Immer deutlicher offenbart sich, je mehr es gegen das Frühjahr zugeht, 1938 als das "Jahr des Tigers". Der Tiger ist sein Wappentier nach der Rechnung des alten ostasiatischen Tierkreises, wie es 1937 der Stier gewesen ist. Der Tiger, japanisch Tora, ist, wie die deutsch-japanischen Nachrichten mit Recht vermelden, "ein Tier von großer Kraft und Wildheit, und das Jahr, das seinen Namen trägt, ein Jahr des Fortschritts und des Erfolges, in dem Himmel und Erde in neuem Glanze und neuem Tatendrang erstehen, ein positives Jahr voller Tätigkeit." "Der Tiger kennt keine Furcht vor Mißerfolgen"; er gilt als ein guter Läufer und sein Jahr soll, nach dem Volksaberglauben, den einzigen Fehler haben, "daß allzu sorgloses Voranstürmen unangenehme Folgen haben kann".

Die beiden Zitate von Haushofer und dem indischen Astrologen haben jedenfalls manche Ähnlichkeit miteinander. Der Okkultismus-Kritiker und dem Dritten Reich distanziert gegenüberstehende Kriegswarner Hermann Rehwaldt schreibt zu dem eben gebrachten Zitat Haushofers ein Jahr später, in seiner in den ersten Septembertagen 1939 ausgelieferten Schrift "Weissagungen" (S. 113):

Wie die Ereignisse in West und Ost beweisen, hat man sich nach diesen Erwägungen in der politischen Entwicklung gerichtet.

Wahrhaftig! Und zum Zeitpunkt der Auslieferung seiner Schrift sollte sich das noch mehr bewahrheitet haben. In der Tat lesen sich diese Worte so, als hätte sich Adolf Hitler genauestens an sie gehalten, und als wären sie genau auf ihn zugeschnitten. Deshalb wahrscheinlich auch sind sie in der vor einem neuen Krieg warnenden, Anfang September 1939 ausgelieferten Schrift von Hermann Rehwaldt zitiert worden. Übrigens war der weitere Text von Haushofer ebenso "interessant":

Ist es unter solchen Verhältnissen ein Wunder, wenn eine zugleich vorsichtige wie tatenfrohe Regierung wie die deutsche, die eine oder andere Wache an Bord auswechselt, das laufende Takelwerk ihres Staatsschiffes neu verstrafft und dafür sorgt, daß jedermann auf seinem posten steht? So geschehen!

So wie Worte von Haushofer zu der folgenschweren Blomberg-Fritsch-Krise von 1938. Haushofer ist also bester Dinge und bester Laune angesichts dieser Ereignisse! Eine Seite weiter heißt es ebenso frohgemut nach Behandlung der Mächte der "kleinen Entente" (S. 350):

So zeigt eine weltpolitische Überschau auf den nahenden Frühling des Tigerjahres schon wieder eine große Bestätigung des deutschen politischen Geographen Friedrich Ratzel mit seinem "Gesetz der wachsenden Räume". In dem Augenblick, wo Lebensfragen wirklich ihrer ganzen Kraft zusammengefaßter Großvölker und Riesenräume ins Spiel treten, müssen die Kleinen ihr Sonderspiel zurückstellen, müssen die Segel festmachen für die Stürme, die aus dem Zusammenprall der Großen kommen und neue Verteilungen der Erde vorauskünden. Solche haben der indische Volksführer, die japanischen Samurai am Ruder des Staates und der Duce Italiens den ihrigen in viel offenerer Sprache vorausgesagt als je die mit so viel mehr Vorsicht und Rücksicht auf die Menschheit und ihren Friedenswunsch handelnden Führer des Dritten Reiches. Auch sie aber haben ihr Volk so erzogen, daß es auch ohne lärmende Vorbereitung weiß, wann es bereit zu sein hat und was rings um die Erde auf dem Spiel steht!

Wahnsinn. Das ist sicherlich eine der rückhaltlosesten Unterstützungen der imperialistischen Politik Hitlers und der anderen genannten Mächte, die damals im deutschen Sprachraum veröffentlicht worden ist.

Jedenfalls geben diese Zitate vom 4. März 1938 Anlaß, sich diese "Weltpolitischen Monatsberichte von Prof. Dr. K. Haushofer" in der Zeitschrift "Deutsche Justiz" doch noch einmal genauer anzusehen und durchzusehen. Zumal Haushofer in der hintergrundpolitikkritischen Literatur zum Dritten Reich (etwa in dem Buch "Das schwarze Reich" und anderwärts) eine nicht geringe Rolle zugesprochen wurde, und zumal Haushofer, wie wir sehen werden, eine noch größere Rolle zugesprochen wurde von dem astrologischen Abwehroffizier des britischen Geheimdienstes Louis de Wohl (siehe 4. Teil). Diese "Monatsberichte" wurden erstmals Anfang 1937 in dieser Zeitschrift - in der Rubrik "Was den Juristen interessiert" - abgedruckt und dabei folgendermaßen eingeleitet (1937, S. 203):

In jedem Monat gibt Generalmajor a. D. Professor Karl Haushofer, der Präsident der Deutschen Akademie der Wissenschaft, vom Reichssender München aus einen kurzen geopolitischen Überblick über die weltpolitische Lage. Professor Dr. Haushofer und die Leitung des Reichssenders München haben uns liebenswürdigerweise die Genehmigung erteilt, diese Vorträge in der "Deutschen Justiz" zu veröffentlichen. (...)
Die Schriftleitung.

Diese Monatsberichte atmen - wie schon das gebrachte Zitat - rückhaltlose Unterstützung, ja, Anfeuerung der antibolschewistischen Politik der Länder Italien, Deutschland und Japan in Spanien, in Asien und wo immer sonst in der Welt und wo immer sich ein solcher Geist auch in der englischsprachigen Welt findet. Etwa in Südafrika oder in der britischen Hochkirche (so in der Folge vom 5. Februar 1937, S. 203 - 205). Der Monatsbericht in der Folge vom 26. Februar 1937 (S. 323) beginnt mit den Worten:

Das Jahr der Klärung - wie wir 1937 an seiner Schwelle nannten - macht weiterhin diesem Namen Ehre.

Also auf "Das Jahr der Klärung" 1937 folgte "Das Jahr des Tigers" von 1938. In diesem Monatsbericht von 1937 heißt es unter anderem (S. 324):

Japan hat sich wieder einmal in gespannter Zeit seiner ministeriellen Bekleidungsstücke entledigt und einen neuen Menschen mit strafferer Außenpolitik und entschlossener Wehrhaltung angezogen. Wer im Westen die "Samurai" als eine veraltete Museumseinrichtung belächelte, dem konnten am Jahrtag des Aschermittwoch von 1936 manche ernste Gedanken kommen.

Und etwas später nach einem Zitat aus dem Manifest einer japanischen "Reichserneuerungsgruppe":

So erklingt auch von dort die Symphonie von Blut und Boden.

März 1937: Die "reinsten Höhen der Menschheit", "aus denen die Erkenntnis des wirklichen Geschehens hinter den Tagesereignissen rinnt"

In seinem März-Bericht (veröffentlicht in der Ausgabe vom 2. April 1937) befaßt sich Haushofer vor allem auch mit Indien (S. 516f):

Einen solch düster-rot glühenden Horizont bedeutet für England Indien seit den Wahlen. (...) Tatsache ist leider, daß es die Sowjetpropaganda verstanden hat, Jungindien gegen Faszismus und Nationalsozialismus so gründlich zu verhetzen, daß die dümmsten Lügen geglaubt werden.

Und im unmittelbaren Anschluß daran heißt es abschließend bedeutungsschwanger in Bezug auf einen sowjetfreundlichen Richtungswechsel in der offenbar bis dahin von Haushofer geschätzten amerikanischen außenpolitischen Zeitschrift "Pacific Affairs":

So ändern sich die Quellen, aus denen die Erkenntnis des wirklichen Geschehens hinter den Tagesereignissen rinnt, unter den Händen; es gehört mit zu den mühseligsten Vorarbeiten, Brunnen- und Quellenveränderung oder Vergiftung rechtzeitig wahrzunehmen, und vor schädlichem Trunk zu warnen. Auch im geistigen Hochland können Quellen vergiftet sein, selbst in scheinbar reinsten Höhen der Menschheit!

Wie auch aus Äußerungen im Juli 1938 geschlußfolgert werden kann (siehe unten), rechnet Haushofer die Zeitschrift "Pacific Affairs" und ihren Herausgeber, den us-amerikanischen Mongolei-Spezialisten Owen Lattimore zu den "scheinbar reinsten Höhen der Menschheit". Aber eigentlich ist doch nicht ganz klar, ob Haushofer diese Zeitschrift oder die geistige Welt "Indien" insgesamt - oder beide - zu den "scheinbar reinsten Höhen der Menschheit" zählt, "aus denen die Erkenntnis des wirklichen Geschehens hinter den Tagesereignissen rinnt", und die vor Brunnenvergiftung nicht gefeit wären. Womöglich hat er hier Zusammenhänge gesehen.

Mai 1937: Das "Schicksal" Sowjetunion betritt durch die Hintertür die Weltbühne

In der Folge vom 14. Mai 1937 heißt es raunend (S. 756):
Es sind aber oft die unscheinbaren Türen, durch die das Schicksal auf die Weltbühne tritt.

Wer denkt hier nicht an den Begriff der "Hintertür zum Krieg", der auf den Kriegseintritt der USA 1941 gemünzt ist, aber hiermit offenbar Vorläufer hatte. Im weiteren spricht Haushofer nämlich von den sowjetischen Aktivitäten von Murmansk und Archangelsk aus in Richtung auf die "fast ungeschützten schwedischen Erzfelder". Im Hintergrund dieser Ausführungen steht sicherlich die Vorbereitung Deutschlands und/oder andere antibolschewistische Länder, auf die "geopolitische Notwendigkeit", früher oder später nach Skandinavien ausgreifen zu müssen. (So wie es dann ja auch wenige Jahre später geschah). Und weiter schreibt Haushofer über die Sowjetunion in ihrer Rolle als uralter Gegner Englands in Indien:

Jetzt erschüttert der uralte Gegner auf seinem asiatischen Machtweg Indiens Tore und zugleich sein innerstes Gefüge. Das ist der letzte Sinn des Widerstandes der Kongreß-Partei unter Jawaharlal Nehru gegen die aufgedrängte Verfassung und des gleichzeitigen (britischen) Krieges in (Indien-)Wasiristan (...), ohne daß der Widerstand des Fakir von Ipi gebrochen wäre.

Hier in Indien und in den "reinsten Höhen der Menschheit" sieht Haushofer ja gefährliche Quellenvergifter am Werk, denen sich nun nicht nur er selbst, sondern auch Nehru und ein indischer Fakir entgegensetzen würden.

Juni 1937: "Der Bau von Imperien kostet Lehrgeld"

Im Juni-Bericht (veröffentlicht in der Folge vom 2. Juli 1937) scheint Haushofer Hitler direkt anzusprechen, wenn er schreibt (S. 1011):

Der Bau von Imperien kostet Lehrgeld. Das erfuhr Britannien im Burenkrieg, Deutschland in Süd-West, Japan in der Mandschurei und vor Shanghai und Italien in Aethiopien. 

Natürlich haben alle Leser, die von dem gleichzeitigen Einsatz der deutschen Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg wußten (über den in der deutschen Presse nicht berichtet werden durfte, in und mit der aber auch neue Waffen und Kampftechniken getestet wurden), diesen an dieser Stelle mitdenken dürfen. Um dann Haushofer weiter zu folgen:

Es ist ein Vorteil der Zeitgeschichte, daß diese Erfahrungen immer schneller auch für andere zugänglich werden, wenn sie sich nur rechtzeitig darum kümmern. Politische und Wehrwissenschaft erspart Blut und Gold.

Und einen Satz weiter:

Europas Kleinräumigkeit und Zergrenzung ist ein böses Hemmnis, am meisten im Südosten.

Wenn das nicht als Aufforderung beim "Bau von Imperien" aufzufassen war! Haushofer kommt dann auf das Verbot der faschistischen Schwarzhemden in Rumänien zu sprechen, mit denen ja auch der Astrologe Krafft befaßt war.

Immer wieder einmal bringt Haushofer verführerische Äußerungen britischer Politiker und Kirchenmänner, die sich anerkennend über die Leistungen Deutschlands und Adolf Hitlers auslassen, die aber schon damals - und wie 1941 auch bei Rudolf Heß - zu sehr vergessen machen konnten, daß der große Chor der Stimmen, die sich in England äußerten, ganz anders geartet war. Allzu deutlich förderte Haushofer also mit seinen Berichten jene Illusionen über eine "Nichteinmischung" Englands, die ja bekanntermaßen auch Ribbentropp bei Hitler förderte, als daß er vor einer solchen gewarnt hätte.

Oktober 1937: Deutschland muß sich klug, geduldig, kraftsparend verhalten

Beim Studium solcher "Monatsberichte" stellt sich immer mehr tatsächlich die Frage: Tappte Hitler am Gängelband solcher "Berater" wie Haushofer in den Krieg? Mehr als naheliegend wäre es. In der Folge vom 29. Oktober 1937 schreibt Haushofer als Abschluß (S. 1718):

So wird sich das deutsche Volk für diesen Teil einer Weltkrise auf ein kluges geduldiges kraftsparendes und erhaltendes Spiel aus der Hinterhand einzustellen haben. Das ist ein Spiel, das mehr als andere die allerbeste Information zur Voraussetzung hat und das Glück einer geschlossenen geistigen volkspolitischen Haltung.

November 1937: Überschwengliche Worte über Lord Halifax

Nun, mit den Hinweis auf die "allerbeste Information" wird Haushofer natürlich zunächst einmal sich selbst in Vorschlag bringen. Wen sonst? Und mit "Informationen" können Politiker in der Tat gesteuert werden, wohin man sie haben will. Im Monatsbericht, der am 26. November 1937 erscheint, schreibt Haushofer in auffallend überschwenglichen Worten von dem britischen Lord Halifax (S. 1859):

Deshalb auch konnte die ethisch lauterste Persönlichkeit des Britenreichs, Halifax, (...) nach Deutschland fahren. (...) Denn wer Lord Irwin, heute Halifax, als Mensch, auch als gläubiger Sucher Gottes auf Erden ist (...), das ist den Hörern unserer weltpolitischen Berichte nicht neu! (...) Der Mann der diesmal über den Kanal kam, ist unlauteren Nebensinns nicht fähig und würde sich wissentlich niemals mit einem solchen belasten lassen. Wir wollen ihm nicht kleineren Sinnes begegnen, als Mahatma Gandhi, der auch (...) die Marmorstufen der Prunkbauten in Delhi zu ihm hinaufschritt, wie ihn gewiß auch der Vizekönig (...) zu sich heraufschreiten sah. Bei solchen Unterredungen hält die Weltgeschichte den Atem an.

Wo hätte man so schon einmal zuvor ausgerechnet von einem Lord Halifax reden gehört? Wie kommt Haushofer dazu? Seinen Monatsbericht vom 4. Januar 1938 beendet Haushofer mit einem hoffnungsvollen Blick auf eine zukünftige Wiedervereinigung Deutschlands mit Österreichs (S. 50f).

März 1938: Ein japanischer Seher

Und im März-Bericht (veröffentlicht in der Ausgabe vom 1. April 1938) schreibt Haushofer (S. 523):

Den Liebhabern weltpolitischer Vorherschau, die sich auf andern, als rein gedanklichen und natürlichen Wegen suchen, sei folgende Tatsache aus dem Fernen Osten anvertraut. In Tokio gibt es eine Gesellschaft, die versucht, die Kunst der weltpolitischen Weissagung wissenschaftlich zu ergründen. Dort verkündete am 18. 1. 38 der namhafteste Seher, Kodama, u.a. folgendes, das wir schon im März praktisch nachprüfen können: Großbritannien verglich er mit einem Tiger, der sich scheut, einen Mann zu verschlingen, der ihm auf den Schwanz getreten ist (England - Japan). Dennoch werde nach bestimmten Vorzeichen Großbritannien sein Gesicht nicht verlieren, denn es werde noch zur rechten Zeit seine Fehlschläge auf dem internationalen Felde erkennen. (...) Hart wird das Jahr nach dem Seher für Frankreich sein; denn "die Nation sei unfähig, den rechten Mann zur Kabinettsbildung zu finden, um den überall andringenden Schwierigkeiten zu begegnen. Frankreich sei ein Heim, dem die gute sorgende Hausfrau den Rücken gekehrt habe." (...) "Deutschland wird fest und stetig in seiner nationalen Entwicklung fortschreiten. Die deutsche Regierung und ihr Volk werden im selben Einklang bleiben, wie letztes Jahr." (...) Den Fernostfrieden sagt der Seher für den Herbst voraus. (...) Japan und Amerika würden auf Grund großer gemeinschaftlicher Wirtschaftsunternehmungen zusammenfinden. Dem Kreise gehören immerhin Herrenhausmitglieder, Geheime Räte, Admirale, hohe Offiziere, Wirtschaftsführer und Botschafter an. (...) Aber was auf der Weltbühne in Wirklichkeit geschieht, (...) ist ja noch viel phantastischer und wirklichkeitsfremder, als was mit recht verständigem Weltblick die japanische Sehergesellschaft verkündete.

Und eine Seite weiter heißt es (S. 523f):

Sein (Englands) Premierminister sagte mit Recht, "ein großes, starkes und stolzes Land könne sich großmütige Schritte des Entgegenkommens (hier gegenüber den Diktaturen) leisten, ohne an Gesicht zu verlieren". Das ist genau, was der Japaner im Januar vorauskündete!

Haushofer hat also nicht nur nicht die geringsten Berührungsängste gegenüber Sehern und Sehergesellschaften, sondern er beobachtet auch klar und konkret, wie sehr dieser recht behalten. Sollten diese so außerordentlich gering ausgeprägten Berührungsängste sich bei Haushofer nur auf japanische Seher und Sehergesellschaften bezogen haben - oder nicht doch auch auf deutsche? Immerhin wird wenige Monate später die "Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" mit einer neuen Nostradamus- und Astrologie-Propaganda gegenüber der Führungsspitze des Dritten Reiches beginnen (siehe unten), über die doch zumindest der Haushofer-Freund Rudolf Heß und seine Umgebung zumindest gut informiert gewesen sein müssen. Daß ein Haushofer dem Ansinnen einer solchen Gesellschaft also besonders fremd könnte gegenüber gestanden haben, wird man wohl von vornherein kaum behaupten wollen, können oder dürfen.

März 1938: "Dämonischer Eindruck" über "Schicksalsmenschen", sowie "Ferngefühl" beim Anschluß Österreichs

In dem Monatsbericht vom März 1938 (erschienen am 1. April) spricht Haushofer an späterer Stelle in merkwürdigen Worten und Bildern von "Schicksalsmenschen", von seinem "weltpolitischen Ferngefühl" und des sich dabei ihm aufdrängenden "dämonischen Eindrucks" (S. 524)

Wer mit weltpolitischem Ahnungsvermögen und Ferngefühl in diesen ersten Märztagen auf der Schönbrunner Gloriette und auf dem Leopoldsberge stand und auf das Wiener Becken mit dem ragenden Steffel in seiner Mitte hinuntersah;

- was natürlich Karl Haushofer höchstselbst tat -

wer alle die Schickalsmenschen sah und sprach, deren Namen vom 11. 3. ab die Weltpresse füllten, der konnte sich eines dämonischen Eindrucks nicht erwehren. Es war fast wie die berühmte Leidenfrost-Erscheinung des Wassertropfens auf überhitzter Herdplatte, der aus seinem Dampfmantel kaum mehr explodieren kann, obwohl er sich in freier Umwelt austoben könnte, so kraftüberladen ist der ganze Vorgang.

Haushofer benutzt also als Bild einen chemischem Vorgang, der am Schluß schlicht zum Zerstäuben des Wassertropfens führt, der im "kraftüberladenen Austoben" schließlich schlicht und einfach - - - verpufft. Ein merkwürdiges - oder kennzeichnendes - "weltpolitisches, dämonisches Ferngefühl". Und Haushofer sieht den Anschluß der Sudetendeuschen voraus:

Alles kommt zu dem, der seine Stunde abzuwarten weiß!

Daß dem Haushofer all diese "weltgeschichtlichen" Vorahnungen, Erwartungen gar so leicht, so flott und so locker aus der Feder fließen. Immer wieder gewinnt man den Eindruck, daß man hier das leichtfertige, großmannssüchtige außenpolitische Denken und Handeln Adolf Hitlers, über dem fast allen kritischen Beobachtern die Haare zu Berge standen, das sie als verbrecherisch empfanden, in noch größerer Reinkultur vorfindet, als bei Adolf Hitler selbst. War nicht sogar Adolf Hitler selbst "zögerlicher", besorgter bei seinen riskanten außenpolitischen Handlungen, als es aus den vielen Worten Haushofers spricht? Daß Hitler eine solche Sorge und ein solches Zögern dabei in seinen Reden durch um so großmäuligere Schreierei jeweils zu übertönen wußte, ergänzt lediglich das hier entstehende Bild, anstatt es infrage zu stellen.

Ist es hier nicht ähnlich wie bei Friedrich Hielschers kriegsverherrlichendem Buch "Das Reich" (von 1932), das im Tenor noch ein Buch wie "Mein Kampf" deutlich übertraf? Und werden nicht gerade Hielscher und Haushofer als Oberhäupter einer ominösen internationalen "arischen" Loge in Berlin genannt ("Vril-Gesellschaft"), in der sich Vertreter gerade auch jener Länder finden, die insbesondere Hielscher und Haushofer am Herzen liegen (Araber, Inder, Japaner, Iren, Bretonen etc.)? (Vgl. etwa die romanhaften Berichte Wilhelm Landig's oder die weitgespannten internationalen Kontakte Friedrich Hielschers, insbesondere unter damaligen Berliner Studenten.)

Und Haushofer schreibt über die dem Anschluß unmittelbar vorangegangene Zeit, als das Staatsschiff des Dritten Reiches nach seinen Worten gelassener im "raumen Winde" lag, also in der Sprache des Segelns weder vollen Rückenwind hatte, noch auch vollen Gegenwind, sondern den Wind schräg von hinten bekam:

Nun hat eben eine solche Weltenstunde des Kommens der Geschicke zu dem, der abzuwarten wußte, geschlagen. Wenn bei ihrem Anhub noch nicht klar ist, warum am 4. Februar ein ruhiger, scharfer Gang des Staatsschiffs am raumen Winde zum Auswechseln einiger Wachen und zur Verstraffung der Taue genutzt wurde, was zum Glück Kurzsichtige mißverstanden, und in einem Zeichen der Stärke eines der Schwäche herauszudeuten glaubten ...

- soll man also ähnliches auch in der Enthauptung der Roten Armee unter Stalin sehen, ein Zeichen der Stärke vor dem kommenden Sturm ... ? Da aber legt Haushofer immer ganz andere Deutungen nahe (siehe gleich). Und gerade auch bei diesem Nebengedanken fragt man sich: Wie haben solche Monatsberichte eigentlich Geheimdienstleute wie Reinhard Heydrich gelesen? Mußte Haushofer nicht bei vielen als einer der wichtigsten Stichwortgeber gelten, auf dessen Worte Rücksicht zu nehmen war? Weiter jedenfalls im Zitat: -

... dem ist nicht zu helfen. Selbst Gegner konnten gewarnt sein: "Tu es bei Zeiten, denn Du mußt es doch", klang es warnend aus einer großen deutschen Volksdichtung, klang es warnend in Obersalzberg bei Berchtesgaden.

Hier bezieht sich Haushofer auf ein Wort der Johanna in Schillers "Jungfrau von Orleans" , nämlich an den englischen Feldherrn, der nach Johannas "Voraussicht" ja "doch" aus Frankreich abziehen muß. Das Wort war in dieser "großen deutschen Volksdichtung" an einen Feldherrn gerichtet, der nicht wenig später militärisch geschlagen wurde. Man merkt in diesen Worten jedenfalls, wie die Blomberg-Fritsch-Krise nachwirkte, und wie Haushofer sich weiterhin angetrieben fühlte, sie zu rechtfertigen. Gerade Schicksalsgläubige, Vorsehungsgläubige, Astrologiegläubige, bzw. Okkultgläubige allgemein reden gerne in der Sprache, die Haushofer dann weiterbenutzt:

Rollt noch an anderen Stellen der Weltrunde das Schicksalsrad in diesem Frühjahr mit ähnlicher Wucht? Liegt nicht vielleicht gerade darin die Möglichkeit, daß sich bei kluger Wahl des Augenblicks scheinbar unüberwindliche Schwierigkeiten wegräumen lassen?

Noch ein anderes, von Haushofer auf Deutschland gemünztes Zitat, nämlich vom Papstgegner Ulrich von Hutten, klingt bei diesen weltpolitischen Anlässen ein wenig sonderbar:

"Ich hab's gewagt, bin unverzagt, und will des Ends erwarten."

Wenn Einzelmenschen wie Hutten ein solches Wort äußern, klingt das anders, als wenn ein "Drittes Reich" sich ein solches Wort zum Leitwort nehmen sollte. Haushofer scheint immer wieder das "dämonische" "Ende" all dessen, was er hier so euphorisch begrüßt und vorantreibt, in seinem "weltpolitischen Ferngefühl" mitzudenken, was oftmals vielleicht, ihm selbst ganz unbewußt, gerade aus den von ihm gewählten Dichterworten oder Metaphern, Bildern herausklingt. - Als "junge" Nationen jedenfalls ohne ausreichende Kolonien und "Raum" würden Deutschland, Italien und Japan

gewiß nicht zum Schlaf auf Besitz und Lorbeer verführt, sondern zum Rühren auf dem Rücken der Erde. Mit diesem Rühren werden auch die großen Raumbesitzer der Erde im Frühjahr dieses Tigerjahrs rechnen müssen.

Von der Sowjetunion versucht jedoch Haushofer einen ganz anderen Eindruck zu erwecken mit seinen abschließenden Worten (S. 525):

Oder sind soviele Sowjet-Generale erschossen, daß die Soldaten nicht mehr kommandiert werden können?

Das mußte schon damals auf einen denkenden Zeitgenossen wie ein sehr naiver Satz klingen.

Juni 1938: "Wer auf dem Tiger reitet, kann nicht absitzen"

Über den Vatikan schreibt Haushofer in seinem Monatsbericht für April 1938 (veröffentlicht in der Folge vom 6. Mai, S. 731):

Steht ja doch schon der Vatikan, um zweitausend Jahre welterfahrener als der Völkerbundsrest in Genf, der Entwicklung in Mittel-Europa sichtlich vorsichtiger gegenüber als noch vor kurzer Zeit. (...) (Doch) zielbewußter als vom Trasteverischen Rom aus jenseits der Berge wird zwischen dem Rom des Palazzo Venezia und des Quirinal - wo der deutsche Führer wohnen wird - das Eisen, dieweil es warm ist, geschmiedet.
Haushofer betont hier also einen gewissen Gegensatz zwischen dem päpstlichen und dem faschistischen Rom. Aber keinen sehr ausgeprägten. Und wie dieses Schmieden aussieht, zeigt er anhand von Italien:
... sein Duce und erster Feldmarschall ...
- genau die Rolle, die Hitler wenig später einnehmen sollte -
Was er (der Duce) unter rascher und nachdrücklicher Kriegführung versteht, das wird er dem deutschen Führer unter anderm durch eine Massenentfaltung von Flugstreitkräften (...) in kriegsmäßigem Bombenabwurf zeigen.
Im Monatsbericht, der am 1. Juni 1938 erscheint, schreibt Haushofer (S. 871) vom "schönen aber kleinen Raum" zwischen "Wasserkante und Alpengrat". Und der Juni-Bericht (in der Folge vom 1. Juli 1938) beginnt mit den Worten (S. 1039):
Gibt es für die meisten weltpolitischen Reibungsflächen an der Hochsommer-Schwelle 1938 ein passenderes Leitwort, als den alten, weisen chinesischen Spruch: "Wer auf einem Tiger reitet - kann nicht absitzen"?
Und auch "des Tigers Schwanz fallen zu lassen" wäre
fast so gefährlich, wie vom Tiger abzusitzen bei einem so wendigen Tier, - namentlich in des Tigers eigenstem Jahr, das 1939 nun einmal wenigstens im Kalender des Fernen Ostens ist.

Im März war noch das Jahr 1938 "das Jahr des Tigers" - nun auch das Jahr 1939! Und niemand kann absitzen. Alle "müssen" weitermachen auf ihren mehr als gefährlichen weltpolitischen Wegen, frohlockt Haushofer.

Rudolf Heß ist in diesen Monatsberichten oft der "Liebling" Haushofers. Und man spürt es hindurch, wie sehr Haushofer bewußt ist, daß sein Einfluß noch steigen würde, wenn der "Stellvertreter des Führers" tatsächlich die Nachfolge desselben antreten würde.

Juli 1938: Japan als Erfüllungsgehilfe der Mongolen?

Zu Beginn des Juli-Berichtes (veröffentlicht in der Folge vom 5. August 1938, S. 1248) kommt Haushofer noch einmal auf den Herausgeber von "Pacific Affairs" zu sprechen, der die Behauptung, von einem Tiger könne man nicht absitzen, in andere Worte faßt:

"Reiche werden zuletzt zu den Herren der Männer, die sie bauten: Ihr könnt nicht ein großes Schicksal fordern und Euch dann weigern, ihm durch dick und dünn zu folgen!" Diese höchst zeitgemäße weltpolitische Betrachtung von Owen Lattimore (U.S.A.) - dem leider sehr sowjetfreundlichen Kenner der Mongolei und des Pazifik aus U.S.A. - fügt Ralph Fox in seinem Lebensbild Dschingis-Khans als Einleitung zu anderen Wahrheiten: "Die Mächte der Welt mögen Frieden planen - aber Mandschukuo wurde geformt unter dem Stern des Krieges, und dieser Stern scheint nun weiter in der Mongolei." - "Das einzige asiatische Land, dessen Eroberung den Söhnen von Dschingis-Khan mißlang, Japan, sucht nun das Panasiatische Reich wieder aufzurichten, über das die Mongolen einst herrschten." "Bei diesem Versuch fällt dem Mongolenvolk eine Schlüsselrolle zu."

Und Haushofer nimmt es offenbar als selbstverständlich, daß er dem verwunderten Leser nicht erklären muß, warum in dem Geschehen im Pazifik ausgerechnet dem Mongolenvolk eine Schlüsselrolle zukäme. Jeder allerdings, der der Weltmacht der tibetischen Priesterkaste eine Rolle oder "Schlüsselrolle" im Weltgeschehen zuspricht (als deren Gehilfen sich ja offenbar so viele verstanden oder verstanden wurden, nicht zuletzt Karl Haushofer - und wohl auch Owen Lattimore), wird natürlich wissen, daß dem Territorium des Mongolenvolkes manche geheimnisvollen esoterischen Örtlichkeiten zugesprochen werden, daß dort der "Herr der Welt" residieren soll und ähnliches. Und es scheint ja wohl nicht sehr fernliegend, daß Haushofer auf diese Dinge mit diesen Zitaten anspielt. Sonst machen sie ja kaum Sinn.

Oktober 1938 - Mephistophelische Worte über "die Sternenstunde des gesegneten Michaelis-Tages"

Der Oktober-Bericht (erschienen in der Folge vom 4. November 1938, S. 1768) wird mit den Worten eingeleitet:

Als vor Monatsfrist an jenem für Europa gesegneten St. Michaelis-Tag (29. September) die Volkspolitik des Deutschen Führers aus einer letzten gefährlichen Enge ins Freie des geeinigten großdeutschen Volksbodens durchstieß, da konnten wir schon Tags zuvor - des guten Ausgangs gewiß - die Gunst der Sternenstunde begrüßen.

Haushofer läßt also immer wieder allzu deutlich seine astrologischen und wahrsagerischen Interessen auch in seinen rein "politischen" Monatsberichten durchschimmern. Welche Bedeutung es für Menschen wie Haushofer hatte, daß das Münchner Abkommen noch spät abends am Tag des biblischen, völkermordenden Kriegs-, Todes- und Würgeengels Michael abgeschlossen worden ist, worauf Haushofer ja hier so deutlich hinweist, stehe einstweilen dahin. Nirgendwo in Deutschland fährt dieser alttestamentarische Kriegsengel riesiger, vernichtender, haßerfüllter, gewalttätiger einher als über dem Eingangsportal des 1913 errichteten Freimaurerkolosses von Leipzig, des größten Freimaurertempels, Gralstempels der Welt (den profanen Nichtfreimaurern in der Welt bekannt unter dem banalen Namen "Völkerschlachtdenkmal"). Bedeutete also womöglich - aus einer okkult-freimaurerischen Sicht, die Haushofer womöglich bekannt war - "Peace in our Time" am 29. September 1938 schlicht das Gegenteil, nämlich Krieg? Und zwar nicht jetzt, aber dafür später? Wie auch immer!

Okkultgläubige haben ja immer schon an Goethes "Faust II" besonderes Gefallen gefunden. Und so kommt auch Haushofer auch immer wieder auf ein Wort zurück, das Goethe in "Faust II" Mephistopheles dem Kaiser gegenüber sprechen läßt in Anwesenheit von dessen Astrologen (Gutenberg):

Wie sich Verdienst und Glück verketten,
Das fällt den Toren niemals ein;
Wenn sie den Stein der Weisen hätten,
Der Weise mangelte dem Stein.

Haushofer zitiert allerdings immer statt "Verdienst und Glück" "Geschick und Glück". Womöglich gibt es da von Goethe zwei Fassungen, weil man die letztere vereinzelt auch an anderen Stellen im Internet findet. Nach dieser Vorbemerkung kann der letzte Satz seines Oktober-Berichtes zitiert werden. Nach diesem Satz

mußte die Macht eines friedenswilligen Europa (...) (den Tschechen) Grenzen zeigen und setzen und zwar schnell, ehe durch Brandstifter unabsehbares Unheil geschah. Das ist die Leistung dieses vor vielen gesegnten Spät-Ernte-Monds, in der sich wahrlich "Geschick und Glück verketten": im Führerbau, an würdiger Stätte!

Womöglich wahrhaft mephistophelische Worte über wahrhaft mephistophelische Taten.

Exkurs: Auch Albrecht Haushofer sprach seinem Vater den Umgang mit "Mephistophelischem" zu

Angesichts dieser Worte kommen einem wieder die Gedichtzeilen des Sohnes von Karl Haushofer, von Albrecht Haushofer in seinen Moabiter Sonetten in den Sinn:

Der Vater

Ein tiefes Märchen aus dem Morgenland
erzählt uns, daß die Geister böser Macht
gefangen sitzen in des Meeres Nacht,
versiegelt von besorgter Gotteshand,

bis einmal im Jahrtausend wohl das Glück
dem einen Fischer die Entscheidung gönne,
der die Gefesselten entsiegeln könne,
wirft er den Fund nicht gleich ins Meer zurück.

Für meinen Vater war das Los gesprochen.
Es lag einmal in seines Willens Kraft,
den Dämon heimzustoßen in die Haft.
Mein Vater hat das Siegel aufgebrochen.

Den Hauch des Bösen hat er nicht gesehn.
Den Dämon ließ er in die Welt entwehn. 

Auch dieses Gedicht ist voller Widersprüche. Da bedeutet es "Glück", die "Geister böser Macht", die von "besorgter Götterhand" "versiegelt" sind, zu "entsiegeln" (erste beide Strophen)! Dieses hat sein Vater getan. Dann aber lag es in seines Willens Kraft, den Dämon "heimzustoßen in die Haft". Wozu aber dann das Siegel aufbrechen? Den Hauch des Bösen hat er dabei ja auch gar nicht gesehen. Und einerseits hat er den Dämon in die Haft zurückgestoßen, andererseit in die Welt entwehen lassen. Voller Widersprüche! Klar ist doch nur eines: Der Vater hat mit der Geister böser Macht und ihrer Entsiegelung gespielt. Und das möchte man wohl auch aus so vielen Ausführungen seiner Monatsberichte herauslesen über "Tigerjahre" und Tigerstaaten" und so weiter.

Da klingt es dann nur wie eine Entschuldigung des Vaters durch den Sohn, wenn nun der Sohn behauptet, der Vater hätte den Dämon wieder heimgestoßen in die Haft. Wodurch? Durch die Kriegserfolge der Sowjetunion und der Westmächte? Das klänge merkwürdig. Also erklärt Albrecht Haushofer die entsiegelten Dämonen schlicht als unsichtbar und als weiter in die Welt hineingeweht denn bloß in die Glieder der drei Tiger-Staaten Japan, Italien und Deutschland.

Eines wird klar, nämlich daß hier wieder einmal, wie so oft kraß doppelbödiges Denken vorliegt, daß man - womöglich - mit schwarzer Magie vorgeblich Gutes bewirken will, bzw. daß sie eigentlich weiße Magie ist. Womöglich hat Hermann Hesse in seinem satanistischen Roman "Demian" auch nichts anderes aussagen wollen, als was hier Albrecht Haushofer in seinem Gedicht aussagen will.

Um es also deutlicher zu sagen: Alle von Karl Haushofer so intensiv unterstützten und angefeuerten außenpolitischen Aktivitäten des Dritten Reiches dienten vorgeblich dazu, den Untergang des deutschen Volkes, zerrieben von Ost und West, zu verhindern. Was aber nun, wenn er - in dem typischen okkulten Denken der damaligen Zeit - in dem Untergang dieses deutschen Volkes erst die wichtigste Voraussetzung dafür sah, daß eine "neue Erde", eine "neue Welt" entstehen könne, etwa das sogenannte "Wassermannzeitalter"? Und daß zu diesem Zweck nur die bisherigen Lebensprinzipien des deutschen Volkes auf die Spitze getrieben werden müßten? Um den dialektischen Prozeß der Weltgeschichte voranzutreiben? Diese - zugegeben: dämonischen, mephistophelischen - Möglichkeit sollte man bei allen Worten und Handlungen Haushofers im Hinterkopf behalten. Keine derselben scheinen dieser Möglichkeit in ausgesprochenerem Maße zu widersprechen.

Friedrich Hielscher dachte auf ähnlichen Bahnen wie wir in anderen Beiträgen aufgezeigt haben. Karl Strünckmann dachte ähnlich ("Adolf Hitler und die Kommenden"). Letztlich dachten so auch Oswald Spengler und viele andere Rechtskonservative, die den "Untergang des Abendlandes" für unabwendbar erklärten, in ihn aber "heroisch" hineingehen wollten (und wollen). Diese typische, sich selbst erfüllende Prophezeiung, dieses typische Selbstmordprogramm der Gesellschaften der Nordhalbkugel.

Der "Führerbau" jedenfalls ist für Haushofer die würdige Stätte, um in Europa allen künftigen Kräften des Chaos die Grenzen zu zeigen und zu setzen.

November 1938: Haushofer, ein "Vordenker" künftigen Geschichtsablaufes ...

Im November-Bericht, erschienen am 9. Dezember 1938 (S.  962), heißt es mit Bezug auf Politiker "Jung-Indiens":
Sie alle hätten am liebsten gesehen, wenn sich die großen Vier statt im Münchner Führerbau Vernunft zu reden und zu tun, zur größeren Ehre von Bruder Benesch und eines möglichst großen Judenstaates an die Kehlen gefahren wären.

Die Politik Indiens sieht er also von den gleichen Kräften bestimmt wie die Politik des "Bruders Benesch":

Nur der indische Islam trat scharf für die Araberrechte ein.
Mit diesem also sympathisiert Haushofer. Außerdem wird erkennbar, wie eng Haushofer schon zu diesem Zeitpunkt einen Zusammenhang sieht zwischen einem etwaigen neuen großen Krieg in Europa und der Begründung eines Judenstaates in Palästina. Statt den letzteren zu befürworten, antwortet Haushofer jedoch auf die "Frage, ob nicht Madagaskar zur Judensiedlung überhaupt freigegeben werden sollte":
Die Menschheit hat schon schwierigere Aufgaben der Bevölkerungs-Verlagerung gelöst, hat die Erfahrungen des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustausches an der Hand und die viel größere Zahlenwucht der chinesischen Wanderungen
gemeint ist: innerhalb Chinas. Mit diesen Worten dürfte Karl Haushofer als einer der frühen, großen, kraß verharmlosenden Stichwort-Geber ausgemacht sein für "Bevölkerungs-Verlagerungen". Und zwar für solche, wie sie nur wenig später den Ablauf der Geschichte in (Ostmittel-)Europa sehr deutlich bestimmen sollten. Auch diese also scheint er zu diesem Zeitpunkt schon sehr grundsätzlich "vorgedacht" zu haben. Haushofer reitet wirklich einen sehr gefährlichen "Tiger". Und man beginnt immer mehr zu verstehen, aus welchen religiös-ideologischen Quellen viele der krassesten Handlungsprinzipien des Dritten Reiches stammten können. Haushofer jedenfalls scheint sich oft sehr dicht in der Nähe dieser Quellen bewegt zu haben.

Bei der Lösung des Problems der Tschechoslowakei habe man sich deutscherseits
nur auf das ewige, unabdingbare Recht der Volkszugehörigkeit mit festem Fuß
gestellt. Und unmittelbar danach führt Haushofer diabolisch weiter aus:
Genau so wird es sicher als Standpunkt ethisch unangreifbar sein, so wie es geschieht, den Rechtsstandpunkt in der Kolonialfrage jenseits von allem Länderschacher hoch zu halten.

Kolonialfrage! Ja natürlich. Wenig später war es da, eine "Kolonie" für Deutschland: das "Protektorat Böhmen und Mähren"! Und Haushofer läßt schon jetzt mephistophelisch durchblitzen, daß man im Zusammenhang mit der sonst so allgemeinen Forderung nach Kolonien für Deutschland ja bezüglich der Resttschechei "ethisch unangreifbar" seinen "Rechtsstandpunkt in der Kolonalfrage" hochhalten könne. Wahrhaftig, Haushofer reitet einen gefährlichen Tiger in seinem Tank.

Dezember 1938: "Großzügiges Gestalten" der deutschen Außenpolitik, wobei "sich Geschick und Glück verketten" mögen

In seinem Dezember-Bericht ist in Bezug auf die vergangenen Monate die Rede von einer (Deutsche Justiz, 4. Januar 1939, S. 61f):

unvergleichliche(n) Gunst außenpolitischer Konstellationen.
Und weiter heißt es:
Eine solche Gunst hatte nach den großen Erfolgen des Friedens von München die Weltlage viele Wochen lang geboten; ihr Höhepunkt waren vielleicht die Oktobertage in Rom. Dann verdüsterte sich der entwölkte Sehkreis wieder, und zähe mühsame Kleinarbeit wurde notwendig, wo großzügiges Gestalten schon greifbar nahe schien.
Sprich: Großzügiges Gestalten beim Erwerben von "Kolonien" für Deutschland ... Und noch bedeutungsschwangerer lauten die dann folgenden abschließenden Worte dieses Monatsberichts:
Sehen wir an der Jahreswende alle zu, daß wir unsern besten Teil zur Auswertung günstiger Lagen leisten, um auch im Jahre 1939 weiterhin zu erleben, "wie sich Geschick und Glück verketten" - daß nicht "der Weise dem Stein der Weisen mangle", wenn er uns von der Hand der Führung und des Schicksals zufällt!

Der "Führung"? Welcher "Führung"? Etwa der - - - "Welten-Führung"? Etwa derjenigen auf dem "Dach der Welt", dem sich Haushofer doch irgendwie recht deutlich verpflichtet fühlt, und zu dem er den Kontakt herstellt von Deutschland aus? Jedenfalls: Hier sind sie wieder, die Worte des Mephisto an den König in Anwesenheit des Hofastrologen aus Faust II. "Der Stein der Weisen" soll den Führern, bzw. dem Führer des Dritten Reiches, "von der Hand der Führung" "zufallen". Einer "Führung", die auf der gleichen Ebene angesiedelt ist wie das Schicksal selbst, das gleich nachfolgend genannt wird. Womit also wohl die "Führung des Allmächtigen" gemeint ist, bzw. "die Vorsehung", "der Herrgott", die Hitler so oft zitierte.

Alle diese Worte Haushofers sind dicht an das Denken und Handeln Hitlers angeschmiegt, dem in der Tat klar war und der sich darüber klar sein mußte, daß bei allem, was er tat, "Geschick und Glück" verkettet sein mußten. Und Haushofer fordert dazu auf, die Gunst künftiger außenpolitischer Konstellationen ebenso zu nutzen wie jene vom Frühherbst 1938. Während eigentlich alle sonst bekannten außenpolitischen Beurteiler - bei der Wehrmacht, im Auswärtigen Amt, beim Widerstand oder wo immer sonst - die Haare zu Berge standen bei dem, was Hitler da machte. Karl Haushofer ein Mann des Widerstandes gegen den Krieg? Nein, er war das genaue Gegenteil.

Er äußert die unumwundenste Unterstützung der Risikopolitik Hitlers, wie man sie sich nur denken kann.

Januar 1939: Keine zielklare, westliche Politik gefährdet Deutschlands Bestrebungen

Im Januar-Bericht (veröffentlicht in der Folge vom 3. Februar 1939, S. 234) warnt Haushofer davor, das Glück der Achsenmächte zu gefährden, indem man etwaig hervorbrechende (von politischen Minderheiten mißbrauchte) "Büffelherden" in London, Paris und Moskau aufreize:

Darin liegt die Gefahr des Jahres 1939, nicht in ausgesprochen zielklaren Bewegungsrichtungen und Zuständen, die niemand bange zu machen brauchen, der selber wirklich guten Willens ist.

Was für ein gefährliches Spielen mit dem Feuer! Konnte Karl Haushofer wirklich selbst daran glauben, was er hier an Verharmlosungen über die Politik der Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs gegenüber Deutschland schrieb? Das fällt einem immer schwerer, um so mehr man davon liest. Noch auf der gleichen Seite heißt es weiter, daß man auch "eine Vorausschau und einen Schicksalsanruf wagen" müsse (234f):

Japan und Italien haben der Welt deutlich gezeigt und gesagt, daß sie auf ihren Richtwegen nicht zurück und nicht anders können und wollen.

Spürt man hier immer noch Befürchtungen hinsichtlich Deutschlands durch? Daß es - im Gegensatz zu Italien und Japan - doch aufhören könnte, den Tiger zu reiten? Haushofer weiter:

Uns Deutschen wird gerade in der britischen Presse gesagt, mehr als vieles andere interessiere am Reich seine verschleierte, wahlfreie Haltung, so klar wir doch gezeigt haben, daß wir treue Freunde unserer Freunde sind, und Freunde, deren Freundschaft nützt. Verfestigungen, weltpolitische Klarheit bis ins Letzte über die möglichen Wirklichkeitsziele und die Grenzen eines überall vorhandenen und lebendigen Willens zur Macht, feinster Ausbau der Binnenstruktur bedeuten noch keine Wahl; nur Wertsteigerung als Freund, vermehrte Achtung als Gegner. 

Was mit dem Wort von der "wahlfreien Haltung" gesagt sein soll, wird nicht so recht klar. Offensichtlich soll gesagt werden, Deutschland hätte keine Freiheit in der Wahl seiner Verbündeten. Aber sie würde in der weiteren Entwicklung errungen werden. Denkt Haushofer hier etwa - wieder einmal - schon so etwas wie den deutsch-russischen Nichtangriffspakt "vor"?

Im Juli-Bericht für 1939 enden die Abdrucke dieser weltpolitischen Monatsberichte von Karl Haushofer in der Zeitschrift "Deutsche Justiz". Dieser Bericht bringt ncoh einmal erneute groteske Verharmlosungen oder Verkennungen der wirklichen Stärke der Militärmacht Sowjetunion (4. 8. 1939, S. 1291).

5. März 1938: Das Reichssicherheitshauptamt wird auf Krafft aufmerksam

Über den Vorlauf der Anwerbung Kraffts durch das Reichssicherheitshauptamt hat Ulrich Maichle 2006 ein neues Dokument veröffentlicht:

Der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS
Der SD-Führer des SS – Oberabschnittes West,               Düsseldorf, den 5.3.1938
II/2111 - 12
E - 233
Nk/Roe.
An den Reichsführer-SS
Chef des Sicherheitshauptamtes, Zentralabteilung II/2, Berlin.
Betr.: Pseudowissenschaften – Astrologie.
Vorg.: Ohne.
Anlg.: 4.
Es gelang der hiesigen Dienststelle, die beigefügten, in der Schweiz erscheinenden astrologischen “Wirtschaftsberichte und kulturpoliti­schen Studien“ zu ergreifen. Verfasser ist der “Statistiker“ K. E. KRAFFT“, Zürich, über dessen Arbeitsweise in Kürze berichtet wird.
Inzwischen wird um Mitteilung gebeten, ob an der Angelegenheit Interesse besteht.
Der SD-Führer des SS-Oberabschnitts West
iV. (Handschrift unleserlich) SS-Hauptsturmführer
(Handschriftlicher Vermerk):
1.) Bericht über Krafft abwarten

Womöglich ist das Reichssicherheitshauptamt durch diesen Bericht erstmalig auf den Astrologen Krafft aufmerksam geworden. Aber wie wir sehen werden, gab es noch andere Möglichkeiten der Herstellung von Kontakten zwischen dem RSHA und Krafft.

1938: Krafft beeindruckt den rumänischen Diplomaten Tilea neuerdings mit seinen "Fähigkeiten"

Noch am 1. Mai 1938 schrieb Krafft an eine Freundin (S. 210):

Die Vorhersage von Ereignissen ist schwarze Magie.
Es war aber nun genau diese "schwarze Magie", um derentwillen wir uns hier mit ihm befassen. Denn genau diese sollte er nur wenig später recht intensiv betreiben - gewiß in Zusammenarbeit mit mindestens einem Geheimdienst. War also Krafft nach eigenem Verständnis ein "Schwarzmagier"? Warum nicht? Schließlich hatte auch zumindest der Schriftführer der DGWO, in deren Auftrag Krafft ab November 1939 Nostradamus-Forschungen machen sollte, viele Erfahrungen mit weißer und schwarzer Magie als Oberhaupt des "Ordo Templi Orientis" (siehe unten) und schließlich scheint ja auch sein Vorgänger, der Astrologe Hanussen allerhand zumindest weiße und ggfs. auch schwarze Magie für Hitler getrieben zu haben (siehe Alraune).

Bei einem weiteren Besuch in Zürich "ein Jahr später" wurde Tilea Krafft auf die gleiche Weise "angeboten". wie ein Jahr zuvor Und nach einem Zögern willigte jener Tilea wiederum ein, der im Januar 1939 nach London reisen sollte, um dort seinen Posten als rumänischer Botschafter anzutreten, zu dem er ernannt worden war. Tilea gab Krafft eine "Probearbeit" (S. 235):
Tilea gab ihm (Krafft) die Photokopien zweier Handschriften und dazu die Geburtsdaten (d.h. Datum, Zeit und Ort), ohne jedoch die Identität der entsprechenden Individuen offenzulegen, die ich A und B nennen will.
Es handelte sich um die beiden damals bedeutendsten Persönlichkeiten der rumänischen Politik, um den rumänischen, monarchisch-westlich gesonnenen König Karl II. (Carol II.) und seinen faschistischen Gegenspieler  Corneliu Zelea Codreanu (1899 - 30.11.1938), den Führer der von Hitler unterstützten, mystisch-faschistischen rumänischen "Eisernen Garde". In den Parlamentswahlen von 1937 war diese "Eiserne Garde" die drittstärkste Kraft in Rumänien geworden. Am 10. Februar 1938 richtete aber König Karl II. (Carol II.) eine "Königsdiktatur" ein, um die Machtübernahme der "Eisernen Garde" zu verhindern. Auf Wikipedia heißt es:
Über die nächsten zwei Jahre entwickelte sich der bereits heftige Konflikt zwischen der Eisernen Garde und anderen politischen Gruppierungen nahezu zu einem Bürgerkrieg. Im April 1938 ließ Carol den Führer der Eisernen Garde Corneliu Zelea Codreanu verhaften. In der Nacht vom 29. auf den 30. November 1938, vermutlich als Revanche für eine Reihe von Attentaten durch Kommandos der Eisernen Garde, wurden Codreanu und mehrere andere Legionäre bei einem angeblichen Fluchtversuch getötet.
Und genau diese Geschehnisse sagte nun der Astrologe Krafft dem Tilea "überraschend" präzise voraus. Warum er das konnte? Nun, im gleichen Jahr 1938 machte der persönliche Berater Roosevelts, William C. Bullitt, gegenüber polnischen und französischen Diplomaten ja ähnlich präszise, rein politische Voraussagen über die militärische und politische Entwicklung der nächsten Jahre (vgl. Bading 1994). Bullitt und Krafft werden ihre Informationen einfach aus denselben hintergrundpolitischen Kreisen bezogen haben. Und man wird es der Klugheit Tilea's zurechnen dürfen, wenn um dieser Kenntnisse willen, den Kontakt zu Krafft aufrecht erhielt. Howe berichtet über Krafft (S. 235):
In seiner schriftlichen Deutung führte er aus, daß A (Codreanu) eine schizoide Persönlichkeit sei, wie man sie seiner Erfahrhung nach häufig bei teilweise jüdischer Abstammung finde. Er sagte außerdem vorher, daß A wohl kaum den November 1938 überleben werde. Für B prophezeite er, er werde, auch wenn er sich gegenwärtig noch einer ziemlich bedeutenden Stellung, ja sogar Berühmtheit erfreue, um den September 1940 einen katastrophalen Rückschlag erleiden. (...)

Krafft hatte mit der jüdischen Herkunft (Codreanu's) recht, denn seine Mutter war eine Jüdin aus Czernowitz. (...) B war König Carol von Rumänien, der am 6. September 1940 zugunsten seines Sohnes Michael abdanken mußte. Einen Monat später besetzten die Deutschen Rumänien. So sollte sich auch die zweite Prophezeiung erfüllen.
Und über Tilea's Reaktion wird berichtet (Howe, S. 236):
Die Treffsicherheit dieser Voraussage habe ihn (Tilea) sehr beeindruckt. Deshalb war er äußerst gespannt, was Krafft über seine eigene Zukunft sagen würde. Die Horoskopdeutung wurde nie geliefert, auch wenn sie in Briefen Kraffts an Tilea erwähnt wird.
In seinem Buch "My Experiences in Astrology" (- The Autobiography of a Vedic Astrologer. 1985; 1992; South Asia Books, 1995; UBS Publishers 2011) berichtet der schon erwähnte indische Astrologe B. Venkata Raman (Hervorhebung nicht im Original):
Based upon the above astrological factors plus an intuitional perception, I made the following observations in the "World Prospects in 1939 and 1940" published in August 1938. (...) "The future action of this man (Hitler) will not be mild and peaceful. He uses his mind and personality to enslave fellow countries. An ultimate fall is indicated for the Nazi leader. The nativities of Hitler and Mussolini, full of aggressive elements, will drift Europe towards a dangerous one ... Britain will be obliged to compromise under the influence of Saturn. Taking the world situation as a whole one feels from an astrological survey of the horoscopes of different nations that 1940 to 1942 are indeed critical years pointing towards a great cleanup. If statesmen can get through this critical period, then the world would be saved of terrible destruction of humanity."
Nun, das ist auch viel "allgemeines Gerede". Aber die Tendenz ist klar. Obwohl er also Hitler im August 1938 so schlechte Prognosen stellte, sandte er ihm doch eine Übersetzung eines anderen seiner Bücher:
Thanks to the interest evinced by the well-known Paul Brunton, author of "A Search in Secret India" etc., a German translation of my book "Hindu Predictive Astrology" was published in 1938 under the ride "Indische Astrologie" by Otto Wilhelm Barth Verlag. I had sent a copy of this book to Hitler which was duly acknowledged.
Der Eingang wurde also ordnungsgemäß bestätigt.

September 1938: Viele Anfragen bei Krafft

Im September 1938, während der Sudetenkrise, vielleicht zu ähnlicher Zeit, als Krafft für Tilea arbeitete, erreichten ihn auch zahlreiche Anfragen über die Wahrscheinlichkeit eines Krieges (Howe, S. 211). Wie er sie wohl beantwortet hat? Von Howe wird darüber nichts mitgeteilt.

25. Oktober 1938: Georgi Dimitrow sagt den Verlauf des Zweiten Weltkrieges bis Herbst 1941 voraus

Der 21. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution am 25. Oktober 1938 war Anlaß für den bulgarischen Generalsekretär der Kommintern in Moskau, Georgi Dimitrow (1882 - 1949), eine sehr aufschlußreiche, rein politische Prognose für die nächsten drei Jahre zu veröffentlichen. Dimitrow war unter anderem 1933 durch seine Beteiligung am Reichstagsbrandprozeß bekannt geworden. Der Hintergrundpolitikkritiker und Warner vor einem neuen Weltkrieg Hermann Rehwaldt wies auf diese Prognose in seiner Ende August 1939 (!) erschienenen Schrift "Weissagungen" folgendermaßen hin (Rehwaldt/Weissagungen, S. 94f [Scribd]; bzw. S. 116f in der zweiten Auflage des Jahres 1939):
Endlich entwickelte der bekannte Bolschewik und Kominternbonze Dimitrow in der "Prawda" folgende "Prognose", die natürlich im Wesen nichts wie blutige Hetze gegen den Deutschen "Nazismus" ist, aber wegen der darin enthaltenen Daten von Intreresse ist:

"Zum 21. Jahrestag der bolschewistischen Revolution unterbreitet Dimitrow in einer ganzseitigen Erklärung in der 'Prawda' der sowjetrussischen Öffentlichkeit einen phantastischen 'Plan', demzufolge Deutschland die Aufteilung der verschiedenen Länder Europas und Nordafrikas unter sich und Italien beschlossen hätte. Gleichzeitig verkündet er ein großes Komintern-Programm, das die Welt vor der Herrschaft der deutschen Faschisten retten soll. Der Teilungsplan Deutschlands soll in einem Angriff auf Sowjetrußland im Jahre 1941 seinen Höhepunkt finden ...

Das deutsche Programm, so meint Dimitrow, sehe in großen Zügen folgendermaßen aus: Im Frühjahr 1939 Angriff auf Ungarn und Besetzung Polens im Herbst 1939; Besetzung Jugoslawiens 1940, anschließend im gleichen Jahr die Aufteilung Rumäniens und Bulgariens, im Jahre 1941 die Aufteilung Frankreichs, Belgiens, Hollands, Dänemarks und der Schweiz, worauf im Herbst des gleichen Jahres ein Angriff auf die Sowjetunion folge." (Nach Kl. Volksztg., Wien, 8. 11.. 38)

Der "schwarze Mann" für kommunistisch-demokratisch-papistische Kinder muß hier zur Tarnung der eigenen finsteren Pläne dienen.
Wenn auch in den Details unscharf und ungenau sollte sich diese rein politische Prognose Dimitrows in den "großen Zügen", wie wir heute wissen, doch als überraschend richtig erweisen. Insbesondere auch was sein eigenes Land Bulgarien und Südosteuropa betraf. Diese Prognose erinnert in ihrer Richtigkeit sehr an die etwa gleichzeitigen, ebenfalls rein politischen Prognosen des amerikanischen Präsidentenberaters William C. Bullitt in Gesprächen mit französischen und polnischen Diplomaten (vgl. Bading 1993).

Es kann also keineswegs ausgeschlossen werden, sondern ist naheliegend, daß wenn Astrologen und Wahrsager zu dieser Zeit "Voraussagen" machten, daß diese - durch ihre Mitgliedschaft in international vernetzten Okkutlogen - auch auf das Wissen um in derartigen rein politischen Prognosen enthaltenen militärpolitischen Planungen und "Erwartungen" der bestens informierten Hintergrundmächte in West und Ost, sowie in Deutschland zurückgreifen konnten. In der einen oder anderen Weise. 

Wie übrigens das gleichzeitige erwähnte "große Kommintern-Programm" aussah, das Europa vor der deutschen Faschisten retten sollte, steht auf Wikipedia:
Dimitrow fügte sich auch in die neue Kehrtwende der sowjetischen Politik durch den Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 24. August 1939, den Stalin laut Dimitrows Tagebuchaufzeichnungen am 7. September 1939 als Möglichkeit rechtfertigte, die kapitalistischen Mächte gegeneinander aufzuhetzen.
Und:
Ende Dezember 1944, Anfang 1945 ordnete Dimitrow von Moskau aus die Verurteilung der politischen, militärischen und intellektuellen Elite Bulgariens zum Tode durch die eingesetzten kommunistischen Volksgerichte an. Das Volksgericht verurteilte 2730 Menschen zum Tode (darunter hochrangige Politiker, Militärs, Verleger und Publizisten), 1305 wurden zu lebenslänglichen Strafen verurteilt.
Der "Neujahrsaufruf" Hitlers für das Jahr 1939 begann mit solchen für ihn so typischen Worten (zit. n. der Zeitschrift "Deutsche Justiz" vom 4. 1. 1939, S. 1):
In ergriffener Dankbarkeit gegenüber dem gnädigen Wirken der Vorsehung verläßt das nationalsozialistische Deutschland das Jahr 1938.
 17. März 1939: Die Tilea-Affäre "beeindruckt" Deutsche und Briten

Am 15. März 1939 wurde die Resttschechei von Deutschland besetzt und wenige Tage später erhob Deutschland weitreichende ökonomische Forderungen gegenüber Rumänien (Howe, S. 236):
Tilea war kein Freund von Hitlerdeutschland, betrieb diplomatische "Indiskretion" und machte gegenüber der britischen Regierung eine Andeutung über die Höhe dieser erpresserischen Forderungen Deutschlands. Wenn den Briten anfangs die Natur von Hitlers Expansionsplänen im Balkan noch nicht klar war, wurde nun die Haltung der britischen Regierung eindeutig. Der deutsch-rumänische Wirtschaftsvertrag wurde am 24. März unterzeichnet, und eine Woche später verpflichteten sich die Briten, Polen im Falle eines deutschen Angriffs zu Hilfe zu kommen. Es scheint, daß Tileas Intervention wesentlichen Einfluß auf die damalige britische Politik hatte. Die Deutschen waren wütend auf ihn, weil er die Katze aus dem Sack gelassen hatte, und attackierten ihn fortwährend im deutschen Rundfunk.
Wie also auch schon ewähnt, hat Botschafter Tilea in der sogenannten "Tilea-Affäre" vom 17. März 1939 provozierende Informationen weitergegeben, die von England als Signal und Auslöser für das Ende seiner Appeasement-Politik gegenüber Deutschland benutzt wurden. Sie hat also auch nach Howe eine gewiß nicht ganz unwichtige Rolle bei der Herbeiführung des Zweiten Weltkrieges gespielt:
Das englische Außenministerium gibt einen falschen Bericht über die drohende deutsche Besetzung Rumäniens an die Presse weiter. Großes Presseecho und Druck auf die Regierung Chamberlain sind die Folge.
Auf dem englischen Wikipedia heißt es detaillierter:
In mid-March 1939, Tilea falsely [?] reported to the British government that his country was under the verge of an immediate German attack, which led to a U-turn on British policy of resisting commitments in Eastern Europe, as part of Neville Chamberlain's European Policy. In fact, there was no German attack planned on Romania in March 1939, but faced with troops from Romania's arch-enemy Hungary concentrating on the border, and German efforts to secure control of their country's oil industry, the Romanian government had concluded that there was a danger of a Hungarian-German invasion, and had exaggerated the danger level in order to secure British support. Whether Tilea was deliberately exaggerating the German threat to Romania as a way of gaining British support against the German demands to surrender the control of their oil industry as claimed by the British historian D.C. Watt, or if the Romanians genuinely believed that their country was under the verge of a German invasion in March 1939 as claimed by the American historian Gerhard Weinberg is still unclear.
Man spürt hinter allem die "Regie". Im Juli 1939 schickte Krafft Tilea seine neueste astrologische Veröffentlichung, worauf der vielbeschäftigte Tilea aber nicht antwortete (S. 236).

Juli 1939 - Hitlers Horoskop und die allgemeine politische Lage

Im Juli 1939 stützt sich Albrecht Haushofer "auf innerste Informationen", wenn er in einem Brief sehr detailliert die psychologische Lage Hitlers nachvollzieht und in Bezug setzt zur Astrologie (nach Jacobsen, Hans-Adolf: Karl Haushofer: Leben und Werk. Bd. 2: Ausgewählter Schriftwechsel 1917-1946. Harald Bolt-Verlag, Boppard am Rhein 1979 (Google Bücher), Bd. 2, S. 386) (Hervorhebungen nicht im Original):
Hier nun meine Analyse der allgemeinen Lage, die sich auf innerste Informationen stützt (wie auch im vorigen Jahr, wo ich doch seit Anfang Juni wußte, nicht "annahm", daß von oberster Stelle der 1. Oktober als Termin gesetzt war, zu dem die tschechische Frage "erledigt" sein sollte ("mit allen, auch kriegerischen Mitteln"). Bis Mitte August wird nichts passieren. Ab Mitte August soll alles für einen plötzlichen Krieg vorbereitet sein. O-Daijin [Hitler] will nach wie vor nur den lokalen Krieg, und befindet sich in derselben Schwankung wie im vorigen Jahr, daß er nicht sicher ist, ob der Westen ruhig bleibt. Die Unterschiede gegen voriges Jahr sind nur die, daß man diesmal den Westen ernstlicher in Rechnung setzt, und daß der Termin noch nicht mit jener Sicherheit feststeht wie voriges Jahr. Dafür ist der Konfliktswille auf der anderen Seite größer, unsere Wirtschaftslage schlechter, und die Aussicht, etwas nächstes Jahr günstigere Bedingungen zu finden, verringert. Die Gefahrlage ist also mindestens gleich groß. (Die Astrologie sagt dazu, daß O-Daijin [Hitler] zur Zeit Saturn rückläufig über die Sonne, mit laufendem Mars-Quadrat hat - was mit einigen Verschiebungen, ja leider auch auf Dein Horoskop wie auf Vaters und meine Mond-Position zutrifft: all evidence for a fairly disagreeable period that started in winter and will go on for considerable time.) Ich habe mir sehr ernsthaft überlegt, ob ich auf meine Exkursion gehen soll. Aber es ist vielleicht eine letzte Gelegenheit, und ich muß noch einmal aus der Stickluft heraus, sonst platze ich. - Wegen der Sicherheit der Rückkehr am 10. Aug. habe ich sowohl Weizsäcker wie Lorenz und Tippelkirch befragt, die sie alle bejahten. Alle drei lassen Vater übrigens grüßen, W[eizsäcker] besonders herzlich. Er ist unendlich müde, überarbeitet und im Innersten verzweifelt ...
Diesen Brief also lasse ich extra reisen ... Es tut mir sehr leid, daß diese Bombe gerade jetzt platzt. Aber sie kommt - spätestens in drei Tagen ...
Alles Liebe!
Albrecht [Haushofer]

Dieser Brief läßt hindurchspüren, wie dicht die beiden okkult- und astrologiegläubigen Haushofers, Vater und Sohn, an den Entscheidungen Hitlers "dran" waren. Vergleichbar dicht und in ähnlicher abwartender, "besorgter" und "verzweifelter" "Anteilnahme" wie zur gleichen Zeit ein Hans Bernd Gisevius!

August 1939: Astrologen erörtern untereinander die Wahrscheinlichkeit eines Weltkrieges

Kraffts Freund und Anhänger, der Ingenieur Georg Lucht, war Krafft erstmals auf dem Düsseldorfer Astrologenkongreß (19..) begegnet. Er berichtet 1961 sicherlich etwas sehr Typisches für die Stimmung in deutschen astrologischen Kreisen während der Krisenjahre 1938 und 1939. In seinem Bericht ist vom August 1939 die Rede. Und zwar etwas Typisches sicherlich nicht nur außerhalb des Einflußbereiches von Reichsministerien und -ämtern, sowie Staatsoberhäuptern (zit. n. Howe, S. 215):

Es waren ungewöhnlich schicksalsschwangere Wochen. Würde es Krieg geben oder nicht? Krafft war zunächst optimistisch. Er dachte, Deutschland könne die Krise positiv durchstehen wie die deutsche Besetzung des Sudentelands und Österreichs. Ich teilte seine Ansicht nicht, nicht nur, weil Hitlers Horoskop schwer belastet war, sondern weil auch das Horoskop des Deutschen Reichs vom 9. November 1918 für 1939-40 zwei starke Marsdirektionen zeigte. Dann kam aus München ein Brief von Dr. Mrsic, einem Astrologen, der ernstzunehmen war. Seinen Berechnungen zufolge waren ab Mitsommer große Truppenkonzentrationen an Deutschlands Ostgrenzen zu erwarten. Er schrieb, es bestehe Kriegsgefahr, und wahrscheinlich könne dieser Krieg nicht abgewendet werden. Dieser Brief machte großen Eindruck auf Krafft. Als ich ging, waren wir beide überzeugt, daß eine "Katastrophe" drohte, wenn der befürchtete Krieg sich ausweiten sollte.

Die Astrologen standen also untereinander in gutem Kontakt und ließen sich auch von der Meinung anderer angesehener Astrologen hinsichtlich tagespolitischer "Erkenntnisse" beeinflussen. Der streng fatalistische Münchener Astrologe Wilhelm Mrsic (1896 - nach 1957) hatte die "Deutschen Astrologenkongresse" der Jahre 1924 bis 1929 ebenso geleitet wie die 1923 gegründete "Astrologische Zentralstelle". Warum also sollte man eigentlich ausschließen, daß auch im Umkreis von Himmler, Heß und Hitler zu dieser Zeit derartige Gedankengänge wichtig waren? Wo Hitler doch noch 1935 dem "Deutschen Astrologenkongreß" in einem Grußtelegramm "weiteren Erfolg" wünschte?

1. September 1939: "Kein Hindu-Astrologe hätte Hitler so schlecht beraten"

Die internationale astrologische "Kapazität" B. Venkata Raman, damaliger Briefpartner von Karl-Ernst Krafft, schreibt sehr allgemein in seinen Erinnerungen "My Experiences in Astrology" (- The Autobiography of a Vedic Astrologer. 1985; 1992; South Asia Books, 1995; UBS Publishers 2011) (Hervorhebung nicht im Original):

In 1939 Hitler attacked Poland, it seems against the advice of Krafft, who along with several noted German astrologers, was herded into a concentration camp and all the available astrological literature, including of course my Indische Astrologie was destroyed. My German publisher salvaged some copies which were sent to me along with the royalty due after the end of the war.
It seems one German astrological school had an erroneous conception of "Saturn conjunction Sun". They advised Hitler to invade Poland when transit Saturn was in conjunction with Hitler's radical Sun, a planetary pattern which no Hindu astrologer would have approved. Experience shows that when any important work is undertaken under this transit there would be undue delay, disappointment and frustration. 

Die Gefangensetzung Kraffts und zahlreicher anderer Astrologen erfolgte ja erst nach dem Heßflug im Juni 1941 (siehe unten). Dennoch dürfte diese Angabe nicht ganz ohne Wert sein.

24. Oktober 1939 - Heß an Haushofer: "Schicksalsbestimmter Krieg zur schicksalsbestimmten Zeit ist der schicksalsbestimmte Weg"

Am 24. Oktober 1939 schreibt Rudolf Heß an Karl Haushofer (nach Jacobsen, Hans-Adolf: Karl Haushofer: Leben und Werk. Bd. 2: Ausgewählter Schriftwechsel 1917-1946. Harald Bolt-Verlag, Boppard am Rhein 1979 (Google Bücher), Bd. 2, S. 412f):

Schneller als wir beide gedacht haben und als Millionen geahnt haben, sind wir nun mitten in einem neuen großen Kriege. Einem Kriege, der wohl kommen mußte zur schicksalsbestimmten Zeit, wie so vieles vordem im Laufe der Entwicklung zum neuen Reich und seit dem Bestehen des neuen Reiches wohl durch seinen schicksalsbestimmten Weg ging. Und so wie alles vordem zum Guten führte, so wird auch - den festen Glauben habe ich - dieser Krieg zum Guten führen. Sicher ist jedenfalls, daß er bisher unter einem guten Stern stand, der freilich wohl auch hier sich in enger Beziehung findet zur Tüchtigkeit. Für uns beide ist es jedenfalls schon eine freundliche Schicksalsfügung, daß wir noch diesen ruhigen gesammelten Krafteinsatz der Nation erleben, der vor der Geschichte wieder gut machen wird (...), was sie einst unter einer politisch schlechten Führung an dunklen Blättern in das große Buch des Weltgeschehens geheftet hat.

Da Allah nicht zum Propheten kommt, wird der Prophet demnächst (...) über das Wochenende zu Allah kommen.

Hier vergleicht Heß Haushofer mit Allah und sich selbst mit seinem Propheten (!). Und etwas später betont Heß,

daß wir alles tun werden, (...) späteren Generationen die Schrecken solch eines Riesenkampfes zu ersparen. Und mehr Raum und Luft zum Leben werden die nach uns Kommenden auch haben. Wir haben uns wirklich redlich bemüht, es ohne Krieg zu schaffen.  Aber je mehr es den Anschein hatte, daß wir es wirklich schaffen, freilich aber auch das Gleichgewicht Europas verschieben, desto mehr wuchs wohl auf der anderen Seite der Entschluß, uns in den Arm zu fallen.

Auch hier noch spürt man das Schwanken Hitlers und auch seine Enttäuschung angesichts der Kriegserklärungen Englands und Frankreichs durch.

September 1939: Krafft wird "offiziell" vom Reichssicherheitshauptamt rekrutiert und schreibt weiter an Tilea

Mit den Kriegserklärungen Englands und Frankreichs an Deutschland am 3. September 1939 hatten Adolf Hitler und seine Umgebung nämlich nicht gerechnet. Offenbar ist Hitler das in keiner politischen Prognose (etwa von Ribbentrop) oder sonstigen, etwa astrologischen Prognosen mit ausreichender Sicherheit und Deutlichkeit vorausgesagt worden. Denn sonst hätte sich Hitler womöglich auf dieses Risiko doch nicht eingelassen. Durch diese Kriegserklärungen mag also das Vertrauen Hitlers in seine bisherigen politischen und astrologischen Ratgeber erschüttert worden sein.

Und im Reichssicherheitshauptamt mag man sich in diesem Augenblick bewußt geworden sein, daß man Hitler neue astrologische Ratgeber zuführen müsse, die ihn noch nicht so enttäuscht hatten wie das womöglich von Hanussen gesagt werden muß oder von jenen Ratgebern, von denen sich Hitler bis zum 3. September  1939 könnte beraten lassen haben. (Worüber einstweilen nichts bekannt ist, was sich höchstens in dem Brief von Albrecht Haushofer andeutet, was man aber doch bei den vielen erfolgreichen risikoreichen Entscheidungen bis August 1939 - als Sohn der Vorsehung, als den sich Hitler dabei ansah und angesichts der vielen Kontakte zu Astrologen, die auch sonst bekannt sind - annehmen wird dürfen oder gar müssen.)

In seinem astrologischem Freundeskreis war Krafft in Mannheim durch seinen Mitarbeiter Goerner mit einem Heinrich Fesel bekannt gemacht worden. Howe berichtet (S. 226f):

(Der Astrologe) Wilhelm Wulff erzählte mir, Walter Schellenberg, der Leiter vom Amt VI (Auslandsgeheimdienst) des Reichssicherheitshauptamtes, habe Dr. Fesel für das RSHA rekrutiert. (...) Wahrscheinlich hatte Krafft an Fesel geschrieben, um sich über die Möglichkeit einer Anstellung zu erkundigen. (...) Fesel arrangierte, vielleicht auf Anweisung seiner Vorgesetzten, ein Treffen mit Krafft in Titisee (...) kurz nach Kriegsbeginn. Fesel bewilligte Krafft im Auftrag des RSHA eine monatliche Zahlung von 500 Mark für Berichte, die er anzufertigen habe.
Da Howe nicht daran glaubt, daß Krafft als persönlicher Astrologe Hitlers gearbeitet hat und auch von seinen persönlichen Kontakten zu Rudolf Heß nichts wissen will, muß er eine andere Erklärung für diese Anwerbung geben, die natürlich auch zutreffend sein könnte: 
Ich glaube, daß Fesels Leute einen möglichen nützlichen Agenten auf Eis legen wollten, bis seine Zeit gekommen wäre. Daß Krafft einen Schweizer Paß hatte, war offenbar nützlich für die Deutschen, da es ihm erlaubte, mehr oder weniger unbehelligt außerhalb Deutschlands zu reisen, wie nach Frankreich oder in die Beneluxländer. (...) Krafft hatte bei der Botschaft der Schweiz angefragt und erfahren, daß er damit nicht gegen Schweizer Gesetze und Vorschriften verstoße. Fesel muß Krafft wohl mit einer passenden "Legende" ausgestattet haben. (...) Seine Verhandlungen mit dem RSHA waren im Oktober 1939 abgeschlossen.
Die Berichte, die Krafft für Fesels Amt schrieb, waren nicht besonders geheim, wie eine Bemerkung Goerners zeigt. Sein Sekretär Gerhard zur Horst tippte die monatlichen Berichte an Fesel, und auch Goerner las sie. Er erinnert sich , daß Kraffts Schreiben sich um Themen drehten wie: der Feldzug gegen P9olen und seine Auswirkungen, die Mögliochkeiten militärischer Aktionen im Westen und verschiedene Propagandathemen.
26. September 1939: Krafft bringt seine "eindrucksvollen" Voraussagen bei Tilea in Erinnerung

Eine der ersten, mit dem neuen Arbeitgeber, dem RSHA abgesprochenen Aktionen scheint dann die folgende gewesen zu sein (Howe, S. 236):
Kurz nach Kriegsbeginn traf ein Brief Kraffts in London (bei Tilea) ein. Er trug das Datum 26. September 1939, war in Urberg (Schwarzwald) in englischer Sprache geschrieben. (...) Er war kurz nach dem Treffen mit Fesel in Titisee verfaßt, wo Krafft auf die Gehaltsliste des Reichssicherheitshauptamtes gesetzt worden war.
Howe druckt den Brief in Faksimile ab (S. 237). Er lautet in Übersetzung (zit. nach S. 238):
Lieber Herr Tilea,

als wir uns das letzte mal in Zürich trafen, schienen Sie eher skeptisch zu sein, als ich zu behaupten wagte, daß gewisse Leute ihre beste Zeit noch vor sich hätten, und daß eine neue Ordnung in Südwesteuropa unvermeidlich kommen werde. Mittlerweile haben Sie sich sicherlich an unser Gespräch erinnert, und Ihr Vertrauen in historionomische und kosmobiologische Gesetze sollte gewachsen sein.

Dr. Franklin Bircher erzählte mir im letzten Frühjahr, Sie glaubten, die Deutung, die ich über eines der beiden Geburtsbilder und Handschriften angefertigt habe, sei durch Wissen über Personen "inspiriert". Das war nicht der Fall, und als ich erfuhr, um wen es sich handelte, war ich wohl erstaunter als Sie über das tragische Ende dieses Patrioten.
"Erstaunt" erklärt er sich über den von ihm angesagten Tod eines anderen Menschen. Das leere und hohle Geschwätz von - - - politischen Astrologen und Wahrsagern. Am 18. Oktober 1939 begründet Krafft in einem ausführlichen Brief an seine langjährige Freundin in der Schweiz, warum er nach dem Kriegsausbruch nicht, wie zunächst geplant, in die Schweiz zurückkehren wolle (S. 225f):
In Deutschland, erklärte er, schätze man persönliche Fähigkeiten und Überlegenheit, während man solche Qualitäten in der Schweiz verachte. Seiner Ansicht nach habe das Land seiner Geburt seinen Wert nie gewürdigt, während er in Deutschland, wenn man ihm die Möglichkeiten gäbe, die ihm zustehende Anerkennung zu finden hoffe.

Offenbar hatte man ihm also schon zu diesem Zeitpunkt vom Reichssicherheitshauptamt aus weitreichende Aussichten für seine Tätigkeit eröffnet. Umgekehrt ist natürlich zu fragen, was nun das Reichssicherheitshauptamt mit einem Menschen mit einer solchen krausen Biographie glaubte anfangen zu können, wie sie Ellic Howe schildert. Im Schwarzwald, wo sich Krafft mit seiner 1937 geheirateten Frau mit eigener Hand ein Sommerholzhaus mit weiter Aussicht erbaut hatte, vermutete man in diesen Jahren, in denen kriegerische Spannungen in der Luft lagen, in Krafft einen ausländischen Spion.

Doch das reichlich durchsichtige Spiel, das das Reichssicherheitshauptamt - dabei  gewiß nicht unwahrscheinlicherweise gesteuert vom britischen Secret Service - sich erkühnte, mit dem Astrologen Krafft Hitler und Goebbels gegenüber zu spielen, bekommt durch die Veröffentlichung von Ellic Howe deutliche Konturen. Es wird sicherlich als ein weiteres Schulbeispiel aus der astrologischen Hintergrundpolitik-Geschichte des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden können.

8. November 1939 - Das Hitler-Attentat und der Hellseher Karl Ernst Krafft

Am 2. November 1939 gibt Goebbels auf einer Ministerkonferenz die Anweisung an die Partei, ein wachsames Auge auf Wahrsager, Astrologen und Hellseher zu haben (Irving/Goebbels, S. 333). Und was geschieht an eben diesem 2. November? Über Kraffts Berichte an das RSHA schreibt Howe (S. 228):

Als Krafft am 2. November ein solches Schreiben an Fesel schickte, ließ der es ohne Bedenken im RSHA zirkulieren. Krafft sagte darin vorher, Hitlers Leben sei vom 7. - 10. November in Gefahr, und er benutzte tatsächlich den Ausdruck, es bestehe "die Möglichkeit eines Attetantsversuchs durch Explosivstoffe".
Damit scheint also im November 1939 eine neue "Offensive" psychologischer Kriegsführung mit Hilfe von Hellseher-Gläubigkeit auf die Führungsspitze des Dritten Reiches begonnen zu haben. Zum einen durch die Inszenierung des Georg Elser-Attentats auf Adolf Hitler und dessen hellseherische Auswertung. Stephan Berndt schreibt nun (1, S. 200):
Dann erfolgte am 8. November 1939 im Münchener Bürgerbräukeller tatsächlich ein Bombenattentat auf Hitler.
So wie es da steht, sieht es nicht anders aus, als würde es sich um eine neue "Hanussen-Inszenierung" handeln. Neue "Abenteuer" für den Hauptdarsteller der "Zauberflöte", genannt "Drittes Reich". Wieder einmal erhält man auf ein bekanntes geschichtliches Ereignis, nämlich das Attentat des Georg Elser, einen neuen Blick. Mußten Hitler, Goebbels und andere durch solche "spektakulären" Inszenierungen erst wieder erneut "auf Linie" gebracht werden, was ihre Wahrsage- und Schicksals-Gläubigkeit betrifft, damit sie "wachsweich" bleiben würden gegenüber den wichtigsten Beeinflussungen? Nach allem, was man inzwischen von diesem Reichssicherheitshauptamt weiß, wo doch offenbar die eigentliche Regie für die Geschichte des Dritten Reiches geführt wurde (etwa auch in der so "kriegswichtigen" "Blomberg-Fritsch-Krise" ein Jahr zuvor), erscheint einem doch nichts weniger als wahrscheinlich, als daß das Reichssicherheitshauptamt - also unauffällige Beamte wie Werner Best oder Walter Schellenberg - von den Attentatsplänen wußten und sie für eine Inszenierung Hitler gegenüber benutzten.

Aber worum ging es dabei? In dieser Zeit ging es unter anderem darum, daß Hitler nun - nach den 12-Jahres-Regieplänen der Bullitt-Hanussen-Clique und ihrer Hinterleute - nach dem Angriff auf Polen einen Angriff auf Frankreich machten "mußte". Als neue "Bewährungsaufgabe". - Hatte man denn Anzeichen, daß Hitler diesen eventuell hinauszuzögern bestrebt war? War man sich denn noch nicht genügend sicher, daß Hitler ihn "im Zeitplan" ausführen würde? Oder weshalb die Inszenierung dieses "überraschend" "vorausgesagten" Attentats?

Es ist womöglich naheliegend, daß - wie eingangs schon zitiert - auch hier "der britische Geheimdienst während des Zweiten Weltkriegs den Kriegsherrn Hitler mit getürkten Weissagungen verunsichern wollte" und Ellic Howe sich deshalb so genau mit diesem Fall beschäftigt hat. Ellic Howe betrieb nämlich auch umfangreiche Forschungen zur Geschichte der Freimaurerei und der satanistischen Okkultloge "Golden Dawn". ... Womit man "wieder einmal" "alles hübsch beisammen" hätte.

Kriminalist Gisevius spricht vom "fingierten Attentat" und von Hitlers "Orakeln" und Aberglauben diesbezüglich

Der vielwissende Hans Bernd Gisevius deutet schon einiges über die Psychologie von Adolf Hitler an, wenn er die in der Hitler-Niemöller-Unterredung vom 25. Januar 1934 von Hitler geäußerte Nebenbemerkung anführt (Gisevius/Hitler, S. 233):
Jedesmal, wenn ich den Lärm eines Autos höre, denke ich, jetzt kommt so ein Idiot und will mich totschießen. Glauben Sie nicht, daß ich Angst habe! Aber ich möchte wenigstens vorher wissen, was er vorhat.
Hitler hatte also durchaus Anlaß, sehr oft über die Möglichkeit eines Attentats auf sich nachzudenken. Und Gisevius, der auch zu dem Reichstagsbrand viel geschrieben hat, macht in seinem Buch "Adolf Hitler" auch zu dem Elser-Attentat vom November 1939 in höchstem Maße aufschlußreiche Ausführungen. Diese sind zum Teil in sich logisch so widersprüchlich, bzw. scheinen nur oberflächlich zu Ende gedacht, daß man hinter ihnen mehr an Wissen vermutet, als in ihnen ausgeführt worden ist. Es wäre wohl eine eigene Studie wert, den "merkwürdigen" Implikationen seiner diesbezüglichen Ausführungen - wie auch vieler sonst - genauer nachzugehen. Im folgenden nur die wesentlichsten Auszüge daraus mit möglichst sparsamen Kommentaren. Über die Bürgerbräu-Rede Hitlers am 8. November 1939 schreibt Gisevius also (Gisevius/Hitler, S. 458 - 461):
Hitler beginnt die Rede früher als gewohnt und bricht sie ebenso abrupt ab. (...) Schon am Nachmittag beklagt er sich am Stammtisch im Kaffeehaus, er habe das unangenehme Gefühl, es liege etwas in der Luft. Während der Rede bedrängt ihn zwei- oder dreimal eine innere Stimme, die nicht lockerläßt, bis er ihr nachgibt: "'raus, 'raus."

Den Radiohörern fällt das fast mehr auf als den Alten Kämpfern im Saal. (...) Etwa zwanzig Minuten später, als Hitler längst fort ist, gibt es eine furchtbare Detonation. (...) Als Hitler das Telegramm liest, das ihm in Nürnberg in den Sonderzug gereicht wird, stutzt er einen Augenblick. Dann lehnt er sich voller Genugtuung in den Sessel: "Jetzt bin ich völlig ruhig. Daß ich den Bürgerbräu früher als sonst verlassen habe, ist mir eine Bestätigung, daß die Vorsehung mich mein Ziel erreichen lassen will."
Und die vielen anderen Opfer dieses Anschlages sind Gisevius an dieser Stelle wie auch sonst keine Erwähnung wert, obwohl doch Hitler über diese sicherlich ebenso Betroffenheit gezeigt hat, wie die hier geschilderte Erleichterung hinsichtlich seines eigenen Überlebens - ? Gisevius jedenfalls weiter: 
Wer das liest, muß sagen, dieses Szenarium riecht fatal nach besteller Arbeit. Zumindest jeder Oppositionelle nimmt damals an, es handle sich um einen fabrizierten "Anlaß", sei es, daß Himmler die allgemeine Hochspannung ausnutzen und einen vernichtenden Schlag gegen (...) die latente Opposition führen will, sei es, daß sich Hitler kurz vor dem unmittelbar bevorstehenden Abenteuer der Westoffensive nochmals von der "Vorsehung" bestätigen lassen möchte.
Der letzte zitierte Satz ist in sich merkwürdig unlogisch: Hitler soll ein Attentat fabriziert haben, um sich von der "Vorsehung" bestätigen zu lassen? Er hätte also selbst nicht an die Vorsehung geglaubt? Das schreibt Gisevius sonst nirgendwo. Sondern auch er geht von Hitlers echtem Glauben an die Vorsehung aus. Dann aber ist dieser Satz doch logisch merkwürdig unsinnig!? Ansonsten - auch das wird nicht jeder auf den ersten Blick verstehen - wird/wurde hier von Gisevius und anderen Oppositionellen ein "vernichtender Schlag" gegen jene befürchtet (oder erhofft, siehe unten), denen man bereit ist, die Durchführung eines solchen Attentats zu unterstellen. Nämlich entweder a) der Wehrmacht-Opposition oder b) den bayerischen Legitimisten (!) (die Kreise um den Kronprinzen Rupprecht) oder c) den oppositionellen Otto Strasser-Leuten im Ausland. Gisevius jedenfalls schreibt weiter:
Merkwürdigerweise bleiben jedoch die befürchteten Reaktionen aus. Im Gegenteil, Hitler befiehlt eine strenge Untersuchung, die er durch die ordentliche Kriminalpolizei unter Ausschaltung der Gestapo geführt sehen will.
So so. Gisevius bemerkt an dieser Stelle nicht, daß hier von jener Behörde die Rede ist, in der er selbst an führender Stelle tätig gewesen war, bzw. in deren engstem Umfeld er sich natürlich auch noch nach seinem Ausscheiden aus derselben soweit er konnte (im "engsten Freundeskreis") bewegte. Gisevius weiter:
Schroff lehnt er (Hitler) Himmlers - beinahe panikartigen, jedenfalls nicht auf eine sorgfältige Regie deutenden - Antrag ab, eine Abschreckungsreaktion gegen bayerische Legitimisten durchzuführen. Auch wartet der sonst um keine Ausrede oder Halbwahrheit verlegene Goebbels trotz der allgemeinen Nervosität mit keiner plausiblen Version auf. Beinahe zwangsläufig wird die verblüffte Öffentlichkeit darauf gestoßen, daß es sich - so oder so - um eine mysteriöse Angelegenheit handeln muß. Kenner der Materie drängt sich allerdings eine ganz andere Erwägung auf, die sorgenvoll im engsten Freundeskreis erörtert wird, weil sie in ihrer Konsequenz auf einen mißglückten Anschlag aus Widerstandskreisen deutet: Dieser übervorsichtige Hitler soll sich unter eine Säule gestellt haben, von der er wußte, daß in ihr eine Bombe eingebaut war, gleichgültig, ob sie durch Zeitzünder oder einen fernen Druckknopf zur Auslösung gebracht wurde? Undenkbar!
Gisevius, der sich doch zu diesem von ihm benannten "engsten Freundeskreis" rechnet, will damit also sagen, daß zumindest Hitler - ebensowenig wie Himmler - von der Vorbereitung eines solchen "fingierten Attentates" wußten. Er will aber zugleich sagen, daß Hitler irgendwelche sehr präzisen "Vorahnungen" und "Ahnungen" bezüglich dessen gehabt haben muß, daß "die Vorsehung" ihn sein Ziel erreichen lassen wolle trotz vorbereiteter Anschläge!!! (Und zwar dies offenbar auch ganz unabhängig von der ihm erst einen Tag nach dem Anschlag bekannt gewordenen Prophezeiung des Astrologen Krafft, die Gisevius auffallenderweise nirgendwo erwähnt, obwohl sie ihm ja spätestens nach dem Krieg bekannt geworden sein muß.)

Gisevius unterstellt also gleich auch noch deutlicher, daß Hitler ähnliche Prophezeiuungen ("Orakel") wie diejenige Kraffts über diese Tage auch schon von anderer Seite gemacht worden waren. Und daß seine Errettung ihm diese - und noch weitergehende, allgemeinere - Prophezeiungen bestätigt haben! Und nachdem sich Gisevius bezüglich des Reichstagsbrandes - mit Recht - so viel Mühe gegeben hatte aufzuzeigen, daß dieser nicht die Tat eines Einzeltäters gewesen sein kann und war, schreibt er lächerlicherweise bezüglich des Elser-Attentates nun ganz naiv von den Ermittlungen seiner Behörde, der Reichskriminalpolizei, weiter:
In der Tat erbringen minuziöse kriminalistische Untersuchungen alsbald den - nach 1945 mit demselben Ergebnis überprüften - Beweis, daß es sich um kein gestelltes Unternehmen, sondern um das Werk eines Einzelgängers handelt.
Ja, ja, die Weltgeschichte und diese "merkwürdigen" "Zufälle", wird Gisevius etwas später darüber sinnieren. Nein: Da lachen ja die Hühner! Gisevius selbst hatte gerade eben erst ausgeführt und führt es gleich auch noch weiter aus, wie in das allgemeine Bild alles besser hineinpaßt als die Möglichkeit, daß dieses Attentat das "zufällige" Werk eines Einzelgängers gewesen wäre - ganz ebenso wie beim Reichstagsbrand. - Und nun behauptet er dennoch so etwas! Und glaubt wohl, daß ihm die Nachwelt das abnimmt. Ja, er hat sogar die Stirn weiterzuschreiben (S. 458):
Der Autor dieses Buches kann um so unbefangener darüber reden, als er sich aus verschiedenen Gründen lange Zeit gegen dieses Resultat gesträubt hat. Erstens wartete er in jenen kritischen Wochen ohnehin auf einen "Anlaß", der in der Luft lag.
- Aha! Wenn das mal nicht eine verräterische Äußerung ist! - Gisevius weiter:
Da es sich bei dem Attentat um ein besonders plumpes Gestapomanöver zu handeln schien, griff er, zweitens, mit beiden Händen zu, einem von ihm während der Fritsch-Krise empfohlenen und vom damaligen Generalstabschef Beck aufgenommenen Plan modifiziert bei dessen Nachfolger in Erinnerung zu bringen: Die Wehrmacht solle den durch die Unachtsamkeit der Gestapo so offenbar in seinem Leben gefährdeten Führer unverzüglich in "Schutz" nehmen; gleichzeitig solle sie präventiv gegen die SS vorgehen. Eine vom Autor mit Wissen und Nachhilfe des Admirals Canaris verfaßte Denkschrift wurde Halder noch am Tage nach dem Attentat durch den Abteilungsleiter "Abwehr", Oberstleutnant i. G. Großkurth, überbracht und kam sogar in Brauchitschs Hände. Der Generalstabschef äußerte wenige Tage danach gegenüber Großkurth, daß ihm die Gedankenführung einleuchtend erschiene. Vorübergehende Gedächtnislücken, zumindest bei Brauchitsch, sind durch die kürzliche Auffindung von Großkurths Tagebuch behoben worden. An einer Bereitwilligkeit des Autors, die Version eines fingierten Attentats zu glauben, hat es also bestimmt nicht gefehlt.

Es ist eine ebenso spannende wie überzeugende Kriminalgeschichte, wie damals die Kriminalisten bei ihrer minuziösen Arbeit, ...
- der Begriff "minuziös" wiederholt sich in psychologisch auffälliger und "überzeugender" Weise ! -
... (...) immer wieder auf einen jungen Mann mit schwäbischen Dialekt stießen, und wie ihnen seine Identifizierung gelang
- aber woll' ja! -
bis sie ihn schließlich fanden - nebenan im Gestapogefängnis.
- aber woll' ja! - Und noch lächerlicher weiter:
Lubbe II hatte ihn der Abteilungschef in der Abwehr, General Oster, genannt.
Und weiter Gisevius:
Kaum daß die Konkurrenz von der Gestapo merkt, daß die unpolitischen Kriminalisten
- aber woll' ja, wie unpolitisch! - 
sich in den Besitz Elsers setzen wollen, beginnt sie ihrerseits mit einem "Verhör" - in welchem sie ihn zum Lubbe II umlügen will. Denn inzwischen ist der erste Teil ihres "offiziellen" Untersuchungsergebnisses bereits in Berlin von Heydrich und Goebbels fertiggestellt worden. Beide haben den emigrierten Otto Strasser zum Urheber des Attentats ernannt. (...) Der englische Secret Service hat die technischen und finanziellen Mittel für den Anschlag beigesteuert.
So die öffentlich bekannt gegebene Version von Heydrich und Goebbels. Etwas später schreibt Gisevius:
Hitler kann nicht dulden, daß es nur ein belangloser Herr Unbekannt gewesen sein soll, vor dessen Anschlag ihn die Vorsehung gerettet hat.
Diesen Satz muß man nicht als in sich besonders logisch oder der Psychologie Hitlers angemessen empfinden. Warum soll Hitler so etwas nicht hätte "dulden" können? Warum sollte Hitler nicht wissen, daß "die Vorsehung" auch aus "belanglosen Herren Unbekannt" bedeutungsvolle Menschen machen kann? Oder gibt Gisevius hier schon ein etwaig magisch-okkultes Denken Hitlers wieder? Gisevius jedenfalls weiter:
Angeblich wird also der geständige Attentäter für den großen Prozeß aufgespart, den man ihm und seinen Hintermännern machen will, der aber bezeichnenderweise nie stattfindet. (...) Welch ganz andere Zusammenhänge vorliegen, geht jedoch am besten aus der Tatsache hervor, daß Elser im Prominentenflügel des Dachauer Konzentrationslagers untergebracht wird. (...) Daß Himmler von sich aus mit solcher Großmut Staatsfeinde behandeln sollte, (...) braucht nicht weiter erörtert zu werden, ebensowenig die Überlegung, Heydrich könne Kreaturen, deren er sich für ein fingiertes Attentat bedient hat, auch nur einen Tag länger am Leben lassen.
- Hier unterstellt also Gisevius doch wieder ein "fingiertes Attentat", fingiert durch Heydrich. Nachdem er sich doch davon überzeugt haben will, daß es eben kein fingiertes Attentat war ... - Oftmals werden die Ausführungen von Gisevius zu einer bestimmten Thematik ganz am Ende am Spannendsten. So auch hier:
Vielmehr geht diese außergewöhnliche Sonderbehandlung auf des abergläubischen Hitlers Vorstellung zurück, der - wer weiß auf Grund welchen Orakels - sich in den Kopf gesetzt hat, sein Leben sei untrennbar mit dem "seines" Attentäters verknüpft, weshalb er dessen Lebensfaden keinesfalls abschneiden darf: daher auch sein Zorn, als später Stauffenberg noch am Abend des 20. Juli auf Geheiß des Obersten Fromm standrechtlich erschossen wird.
Mit diesen Ausführungen stoßen wir also noch auf einen weiteren, auf den ersten Blick sehr merkwürdigen Aspekt der "Abergläubigkeit" Adolf Hitlers! Gisevius weiter:
Bedürfte es noch eines weiteren Hinweises auf diese mysteriösen Zusammenhänge, die direkt zu Hitler führen, dann zeugt dafür die Behutsamkeit, mit der Elser im April 1945 vom Leben ins Jenseits befördert wird.
Am 5. April 1945 befahl Hitler die Ermordung sowohl von Canaris wie von Elser. Jedoch hatte Hitler bei der Ermordung von Elser - laut Wikipedia - tatsächlich die Sorge, daß diese Ermordung so aussehen sollte, als sei Elser bei einem Luftangriff der Alliierten ums Leben gekommen. Das ist in der Tat merkwürdig. Und Gisevius macht darauf munkelnd aufmerksam:
Hitlers Liquidationsbefehle pflegen (sonst) nicht derart taktvoll umschrieben zu werden. So wird es des bizarren Zitherspielers (Elser) absonderliches Geheimnis bleiben, warum man sich noch bei den letzten Akkorden der braunen Götterdämmerung (...) plötzlich seiner entsinnt. Angsterfüllt und mit einer fast unheimlich anmutenden Scheu, so als wollten diese millionenfachen Mörder ausgerechnet mit dem Abtritt dieses Sonderlings (...) nichts zu tun haben, beseitigen sie einen lebenden Leichnam, der von der Weltöffentlichkeit längst vergessen ist.

Einen "lebenden Leichnam"? Im Prominentenflügel kurz vor der Befreiung? - ??? Nicht nur das geschilderte Handeln Hitlers ist an dieser Stelle "merkwürdig". Viel merkwürdiger und bezeichnender sind noch die für das Schicksal Elsers und der bei seinem Attentat ums Leben Gekommenen so wenig Mitgefühl zeigenden, kalten Worte von Gisevius selbst. Nein. Man glaubt durch seine Schilderung hindurchzuspüren, daß er, Gisevius, ein Mitwisser von der Fingierung dieses Attentates gewesen ist und auch ein Mitwisser der merkwüdigen, offenbar okkult-magischen Abergläubigkeit, die mit diesem Attentat auf Seiten Hitlers parallel ging und offenbar durch dieses Attentat bekräftigt hatte werden sollen.

November 1939: Hitler ist auf der Suche nach seinem "Seni"

Jedenfalls ganz im Einklang mit der Schilderung von Gisevius hatte Josef Goebbels noch am 8. November 1939, kurz nachdem er von dem mißglückten Bombenaschlag in München erfahren hatte, in sein Tagebuch geschrieben (zit. n. Irving/Goebbels, S. 332f):

Er (Hitler) steht doch unter dem Schutz des Allmächtigen. Er wird erst sterben, wenn seine Mission erfüllt ist.

Auch dies scheinen Worte zu sein, in denen mehr mitschwingt, als einem Uneingeweihten an Abergläubigkeit auf Seiten von Goebbels und Hitler bislang hat bekannt werden können. Sowie jedenfalls der Astrologe Krafft von dem Attentat erfahren hatte, hat er ein Telegramm an Rudolf Heß gesandt und auf seine Voraussage hingewiesen (1, S. 201). Außer an der einen Stelle mit dem "Orakel" erwähnt Gisevius an keiner Stelle den Astrologen Krafft.

Wo doch auch Gisevius wissen konnte, daß am Abend des 9. November 1939, einen Tag nach dem mißglückten Attentat, Hitler die schon zuvor an das Reichssicherheitshauptamt gesandte Attentats-Warnung des Krafft in der Hand gehalten hatte, was Hitlers Mißtrauen gegenüber seinem Reichssicherheitshauptamt offenbar nur sehr ungenügend scheint verstärkt zu haben. Er zeigt sie bloß - "wissend"? - Goebbels. Und auch dessen Mißtrauen scheint dadurch nicht geweckt. Die Angaben darüber stammen aus dem 1949 veröffentlichten 238-seitigen Buch "Dr. Goebbels - Nach Aufzeichnungen aus seine Umgebung", in dem es laut Antiquariatsbuchhandel offenbar im Vorwort heißt (ZVAB):

Die Tagebücher, die die Grundlage der folgenden Darstellung bilden, wurden fast zwanzig Jahre lang geführt. Ihre vollständige Veröffentlichung muß einer späteren Zeit vorbehalten bleiben. Für jetzt empfahl sich eine gedrängte Porträtzeichnung des Mannes, in dem wohl viele noch einen bei aller Verschlagenheit doch gutgläubigen Kämpfer für eine "Idee" sehen. Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei festgestellt, daß alle, auch die überraschendsten und fast unwahrscheinlich anmutenden Vorfälle und Aussprüche jeweils am gleichen Tag aufgezeichnet wurden. Das vorliegende Buch muß also vor allem als Quellenwerk gelesen werden.
Und darin wird berichtet (zit. n. 1, S. 202 - 207) (Hervorhebung nicht im Original):
"Toll!", sagt Goebbels kopfschüttelnd. Das ist alles. Er weiß, daß Hitler seit langem auf der Suche nach seinem Seni ist. Ein Hofastrologe - das hat gerade noch gefehlt. Dann würde sich Hitler seinem Einfluß ganz entziehen. Aber gegen den Brief ist kein Argument vorzubringen. Das Zusammentreffen von Horoskop und Attentat scheint überzeugend. "Toll!", sagt Goebbels und beginnt über die Auslands-Pressestimmen Vortrag zu halten.
Sodann wird berichtet (Irving/Goebbels, S. 333) (Hervorhebung nicht im Original):
Auf seiner vertraulichen 11-Uhr-Konferenz (sprich Ministerkonferenz) am 11. November 1939 hatte Goebbels angeordnet, alle astrologischen Publikationenauf einschlägige Prophezeiungen durchzusehen. Tatsächlich waren solche Werke schon lange verboten. "Eine Menge Schund wird darüber geredet und geschrieben. Und obendrein sind jetzt alle Weissagungen eigenartigerweise zu unseren Gunsten."

Goebbels hat noch mehr Anlaß, sich mit Wahrsagerei zu beschäftigen. Denn interessanterweise geschieht parallel und weitgehend zur gleichen Zeit noch etwas anderes im Zuge der genannten - wie es scheint neuen - "Offensive" der (womöglich auch von England aus gesteuerten) Hellseher- und Okkultgläubigen im Umkreis der DGWO auf die Führungsspitze des Dritten Reiches.

November 1939 - Die Nostradamus-Forscher Carl Loog und H. H. Kritzinger überzeugen Goebbels: England hat "nichts zu lachen", denn: Nostradamus hat seinen Niedergang in "verblüffender" Weise vorausgesagt

Dem Ehepaar Goebbels werden nämlich im November 1939 aus dem Bekanntenkreis von verschiedenen Seiten gleich vier Exemplare eines okkulten Buches aus dem Jahr 1922 übermittelt (1, S. 151ff), das schon oben erwähnt wurde. Nämlich des Buch "Mysterien von Sonne und Seele - Psychische Studien zur Klärung der okkulten Probleme" eines Hans-Hermann Kritzinger (1887-1968), ebenfalls eines Mitgliedes der freimaurer- und satanismusnahen "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus". Eines der vielen Bücher, die die damaligen Menschen mit Geschick wahrsage- und okkultgläubig machen sollten. Darin werden auch die Vorhersagen des Nostradamus behandelt. Und dort heißt es unter anderem:

Besonders wertvoll sind die Mitteilungen über das weltmächtige England. (...) Zur Datierung des Niedergangs Englands haben wir zwei Vierzeiler. Zunächst die sieben politischen Umwälzungen seit Nostradamus Zeit, beginnend mit Cromwell 1649 und dann 1660, 1685, 1689, 1711, 1714 und - "man wird sehen, daß das Britenvolk sich sieben Mal in 290 Jahren ändert, nachdem es mit Blut befleckt ist" (III, 57) - bis 1939. Merkwürdig, daß man auch anderweitig auf dieses Jahr stieß, das nach Nostradamus in C. Loogs Deutung auch von einer Krise in Polen begleitet ist.

Die Zahl 1939 ist der einzige Fettdruck im ganzen Buch. Wie kam Kritzinger dazu, diese Zahl sogar noch in Fettdruck setzen zu lassen und von einer "Krise in Polen" zu sprechen? Ein Niedergang des britischen Weltreiches ist damals ebenfalls von vielen erwartet worden. All das deutet jedenfalls sehr deutlich darauf hin, daß Kritzinger hier hintergrundpolitische Informationen auswertete. Nach dem Versailler Vertrag herrschte in diplomatischen Kreisen zumal der frühen 1920er Jahre allgemein die Meinung vor, daß sich an der Korridorfrage ein neuer Krieg entzünden würde. 

Das hier erwähnte Nostradamus-Buch von Carl Loog war erst ein Jahr zuvor, nämlich 1921, erschienen und ist - höchstwahrscheinlich - bald nach seinem Erscheinen in den privaten Buchbesitz des Adolf Hitler gelangt. Denn von dort gelangte es mit nur 80 weiteren Büchern Hitlers auch noch in den Bunker unter der Reichskanzlei im Jahr 1945 (heute befindet sich dieser Bücherbetand in Washington).

Diese "Voraussagen" sind natürlich wie immer okkulter Humbug. In den Nostradamus kann man hineinlesen und herauslesen, was immer man will. Und das ist auch schon vielfach geschehen. Entscheidend ist hier aber nicht nur die Wertschätzung durch Adolf Hitler, sondern auch die überlieferte Reaktion der Magda Goebbels auf die Lektüre des ihr und ihrem Ehemann vierfach zugesandten Buches. Vor Aufregung weckte sie abends ihren schon eingeschlafenen Ehemann, um ihn auf die zitierte Stelle hinzuweisen. So hat es der Autor Kritzinger selbst dem britischen Geheimdienstmann und Historiker Ellic Howe berichtet. Und Goebbels selbst schrieb in sein Tagebuch (zit. n. 1, S. 156):

22. November 1939:
Zeitig ins Bett. Noch lange gelesen. Nostradamus' Prophezeiungen. Für uns heute sehr interessant. Hoffentlich stimmen die gewagten Kommentare. Dann hat England ja nichts zu lachen.
Man sieht, die Attentats-Warnung des Krafft und die Zusendung des Kritzinger-Buches entfalten ihre Wirkung - auch bei Goebbels. Es wird nicht ganz verständlich, wie man aus diesen Worten - wie dies Stephan Berndt tut - herauslesen kann, Goebbels wäre per se nicht wahrsagegsgläubig gewesen. Die Worte "Für uns heute sehr interessant" und "Dann hat England ja nichts zu lachen", deuten doch sehr eindeutig auf das Gegenteil. Am nächsten Tag schrieb Goebbels in sein Tagebuch von einem Gespräch mit Hitler darüber, wobei Hitler auffälligerweise das Nostradamus-Buch in seinem Besitz unerwähnt läßt (Hervorhebung nicht im Original):
23. November 1939
Beim Führer. (...) Ich erzähle von den Prophezeiungen des Nostradamus. Sie sind für unsere Zeit geradezu verblüffend. Der Führer interessiert sich sehr dafür, aber er will sie nicht lesen. Er erzählt mir, daß ihm in seiner Jugend eine Zigeunerin aus der Hand lesen wollte, dann aber ganz betroffen zurückgeprallt sei. Möglich, daß man Schicksale voraussehen kann. Aber der tätige Mensch soll handeln und sich bereit halten, wenn die Chance kommt. Das ist die eigentliche Stärke des Führers. Er hat den Mut, im entscheidenden Augenblick auch Entschlüsse zu fassen.

"Der Führer interessiert sich sehr dafür." Wenn man diesen Eintrag richtig liest, hatte Hitler aber doch sehr eindeutig sogar vor Goebbels bis dahin den allergrößten Teil seiner Kontakte zu Astrologen und Wahrsagern verborgen gehalten. Von der Sorge, daß Hitler sich seinen "Seni" suchen würde, liest man in diesem Tagebuch ebenfalls nichts, wobei also entweder das Tagebuch oder das Borresholm-Buch "Stilisierungen" unterliegt - oder beide. Jedenfalls deuten hier das Wort "verblüffend" wie auch die weiteren Ausführungen nicht gerade darauf hin, daß Goebbels - zusammen mit Hitler - die Fähigkeit, Schicksale voraussehen zu können, per se für unmöglich erklären würde. Im Gegenteil: Hitler interessiert sich dafür ja wieder einmal "sehr". Man kann ja auch im Hinterkopf behalten, daß auch Goebbels diese Worte geschrieben haben könnte im Hinblick auf "Gerüchte im Volke", von denen ja bekannt war, daß man sich ihnen gegenüber gegebenenfalls auch Handlungsspielräume offen lassen mußte, also umfangreichere astrologische Interessen auch ableugnen können mußte. Hier jedoch werden sie bestenfalls halbherzig entkräftet. Und gerade aus dieser Perspektive mutet einem die "Notwendigkeit", daß Goebbels hier offenbar die "Entschlußstärke" des Führers so betont - und betonen muß -, um so verdächtiger an.

Von diesem Zeitpunkt ab spielen Nostradamus-Deutungen eine große Rolle im okkulten Umfeld der NS-Führung. Möglicherweise hatte irgend jemand - vielleicht im britischen Secret Service, in den Kreisen eines William C. Bullitt oder anderwärts - erkannt oder vermutet, daß man ab jetzt mit Nostradamus-Deutungen besonders leicht Hitler und die NS-Führung manipulieren und in der Einhaltung ihres bisher eingeschlagenen imperialistischen Weges bestätigen, bekräftigen oder gar weiter voran treiben könnte. Denn mancherlei Hinweise lassen doch auch erkennen (etwa die Auflage von 300 Exemplaren von Kraffts Nostradamus-Kommentar), daß der Nostradamus nicht nur für nationalsozialistische Auslandspropaganda benutzt werden sollte, sondern auch gegenüber Führungskreisen des Dritten Reiches, die darauf "anspringen" würden.

November 1939: Der Astrologe und Wahrsager Krafft bei Goebbels

Es sei nun weiter dem Bericht des von Borresholm gefolgt über die Zeit nach dem 9. November 1939:

Einige Tage später ist Goebbels zu der Einsicht gekommen, daß es das Richtigste ist, den Astrologen (Krafft) in seine Machtsphäre einzubeziehen; nur so läßt sich verhindern, daß Krafft auf Hitler entscheidenden Einfluß bekommt. Er (...) läßt (Krafft) zum Wilhelmsplatz bestellen.

Krafft wird nach diesem Bericht dann unbemerkt vom übrigen Personal des Ministeriums zu Goebbels gebracht und als Nostradamus-Experte für die von Goebbels geplante Propaganda-Offensive gegen England und Frankreich angestellt. Nach dem sicherlich bestens informierten Astrologen Wilhelm Wulff wurde auf Anweisung von Joseph Goebbel in Berlin die "Deutsche Metaphysische Gesellschaft" gegründet (Howe, S. 248),

um alle diejenigen ausfindig zu machen, die sich mit Nostradamus beschäftigten.

Die freimaurer- und satanismus-lastige "Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" (1919 - 1942)

Offenbar hat der Astrologe Wilhelm Wulff, der gut informierte Auskunftgeber von Ellic Howe, diesem nicht mitgeteilt und auch in seiner Autobiographie nicht erwähnt, daß zur "Gründung" dieser "Deutschen Metaphysischen Gesellschaft" (übrigens schon Ende September 1939) nur eine schon im Jahr 1919 von einem Freimaurer gegründete "Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" (DGWO) ihren Namen wechseln mußte (Schellinger 2010, S. 302 - 304). Diese DGWO war im März 1919 in Berlin (bis 1923 unter dem Namen "Deutsche Okkultistische Gesellschaft") gegründet worden. Eine Zeitschrift, die dieser Gesellschaft nahestand, sind die "Psychischen Studien", ab 1926 fortgesetzt unter dem Titel "Zeitschrift für Parapychologie". Eine Durchsicht ihrer inzwischen dankenswerterweise in Freiburg digitalisierten Bände wird sicherlich viele neue Aufschlüsse über diese Gesellschaft geben. Im folgenden wollen wir uns nur einige wichtigere Mitglieder dieser Gesellschaft ansehen, bzw. Referenten derselben, um einen besseren Eindruck davon zu bekommen, welche Netzwerke die okkulte Szene der 1920er und 1930er Jahre offensichtlich getragen haben. Netzwerke, die noch bis 1941 weiterexistierten, ohne sogar offiziell verboten worden zu sein, und die auch nach 1941 ihren Einfluß geltend machten.

1. Erster Vereinsvorsitzender dieser DGWO war bis 1923 der Physiker und Freimaurer Dr. Werner Haken. Dieser Dr. Haken hat im Jahr 1910 in der Fachzeitschrift "Annalen der Physik" einen "Beitrag zur Kenntnis der thermoelektrischen Eigenschaften der Metallegierungen" veröffentlicht und ist damit in die Geschichte der Thermoelektrik eingegangen. Er scheint sich den Parawissenschaften zugewandt zu haben ähnlich wie zur gleichen Zeit der Chemiker und Atomphysiker Dr. Paul Köthner als Hochgradfreimaurer der "Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland" anfing, okkulte Bücher zu veröffentlichen und ein einflußreichster Okkultlogengründer und Okkultvordenker zu werden. Wenig später sollte übrigen auch der vitalistische Biologe Hans Driesch folgen (siehe unten). (Womöglich sollte man einmal einen Beitrag zusammenstellen über die Anfälligkeit von Naturwissenschaftlern des 20. Jahrhunderts für Okkultismus.)

2. Ab 1923 ist der erste Vorsitzende dieser Gesellschaft bis 1939 ein Fritz Quade (1848 – 1944) gewesen. Laut Google Bücher Ausschnitt ein Chemiker und "Neffe Fontanes" (Der Querschnitt, Bd. 12, 1977, S. 910). (Hier wird diese Gesellschaft als eine "Kontrollgesellschaft" bezeichnet, womöglich für parawissenschaftliche Versuche und Experimente.) Quade hat (lt. Justbooks.de) schon 1919 "Studienergebnisse und okkulte Erlebnisse" veröffentlicht "Über die Möglichkeit und Tatsächlichkeit eines geistigen Lebens ohne Sinnesorgane und Gehirn" (- man staune!!!) und daraus folgend darüber, "Wie man sich praktische Beweise für die Tatsächlichkeit des Fortlebens der Seele nach dem Tode schaffen kann". Der Titel einer 1958 aus seinem Nachlaß herausgegebenen Schrift weiß auffälligerweise auch vom "Widersacher", über den Satanisten so gerne sprechen ("Wunder, Werden, Widersacher"). Auf Astrowiki heißt es:

Im Juli 1923 folgte der 2. (Internationale-Astrologen-)Kongress in Leipzig in den Räumen des Theosophischen Verlagshauses, zu dem alle bekannten deutschsprachigen Größen der damaligen astrologischen Szene anreisten. Auf Initiative des Berliner Patentanwaltes Dr. Fritz Quade hin wurde hier die Astrologische Zentralstelle gegründet, deren Leitung (Alfred Max) Grimm übernahm, zusammen mit Dr. Wilhem Mrsic, und die ab 1930 unter der Leitung von Dr. Hubert Korsch die astrologische Zeitschrift Zenit herausgab.
Im Mai 1934 veröffentlicht Fritz Quade in der "Zeitschrift für Parapsychologie" (S. 202) einen Aufsatz, der mit den Worten beginnt:
Im November 1933 suchte mich als Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus der Herr V. B. Johanson aus Reval (Talinn) während eines kürzeren Aufentahltes in Berlin in meiner Zehlendorfer Wohung auf. Er brachte die 57jährige Frau Kai Kalamees, eine gebürtige Estin (...) mit, so daß eine Sitzung veranstaltet werden konnte.
Es folgt dann ein ganz begeisterter Bericht über dieses "einzigartige Medium", seine Fähigkeiten und seine okkulte Weltsicht, etwa:
Auf Erden ist die Macht Luzifers und seiner Geschöpfe, der Dämonen, noch sehr groß.
Im Wassermannzeitalter würde
der Gegensatz zwischen den Mächten der Finsternis und des Lichtes sich zuspitzen
uns so wird noch vieles andere theosophische und anthroposophische Gedankengut begeistert wiedergegeben. Und im Juni 1934 schreibt er in seinem polemischen Aufsatz "Ist der Spiritismus eine Wissenschaft?" in Erwiderung auf einen anderen ähnlich betitelten Aufsatz (S. 278):
(Studienrat) Hänig darf mir zutrauen, daß ich das ganze Gebiet des Okkultismus, mit dem ich seit dreißig Jahren, zuzeiten sehr intensiv beschäftigt habe, einigermaßen kenne, natürlich auch die Theosophie und die Kultmagie vieler asiatischer Völker. Die europäischen und amerikanischen Medien haben nie die Schulung indischer Yoghin, tibetanischer Mönche, mohammedanischer Derwische oder mongolischer Schamanen durchgemacht.

3. Von 1923 bis 1939 war ihr Vizepräsident ein Konrad Schuppe (1871 - 1945), der 1939 zu ihrem Präsidenten wurde. Am 4. Dezember 1930 hatte er einen Vortrag gehalten zu dem Thema "Der heutige Stand der Teleplasma-Forschung",  in dem man wieder einmal jenem Schrenck-Notzing wiederbegegnet, dessen Seancen Adolf Hitler, Rudolf Heß und andere in den frühen 1920er Jahren besucht hatten (siehe oben). Der Vortrag wird folgendermaßen vorgestellt (Schellinger, S. 303):

Die grundlegenden Teleplasma-Forschungen des Freiherrn von Schrenck-Notzing haben nun auch in Amerika und England unter verschärften Bedingungen eine glänzende Bestätigung erfahren. Von deutschen und ausländischen Forschern wurden dem Vortragenden eine Reihe von Originalphotos mit Berichten zur Verfügung gestellt, die das Zustandekommen der Phänomene als ein Zusammenarbeiten der "Trancepersönlichkeiten" mit der betreffenden Forschergruppe zur Darstellung bringen. Die Teleplasmagebilde zeigen unter anderem Köpfe bekannter Persönlichkeiten. Die Tatsache ihres Zusandekommens stellt die Anhänger der spiritistischen wie der animistischen Theorie vor die interessantesten Probleme.

Aber hallo, wie "interessant"! Da traf es sich natürlich gut, daß eine Referentin dieser Gesellschaft auch Gerda Walther war, die international bekannte, vormalige Sekretärin von Schrenck-Notzing (siehe unten).

1931 veröffentlichte Konrad Schuppe einen Beitrag in der "Zeitschrift für metapsychische Forschung" des Berliner "Instituts für metaphysische Forschung". Und noch 1963 wurde in der Zeitschrift "Metaphysik - Zeitschrift für Jenseitsforschung" (der "Gesellschaft für Metaphysische Forschung, Hannover") neben Aufsätzen von H. H. Kritzinger, Alfred von Schrenck-Notzing und über C. G. Jung auch ein Aufsatz abgedruckt von Konrad Schuppe mit dem Titel "Helga Hagen - Ein vielbegabtes Privatmedium". Dieser pensionierte Berufsoffizier Konrad Schuppe wurde also im April 1939 der Präsident der DGWO, wies das Propagandaministerium auf die Möglichkeiten der Propaganda und der psychologischen Kriegsführung mit dem angeblich prodeutschen Wahrsager Nostradamus hin (siehe oben) und sandte über solche Tätigkeiten regelmäßige Berichte über seine Gesellschaft an den Polizeipräsidenten von Berlin. Diese sind erhalten und erstmals von van Merkel ausgewertet worden. 

Und in der Wohnung dieses Konrad Schuppe nun traf sich Karl Ernst Wulff mit H. H. Kritzinger, um die Einzelheiten der Deutung des Nostradamus im prodeutschen Sinne zu diskutieren und im Auftrag dieser Gesellschaft dann zu publizieren.

Konrad Schuppe koordinierte noch im Jahr 1942 - sozusagen in Weiterführung dieser "prodeutschen" Tätigkeiten der Gesellschaft - die erfolglose Abteilung "Pendelortungsforschung" in der Reichsmarineleitung, mit der feindliche Atlantik-Geleitzüge mit Pendeln geortet werden sollten (Schellinger 2010) (siehe unten), und in der die ebenfalls dazu eingeladene Gerda Walther laut ihrer Autobiographie zahlreiche alte Bekannte aus der okkulten Szene wiedergetroffen hat.

4. Schriftführer dieser DGWO war Walther Kröner (1890 - ?). Auf ZVAB heißt es über diesen nämlich:

War Arzt in (Berlin-)Charlottenburg und Schriftführer der Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus.

Dieser Walther Kröner war bis zum Tod von Eric Jan Hanussen einer seiner bekannteren wissenschaftlichen Unterstützer, der sich auch vor Gericht (in Leitmeritz am 18. Dezember 1929) als von Hanussens Fähigkeiten überzeugt erklärte (Wilfried Kugel, S. 108f), und der deshalb auch Hanussen zu einem Vortrag für den 11. April 1930 zu sich nach Potsdam einlud (Kugel, S. 114f ), und den er am 16. Mai 1930 zu Experimenten anregt (Kugel, S. 115). Das alles mit dem üblichen Presse-Radau, der damals, wenn es um die Person Hanussen ging, ganz unvermeidlich war.

Und indem man diese Tatsachen zur Kenntnis nimmt, wird einem erst bewußt, was der Hanussen-Biograph Wilfirde Kugel überhaupt nicht herausarbeitet: Nämlich daß das Leben und Wirken des Eric Jan Hanussen von der okkulten und parapsychologischen Szene in Deutschland keineswegs mit Abscheu, sondern mit großem Interesse und mit großer Zustimmung verfolgt worden ist, ja, mit "wissenschaftlichen Gutachten" und  mit "wissenschaftlicher" Moderation bedeutend unterstützt worden ist. Wer hat Hanussen bis heute in dieser Weise wahrgenommen?

Damit bekommt das Phänomen Eric Jan Hanussen noch ein ganz anderes Aussehen. Hanussen ist vom Schriftführer derselben "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" unterstützt worden, die sich stetig auch für die Forschungen jenes Alfred von Schrenck-Notzing stark gemacht hat, dessen Seancen Adolf Hitler, Rudolf Heß und andere Parteimitglieder in den frühen 1920er Jahren in München besuchten! Hitler wird von Leuten, die - wie Walther Kröner - zugleich das Wirken von Schrenck-Notzing wie E. J. Hanussen befürworteten, darin bestärkt worden sein, in Erik Jan Hanussen mehr zu sehen als einen bloßen Scharlatan.

Aber umgekehrt wirft diese Unterstützung des Eric Jan Hanussen auch ein außerordentlich bezeichnendes Licht auf die "Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" und all dessen, wofür sie sich offenbar nicht zu schade war. Ja, da es zumindest viele Anklänge an Satanismus in dieser Gesellschaft gibt (siehe gleich noch mehr dazu), werfen auch die vielen satanistischen Ankläge bei Hanussen und seiner Wahrsagungen für Hitler (Alraune), sowie deren satanistische Ausdeutungen durch die heutige "Baphometische Gesellschaft" in Wien alle sich gegenseitig bestätigende und bekräftigende Lichter aufeinander. Wie sollte es aus dieser Sicht noch gar so unplausibel erscheinen, wenn Trevor Ravenscroft die Rituale des Thule-Ordens als satanistische schildert. Festgestellt angeblich übrigens durch jene "Kriminaltelepathie", als deren entschiedener Befürworter Walther Kröner von Uwe Schellinger (2009, S. 328f) ebenfalls geschildert wird!

Jedenfalls erschien im Jahr 1924 von Walther Kröner das Buch "Die Wiedergeburt des Magischen" ( neu aufgelegt 1938 und 2004) und darin heißt es (Amazon):

Wir wollen nun untersuchen, inwieweit wir Entsprechungen zur Telepathie nicht bloß im abnorm-mediumistischen Spaltvorgang, sondern auch im normalen Naturgeschehen finden.

Worauf sich hier der Begriff "abnorm-mediumistischer Spaltvorgang" genau bezieht, muß einstweilen offen bleiben. Was aber klar ist, das ist der Umstand, daß die "Magischen Briefe" des Eugen Grosche, des Gründers der satanistischen, freimaurerähnlichen Loge "Fraternitas Saturnis" auch eine "Spaltungsmagie" kennen, die sich mit solchen "Medien" und ihren Möglichkeiten beschäftigt. Diese Begriffsverwendung von Walther Kröner macht also - wie immer ihr genauer Sinn gemeint sein mag - darauf aufmerksam, daß offenbar von Seiten der Erforscher der Geschichte der Parawissenschaften noch gar nicht nach Zusammenhängen der Parapsychologie mit dem Satanismus gefragt worden ist, Zusammenhänge, die auf jeden Fall bestehen (siehe gleich). Ja, es drängt sich sogar der Verdacht auf, daß die Popularität der Parawissenschaften in den 1920er Jahren vor allem aus satanistischen Okkultlogen heraus beworben worden ist, stabilisiert worden ist und - gegebenenfalls - auch heute noch beworben wird. Und natürlich: als typischer Satanist schreckt man bei einer solchen Popularisierung auch vor einem Eric Jan Hanussen keineswegs zurück - im Gegenteil!

Der Historiker Uwe Schellinger schreibt über Walther Kröner nur (Schellinger 2009, S. 328):

Eine eingehende biographische Darstellung zu Walther Kröner fehlt. In der okkultistischen Bewegung der Weimarer Zeit hatte er verschiedene Funktionen, u.a. als Mitherausgeber der wichtigsten parapsychologischen Fachzeitschrift "Psychologische Studien". Kröner war später maßgeblich an den Bestrebungen beteiligt, die Parapsychologie als rein biologische Wissenschaft in das System des nationalsozialistischen Staates einzugliedern.
Über Kröner schreibt Uwe Schellinger in seinem Aufsatz "Trancemedien und Verbrechensaufklärung" für den Sammelband "Transmedien und Neue Medien um 1900 - Ein anderer Blick auf die Moderne" (2009, Google Bücher) (S. 328):
Kröner war Vorsitzender der Potsdamer Mitgliedergruppe der "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus", aktives Mitglied in der "Berliner Ärztlichen Gesellschaft für Parapsychologie" und Autor zahlreicher Schriften zum wissenschaftlichen Okkultismus. Insbesondere wirkte er stets als Befürworter kriminaltelepathischer Versuche und forderte in diesem Zusammenhang die Berliner Polizei auf, mehr in diese Richtung zu agieren, während ihn mit einem Okkultismus-Kritiker wir Albert Hellwig eine giftige Feindschaft verband.
Er forderte also nur das, was Walter Johannes Stein als Fähigkeit Rudolf Steiner zusprach als Zeuge der satanistischen Rituale der Thule-Gesellschaft ("Speer des Schicksals"). Und es stellt sich damit verschärft die Frage, warum Steiner seine Zeugenaussagen nicht der damaligen Polizei vorgelegt hat, (oder ob er es nicht doch getan hat). Weiter heißt es:
Zusammen mit Leopold Thoma hatte Walther Kröner als wohlwollender Gutachter das Medium Elsbeth Günther-Geffers beim Insterburger Prozeß begleitet, den Fall publizistisch aufbereitet und sich damit einen Expertenstatus verschafft. Seine Verweise auf angebliche Erfolge der Hellseherin bei einem konkreten Kriminalfall zeigten bei der Film-Oberprüfstelle allerdings nicht die erhoffte Wirkung. (...) Nach ausführlichen Beratungen am 10. Januar 1929 vertrat man erneut die Position, daß der Film die Bevölkerung dazu verleiten könnte, "zur Aufklärung von Verbrechen sich, statt an die Polizei, an Hellseher zu wenden."

Es ging um den 1928 fertiggestellten Film "Die Hellseherin", der die Zensur erst nach erheblicher Korrektur 1929 unter dem Titel "Somnambul" passierte.

5. Aber der von Trevor Ravenscroft (in "Speer des Schicksals") mit Seancen a la Schrenck-Notzing in Zusammenhang gebrachte Satanismus - unter Anwesenheit Adolf Hitlers und vieler anderer früher Parteimitglieder (Haushofer, Heß) - gewinnt deutlich an Plausibilität, wenn man nun zusätzlich noch erfährt:

Schriftführer im „inneren Forschungsring“ der Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus

war (wie seinem Wikipedia-Eintrag entnommen werden kann): Herbert Fritsche (1911-1960) und zwar von 1933 bis 1941.

Zeitschrift "Merlin", Springer-Verlag (1949)

Dieser Herbert Fritsche hat nach dem Zweiten Weltkrieg keineswegs nur für Axel Springer im Verlagssektor Okkultismus gearbeitet und 1948 bis 1950 als Herausgeber der Zeitschrift "Merlin" (a, b) (siehe Abb.). - Springer, der sich ebenfalls eine Hausastrologin hielt, hatte an Fritzsche geschrieben (Google Bücher):

Ich möchte sehr gern mein Haus dafür einsetzen, das materialistische Zeitalter, die Wurzel allen Übels, beseitigen zu helfen.

- Nein, wir können auch gleich erfahren, mit welchen Inhalten offenbar auch Axel Springer "das materialistische Zeitalter, die Wurzel allen Übels", zu beseitigen trachtete. Dieser Fritsche war nämlich laut Wikipedia schlichtweg nichts anderes als - - - Satanist:

- Nachfolger von Theodor Reuß als Leiter des Ordo Templi Orientis mit dem Ordensnamen „Basilius“ (oder auch mit dem Ordensnamen „Merlin Peregrinus“)
- „Großmeister“ des Rosenkreuzerordens Fraternitas Rosicruciana Antiqua als Nachfolger von Arnoldo Krumm-Heller.
- Oberhaupt der Gnostisch-katholischen Kirche für Deutschland
- Anhänger der Theosophie von Annie Besant und ein erklärter Gegner der Lehren von Rudolf Steiner
- von 1938 bis 1941 Herausgeber der grenzwissenschaftlichen Zeitschrift "Die Säule"
- Anhänger der Homöopathie

(Nebenbei: Witzig! Von dieser ganzen, langen Liste wird auf dem sonst schätzenswerten Wissenschaftsblogportal Scienceblogs.de seit Jahren nur die harmloseste Variante kritisiert: die Homöopathie. ...) In Lennhoff's Freimaurerlexikon von 1932 wird die Zeitschrift "Die Säule" als Mitgliederzeitschrift der nach 1918 gegründeten kultisch-magisch, sprich satanistisch arbeitenden Freimaurerloge "Ebdar" bezeichnet (Freimaurer-Wiki):

Ermächtigte Bruderschaft der alten Riten, abgekürzt "Ebdar" (Urmaurerei), nach dem ersten Weltkrieg entstandene kult-magisch arbeitende mystische Gemeinschaft, gegründet auf die Lehren des unter dem Pseudonym Bô Yin Ra schreibenden deutschen mystischen Schriftstellers Josef Schneiderfranken (1876 in Aschaffenburg). Dieser behauptet, es gäbe seit uralten Tagen eine geistige Bauhütte, die zu allen Zeiten Arbeiter suchte, die gesonnen waren, an dem großen erhabenen Bau jenes Tempels mitzuhelfen, von dem nur einige wenige auf dieser Erde Plan und Ausmaße kennen (...). Die wahre Freimaurerei geht, Bô Yin Râ zufolge, unendlich viel weiter zurück als auf 1717, ihr Ursprung ist etwas anderes als der Ursprung des heutigen Namens. (...) Ihr offizielles Organ ist die Zeitschrift "Die Säule" (früher "Magische Blätter"), Leipzig.

Von wegen, die Freimaurerei wäre während des Dritten Reiches verboten gewesen. "Die Säule" erschien bis 1941! Die erste Folge der Zeitschrift "Merlin" aus dem Jahr 1948 trug den Untertitel „Schriftenreihe für Grenzwissenschaften und Schicksalskunde“. Die beiden folgenden Bände der Jahre 1949 und 1950 heißen „Archiv für forschenden und praktischen Okkultismus, Grenzwissenschaften, Schicksalskunde und esoterische Traditionen“. Also recht deutliche Fortsetzungen der Arbeit der "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus".

6. Ein Vorstandmitglied dieser Gesellschaft war außerdem Dr. med Friedrich Schwab (1878 - 1946). Dieser vormalige Klavierbauer studierte (lt. Astronova)

auf Anraten Rudolf Steiners Medizin und wurde homöopathischer Arzt in Berlin. Er war Vorstandsmitglied der Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus.
Und er hatte - - - einen modernen Satanisten als Lehrer:
Er gründete eine theosophische Loge in Heidelberg. In Dr. Franz Hartmann sah er einen persönlichen Freund und Lehrer auf seinem geistigen Weg.
Nach Dr. Herbert Fritsche war er
"der hellsichtige Esoteriker und überlegene Kenner des okkulten Schulungspfades."
Sprich: Fritsche und Schwab waren einen Sinnes.Und:
Friedrich Schwab gründete zusammen mit Dr. Fritz Quade und weiteren im Jahr 1924 die "Akademische Gesellschaft für astrologische Forschung", um hierdurch gegen die Popularisierung der Astrologie anzugehen, die aus Sicht der Gründer nur zu Scharlatanerie und Aberglauben führen würde. Eventuell ist diese Vereinigung identisch mit der späteren "Gesellschaft akademischer Astrologen", deren Mitglied Schwab ebenfalls war.
Von ihm ist auch unter anderem 1983 im Verlag von Dietrich Ruhnau erschienen die Schrift:
"Teleplasma und Telekinese - Ergebnisse meiner zweijährigen Experimentalsitzungen mit dem Berliner Medium Maria Vollhart".

Der Weishaar-Verlag, Dietrich Ruhnau pflegt das geistige Erbe des "Bundes der Guten" jenes Ostpreußen Kurt Paehlke, genannt Weishaar, der in den 1920er Jahren mit diesem Bund einer Art norddeutscher "Thule-Gesellschaft" leitete, in der politische Astrologie eine wesentliche Rolle spielte (siehe erster Teil dieses Beitrages). 

7. Auch der schon mehrfach erwähnte Astronom Hans-Hermann Kritzinger gehört zu den Naturwissenschaftlern, die sich dem Okkultismus zugewendet haben. Auch er ist Mitglied der DGWO gewesen. 1911 hat er mit einer rein astronomischen Arbeit promoviert, dann als Leiter von Sternwarten gearbeitet und populärwissenschaftliche Schriften über die Astronomie veröffentlicht. Seine erste okkulte Veröffentlichung scheint das schon erwähnte Buch "Mysterien von Sonne und Seele - Psychische Studien zur Klärung der okkulten Probleme" aus dem Jahr 1922 gewesen zu sein. Es wird heute im Antiquariats-Buchhandel folgendermaßen vorgestellt (ZVAB):

Ursprünglich geplanter Titel "Auf der Brücke zum Jenseits". Kapitel: "Wege zum Neuland der Seele. Fernwirkende Gedankenkräfte. Sternenlauf und Erdenschicksal. - Über Pseudo-Okkultismus, Traum, Hypnose, Wünschelrute, Telekinese, Telepathie, Spiritismus, Prophetie, tabula smaragdina". Mit der berühmt gewordenen, fett gedruckten Jahreszahl "1939" im Text, die es gewesen sein soll, für Goebbels Anlaß zu geben, die Vorhersagen Nostradamus zu für die psychologische Kriegsführung zu benützen.
1924 veröffentlicht er die Schrift "Der Pulsschlag der Welt - Allgemeinverständliche Einführung in die Periodenlehre mit Beispielen aus dem Leben des Einzelnen und der Weltgeschichte". Hier werden also auch - sogar "periodische" - Einflüsse der Sterne auf die Weltgeschichte behauptet, was sicherlich kompatibel gewesen sein wird zur der verführerischen Kombination, mit der zur gleichen Zeit Karl Haushofer Geopolitik, Weltgeschichte und Astrologie miteinander kombiniert hat. Ähnlich auch der Inhalt des 1929 von Hans-Hermann Kritzinger veröffentlichten Buches "Todesstrahlen und Wünschelrute - Beiträge zur Schicksalskunde" (Booklooker):
Regierne Wandelsterne das Wetter? Berliner Temperaturschwankungen. Periodogramm. Die Perioden von 13 bzw. 26 Monaten entsprechen genau dem synodischen Umlauf von Erde und Jupiter. Die Periode von 19 Monaten kennen wir schon von den Sonnenflecken, es handelt sich um den synodischen Umlauf von Erde und Venus, den Rudolf Wolf zuerst nachwies, und der seitdem wiederholt unabhängig entdeckt wurde, da er mitunter recht augenfällig ist. - Periode der Temperaturschwankung: 224,8 Tage Umlaufsdauer der Venus (224,7) Die eben behandelten Perioden haben auch für den Rundfunkempfang Bedeutung. Danach hätte die Vensu indirekt Einfluß auf den Rundfunkempfang! und Vom Zufall in der Weltgeschichte: Karl der Große u.a., u.v.m, etc.,
Gerade der letzte Satz deutet schon auf die von Louis de Wohl behauptete verführerische Kombination von Geopolitik, Geschichte und Astrologie durch Karl Haushofer hin. Nach einer anderen Angabe (ZVAB):
Mit Kapiteln wie "Stimmungssturz und Luftdruckfall", "Mblalolo Lailai. Das Mondwunder der Südsee", "Apollon und die Pest", "Geheimnis um Nostradamus" und "Sternenlauf und Schicksal".

8. Über das Verhältnis des Hamburger Astrologen Wilhelm Wulff zur "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" gibt es bislang offenbar keine Angaben. Wulff erwähnt in seiner Autobiographie außer Astrologen-Kongressen so gut wie keine Organisationen, in die er eingebunden gewesen wäre, obwohl er Ariosoph war und sein Freund dem Orden des Lanz-Liebenfels angehörte und obwohl Wulff in den 1920er Jahren "Kriminal-Astrologie" betrieb zusammen mit einem Detektiv (Herbert Volck), ähnlich wie das zur gleichen Zeit die ostpreußische Hellseherin Günther-Geiffers zusammen mit einem Detektiv betrieb. Beide hatten dadurch immer wieder enge Kontakte mit der Kriminalpolizei. Und da für den Fall der Günther-Geiffers wie für den Fall Hanussen - wie für die Kriminaltelepathie überhaupt - das DGWO-Mitglied Walther Kröner ein so großes Interessen hatte und sich für alles dieses einsetzte, wird Kröner den auch öffentlich bekannt gewordenen und kritisierten Aktivitäten von Wilhelm Wulff ebenfalls von vornherein sehr positiv gegenüber gestanden haben.

Wilhelm Wulff beschreibt selbst, wie sein "Detektiv", der zum Gestapobeamten gewandelte Herbert Volck, ihm, Wulff, die Nachfolge von Hanussen in Berlin vorschlug, was Wulff zumindest nicht als schrillen, abstrusen, sondern vielmehr als offenbar realistischen Vorschlag darstellt. "Um 1941" will Wulff mit Himmler und Heydrich sein schon 1923 erarbeitetes, äußerst negatives Hitler-Horoskop besprochen haben.

1942 hat Wilhelm Wulff - wie so viele Experten im Umfeld der DGWO - an den Pendelortungsversuchen im der Reichsmarineleitung teilgenommen. Am 28. Juli 1943 ist Wulff sogar zur "astrologischen" Suche des entführten Mussolini zum Leiter der Reichskriminalpolizei Arthur Nebe vorgeladen worden und hat ihm in dre Folge das Horoskop gestellt. Wulff schreibt über Arthur Nebe mit großer Bewunderung (Wulff, S. 127ff):

Er gehörte zweifellos zu den besten Kriminalisten, die es jemals gegeben hat. Ein perfekter Techniker, der seinen Beruf mit Leidenschaft ausübte. Die polizeitechnischen Möglichkeiten, die er hatte, waren nahezu unbegrenzt. Aber angesichts des Auftrages, Mussolinis jetzigen Aufenthaltsort herauszubekommen, versagten die konventionellen kriminalistischen Methoden.

Über die zur Suche von Mussonlini angestellten okkulten Maßnahmen gibt es noch keine so gute Untersuchung wie die von Schellinger über die Pendelortungs-Abteilung des Jahres 1942 in der Reichsmarineleitung. Aber auf den erste Blick deutet doch alles darauf hin, daß die erfolglosen DGWO-"Experten" 1943 nur von der Marine zum Reichssicherheitshauptamt gewechselt sind. Und mit ihnen eben auch wieder: Wilhelm Wulff.

Der Mussolini-Befreier Otto Skorzeny berichtet, wie er ganz selbständig nach Mussonlini gesucht und ihn gefunden hat. Auf seinem Mißtrauen gegenüber Wilhelm Canaris und dem Reichssicherheitshauptamt vor allem beruhte jener überraschende Erfolg, der ihn so berühmt machen sollte im In- und Ausland. Womöglich hat man die erfolglosen DGWO-Experten nur herangezogen, um Hitler gegenüber "Sündenböcke" dafür zu haben, daß man Mussolini nicht gefunden hatte. Denn offensichtlich wollte man ihn geheimdienstlicherseits gar nicht finden, da man mit Mussolini andere Pläne hatte. Die Schilderungen von Otto Skorzeny und Walter Schellenberg legen das nahe. 

9. Die gut bis bestens informierte deutsche Astrologin Waltraud Weckerlein berichtete schon 1949 (in "Hitlers Sterne logen nicht") über ein weiteres Mitglied dieser Gesellschaft, das wie mehrere andere ebenfalls in gutem Kontakt zu Jan Erich Hanussen stand, nämlich ein Dr. Kurt Frank (S. 31):

Über Persönlichkeit und Wirken Hanussens berichtet auf Grund eigener Kenntnis und Erlebnisse Dr. Kurt Frank, einer der führenden Köpfe der "Berliner Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" (in der "Süddeutschen Illustrierten" vom 6. 10. 49) u.a.: (...) Er hatte Goebbels, Hitler und sogar den nüchternen Frick beraten ... Er wußte zuviel. Er war ein Jude. - Hanussen hat auch sein eigenes Ende vorausgesehen. Dr. Frank berichtet:
An jenem Septemberabend (1932) kam er ... "Noch ein knappes halbes Jahr", sagte er zu mir, "dann legt man mich um." Ich sah ihn fassungslos an. "Ich weiß nicht, warum. Die Pistole sitzt mir an der Schläfe. Wir fahren in rasendem Tempo. Einer drückt los. Und meine Leiche fliegt in den Graben."

Soweit übersehbar, war der Bericht dieses Kurt Frank dem sonst gut informierten Hanussen-Biograph Wilfried Kugel nicht bekannt. Jedenfalls findet sich sein Name weder im Personen-, noch im Literaturverzeichnis. Kurt Frank scheint keine Bücher veröffentlicht zu haben.

10. In der Zeitschrift "Neue Wissenschaft" von 1957 (S. 187) berichtet eine Maria Schröder (laut Google Bücher Ausschnitt):

E. war von nun an bekehrt und setzte sich in sehr dankenswerter Weise jahrelang mit materiellen Unterstützungen für den Fortbestand der Berliner Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus ein. Maria Schröder
Auch in den Akten der "Apologetischen Zentrale Spandau" der evangelischen Kirche findet sich ein Bestand zur "Deutschen Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus". Matthias Pohlmann berichtet 1998 in seinem Buch über diese Zentrale "Kampf der Geister" (Google Bücher Ausschnitt):
Bei der Durchsicht des Aktenmaterials der AC ergab sich für den Verf. die Möglichkeit, Teile dieser einzelnen Fonds einzusehen: „Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" (ZChlDK 501-1-88), Theosophische Gesellschaft ...
In Berichten des SD und der Gestapo wurde diese Gesellschaft folgendermaßen erwähnt (1971, S. 345, laut Google Bücher Ausschnitt):
Von den okkultistischen Organisationen trat lediglich die "Deutsche Gesellschaft für wissenschaftlichen Okkultismus" in Erscheinung. Es wurden vor allem in Berlin Abende mit Lichtbildervorträgen veranstaltet. Die Veranstaltungen waren im Hinblick auf den geringen Wert der Vorträge gut besucht. Auch die "Buddhistische Arbeitsgemeinschaft" hielt wiederholt Versammlungen in Berlin ab. 

Soweit zunächst zu leichter im Internet recherchierbaren Vorständen, Schriftführern, Mitgliedern, Referenten der DGWO und jenen Menschen, die sich in ihrem Umfeld bewegt haben. (Ihre zeitgenössischen Schriften sind im Quellenverzeichnis des Teiles 5 zusammengestellt.)

Wichtige Referenten dieser Gesellschaft in den Jahren 1937 bis 1939 waren (Schellinger, S. 302) Gerda Walther, die "international bekannte" einstige Sekretärin von Schrenck-Notzing, Walther Kröner und der Nostradamus-Forscher Bruno Winkler.

Noch im Jahr 1939 wurde Präsident Konrad Schuppe (ein Berufssoldat a.D.) vom Generalkommando des III. Armeekorps der Deutschen Wehrmacht zu einem Vortrag "Tätigkeit der Gesellschaft" eingeladen. Dieses III. Armeekorps des Wehrkreises Berlin war noch bis November 1938 von jenem General von Witzleben kommandiert worden, der, wenn ihm Chamberlain in Berchtesgaden nicht in den Rücken gefallen wäre, in Berlin einen Putsch zur Verhinderung des Krieges durchgeführt hätte. Wie kam sein Nachfolger General Curt Haase dazu, sich für Okkultismus zu interessieren?

Und wie kam bloß das Propagandaministerium dazu, dieser Gesellschaft so wenig zu mißtrauen, daß Goebbels derselben die Koordination der Nostradamus-Auslandspropaganda übertrug? Die von Goebbels konsultierten Nostradamus-Forscher Bruno Winkler und Hans-Hermann Kritzinger waren Mitglieder dieser Gesellschaft und dieser Umstand wird das seine dazu beigetragen haben.

Und wie kam man dann in der Reichsmarineleitung dazu, dieser Gesellschaft 1942 offenbar die Koordination der Pendelortungsforschung zu übertragen?

Indem man dieser Gesellschaft im Internet hinterherforscht (was offenbar Schellinger noch gar nicht getan hat), macht man also ein riesiges Faß auf. Eine Geschichte dieser Gesellschaft und der parallelen "Berliner Ärztegesellschaft für parapsychische Forschung" (auch: "Berliner Ärztliche Gesellschaft für Parapsychologie") ist offenbar ein großes Desiderat, wird man doch annehmen können oder müssen, daß die viele Okkultisten im Umfeld des Reichssicherheitshauptamtes, im Umfeld von Heinrich Himmler, Rudolf Heß und gegebenenfalls auch Adolf Hitler sich gerade aus solchen Gesellschaften heraus rekrutiert haben.

Jedenfalls erscheint es sehr "passend" und "sinnvoll", daß der Astrologe Karl E. Krafft nun im Auftrag dieser "Deutschen metaphysischen Gesellschaft" seine Nostradamus-Studie erarbeitete, die schließlich nur in einer Auflage von 299 Expemplaren im Oktober 1940 erschienen ist. Diese Gesellschaft ist in derselben ganz unauffällig an einer Stelle als der Auftraggeber angegeben (Howe, S. 248). Noch im Jahr 1939 machte der rumänische Bankier Oscar Kaufmann den deutschstämmigen Astrologen Louis de Wohl In London mit Tilea bekannt (Howe, S. 276):

De Wohl verriet ihm (Tilea), daß er sich mit Astrologie befaßte, und daraufhin erzählte ihm Tilea von Kraffts Vorhersage über Codreanu.

Daß de Wohl und Tilea noch im Jahr 1939 miteinander bekannt gemacht worden sind, deutet ein weiteres mal darauf hin, daß der Astrologe Krafft, den beide von London aus künftig unter "Beobachtung" halten wollten, auch von London aus - oder unter Mitwissen des "Secret Service" - mit Hilfe des Elser-Attentats in die Nähe von Hitler platziert worden ist. Denn warum sollte in London sonst schon so früh die "Überwachung" Kraffts angebahnt worden sein? Der Verdacht auf Seiten Tileas, daß Krafft für Hitler arbeiten würde, erhärtete sich ja erst - und konnte sich erst erhärten, wie wir sehen werden - im März 1940 (siehe unten).

4. Dezember 1939: Der Nostradamus-Kenner Kritzinger bei Goebbels

Zu dem gleichen Zweck wie Krafft rief Goebbels am 4. Dezember 1939 auch Kritzinger selbst ins Propaganda-Ministerium. Kritzinger hat Ellic Howe in den 1960er Jahren einen detaillierten Bericht von dieser Unterredung gegeben (S. 220f). In diesem Bericht stellt sich Kritzinger wohl wieder einmal "ahnungsloser" und "unbeteiligter" hin, als er es war. Schließlich war durch seinen "wissenden" Fettdruck des Jahres 1939 in seiner Buchveröffentlichung des Jahres 1922 ja erst offenbar so vieles ausgelöst worden. Zunächst sprach Goebbels mit Kritzinger über den Nostradamus. Kritzinger will sich aber selbst alle Fähigkeiten zur Voraussage - auch mit Hilfe des Nostradamus - abgesprochen haben und gemeint haben, er wäre mit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Ingenieur für das Heereswaffenamt zeitlich vollkommen ausgelastet (zit. n. Howe, S. 221):

"Was wird als nächstes geschehen?", war eine andere Frage (von Goebbels). "Ich habe keine Ahnung," antwortete ich. Aber Dr. Goebbels blieb hartnäckig. "Wenn Sie sich damit [mit Nostradamus] von Grund auf auskennen, dann können Sie uns doch sicher einen Wink geben," sagte er. Ich erwiderte, ich wisse nur, was gewisse Astrologen aus meinem Bekanntenkreis sagten, und ich könne mich gewiß nicht für die Treffsicherheit ihrer Behauptungen verbürgen. (...) Ich nannte Herrn Sängers Behauptung, der französische Premierminister Daladier werde sich bald aus der Politik zurückziehen. (...) "Auf welcher Grundlage machte er diese Vorhersage?", fragte Goebbels. Ich erklärte, dies geschehe an Hand eines Vergleichs von Daladiers Horoskop mit dem Churchills und denen anderer führender alliierter Politiker. (...) Goebbels fragte, wen ich ihm als den besten Nostradamus-Experten empfehlen könne, und da nannte ich Loog. Damit war die Zusammenkunft beendet.

Emil Saenger (geb. 1881) war Vorsitzender der "Gesellschaft akademischer Astrologen in Berlin". Wer in damaliger Zeit - so wie er - politische Voraussagen über Daladier ausstreute, muß sich einerseits regierungsseitigen Rückhalts einigermaßen sicher gewesen sein dabei und andererseits auch seinerseits einigermaßen selbst um die Gewinnung oder Aufrechterhaltung politischen Einflusses bemüht gewesen sein. Denn zahllose Astrologen haben ja nach dem Krieg behauptet, sie hätten sich herausgeredet, wenn sie von führenden Nationalsozialisten angesprochen worden wären (wie auch in unseren Beiträgen oft zitiert), da sie sich des Risikos jeder politischen Äußerung und Voraussage bewußt gewesen waren.

Weiterhin: Auch Goebbels gegenüber ist also mit Horoskop-Deutungen von Politiker diskutiert worden, so wie das zur gleichen Zeit Wilhelm Wulff gegenüber Schellenberg, Heydrich und Himmler getan hat. Und schon am nächsten Tag veranlaßte Goebbels auf einer Konferenz, ein bereits vorhandenes Nostradamus-Manuskript propgandistisch zu überarbeiten. Kritzinger berichtete weiter und bestätigt sofort das eben Gesagte (zit. n. Howe, S. 223):

Loog wurde nach Berlin zitiert und kam, um mich zu sehen. (...) Er wollte nichts damit zu tun haben. (...) Doch die Leute im Propagandaministerium bestanden hartnäckig darauf, daß sie einen Nostradamus-Experten haben wollten, und so nannte ich Krafft. (...) Auf so was wie diesen Nostradamus-Auftrag hatte er nur gewartet.

Somit dürfte das Propagandaminiterium von zwei Seiten unabhängig voneinander auf Krafft verwiesen worden sein. Der Nostradamus-Forscher Kritzinger hat sich dann in der Berliner Geschäftsstelle der genannten "Metaphysischen Gesellschaft" mehrmals mit Krafft getroffen und mit ihm die mögliche Bedeutung bestimmter Vierzeiler aus dem Nostradamaus diskutiert (Howe, S. 248). Diesen Umstand wird Krafft dann in einer Stellungnahme gegenüber dem betonter okkultismuskritischen Auswärtigen Amt, für das er wenig später ebenfalls - und in Konkurrenz zum Propagandaministerium - arbeiten sollte, unerwähnt lassen (siehe unten).

Auf den vertraulichen 11-Uhr-Ministerkonferenzen vom 11. Dezember 1939 forderte Goebbels die astrologischen Kalender für 1940 an und verbot die meisten noch am nächsten Tag (Irving/Goebbels, S. 334). Daß mit solchen "Verboten" sehr bewußt ein Doppelspiel gespielt wurde (offizielle okkultismuskritische Politik bei inoffizieller Nutzung okkulter "Experten"), kann ja inzwischen wohl als gesicherte Tatsache gelten und deckt sich auch mit dem Eindruck, den Stephan Berndt von dieser Politik gewonnen hat und vermittelt.

Schon am 15. April 1945 erschien in der Genfer Zeitung "La Suisse" ein Sensationsbericht über Krafft. In diesem heißt es über die Zeit nach seiner Attentatswarnung vom November 1939 (zit. n. Howe, S. 309):

Wegen seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten beschloß Hitler, ihn zu engagieren, da er seinen Wert zu schätzen wußte. Krafft willigte unter der Bedingung ein, daß er nicht Vollzeit zur Verfügung stehen müsse, damit er sein Werk fortsetzen könne, und diese Bedingung wurde akzeptiert. So lernte Krafft alle führenden Leute aus dem innersten Kreis um den Führer und auch Rudolf Heß kennen.

Howe meint bestreiten zu müssen, daß es so gewesen sei, allerdings nennt er keine Daten und Fakten, die im auffälligen Widerspruch zu diesen Behauptungen stehen würden - im Gegenteil, wie wir im folgenden noch sehen werden.

12. Dezember 1939: Krafft schreibt an Tilea

Im Dezember ist Krafft noch einmal in den Schwarzwald zurückgekehrt. Aus Urberg im Schwarzwald schreibt Krafft an Tilea in London. So belanglos die Inhalte zum Teil auch sind, so sind diese Briefe doch immer auch zu berücksichtigen hinsichtlich der Tatsache, daß Krafft jetzt in enger Verbindung zur Führungsspitze des Deutschen Reiches stand. Die Unterstellung, daß dem so war, war ja auch der Grund dafür, daß Tilea diesen Briefwechsel überhaupt fortführte. Krafft also schrieb (zit. n. Howe, S. 238):

In meinem letzten Brief bat ich um die Beantwortung einiger Fragen, um Ihr Geburtsbild ausarbeiten zu können, wie die Geburtsdaten Ihrer Frau und die Ihrer Eltern (die Stunde ist in diesem Fall nicht erforderlich) und auch das der anderen Person, von der Sie ein Horoskop haben wollen. Außerdem schlage ich vor, Ihnen nicht nur eine Zusammenfassung, sondern eine detaillierte Abhandlung der erforderlichen historionomischen Studien zukommen zu lassen, damit Sie Gelegenheit haben, Ihre eigenen Schlüsse daraus zu ziehen. Wie wäre es damit? (N. B. Diese speziellen Studien müssen sowieso gemacht werden, warum also nicht schriftlich?!)

Fesel schickte Krafft mit einer nicht weiter bekannten Geheimmission in die Beneluxländer (S. 238), wo Krafft schon früher astrologische Vorträge gehalten hatte und Schriften verlegt hatte. Es handelte sich bei dieser Geheimmission sicherlich um die Vorbereitungen zum Krieg gegen Frankreich.

Der nächste Brief von Krafft an Tilea kam deshalb aus Brüssel. Ende Januar sandte Tilea dann an Krafft die gewünschten Geburtsdaten seiner Frau und seiner Kinder (S. 239).

1939: Las Hitler den Nostradamus im Original?

Der Nostradamus-Forscher Alexander Centgraf berichtet über den Vierzeiler III, 58 aus den Weissagungen des Nostradamus (zit. nach U. Maichle, 2006):

Diesen Vers kannte Adolf Hitler wahrscheinlich. Als ich in der Staatsbibliothek Berlin im Jahre 1939 die einzig vorhandene Ausgabe der Centurien, angeblich 1568 von Pierre Rigaud in Lyon gedruckt, in die Hand bekam, bermerkte der zuständige Bibliotheksrat: „Eben ist dieses Werk aus der Reichskanzlei gekommen.“ Ein Lesezeichen lag noch zwischen den Seiten 58 und 59 und diese Prophezeiung war außerdem rot angestrichen!

Die Einwände, die der Historiker Maichle gegen den grundsätzlichen Wert dieser Mitteilung vorbringt, scheinen denselben nicht wirklich zu entkräften. Hitler z.B. äußerte gegenüber Goebbels nur (siehe unten), daß er das von ihm, Goebbels, angebotene Buch-Exemplar über Nostradamus nicht lesen wolle. Das heißt aber nicht, daß er nicht auf anderem Wege Nostradamus-Literatur zur Kenntnis genommen hat, was ja auch noch aus seinem Buchbestand im Jahr 1945 im Führerbunker hervorgeht. Darüber mußte Hitler ja dem okkultismus-kritischen Goebbels auch nicht alles mitgeteilt haben. Außerdem muß das Buch nicht von Hitler persönlich studiert worden sein, sondern könnte auch von Mitarbeitern in der Reichskanzlei für ihn studiert worden sein.

Alexander Centgraf (Pseudonym Centurio) berichtet außerdem (1977/1981, S. 207; s.a. Howe, S. 249):

Nach dem Polenfeldzug erschien im Dezember 1939 ein Herr bei mir, der sich als Gelehrter vorstellte und angeblich von meiner Kenntnis der Prophezeiungen des Nostradamus gehört hatte. Er richtete an mich die Frage: "Wie würde denn nach einem Blitzkrieg gegen Polen ein Blitzkrieg Hitlers gegen Frankreich enden?" Ich verwies ihn auf die oben angeführten Verse 3,7 - 3,9. Nach meiner Interpretation würden die Deutschen, hier durch das Wort Cimbern bezeichnet, vereint mit ihren Nachbarn, wobei ich an den Nichtangriffspakt Hitlers mit Stalin dachte, bis an die spanische Grenze vordringen. Ich ließ aber meinen Besucher nicht im Unklaren, daß sich später ein Widerstand im Lande (das Marquis!) erheben würde. Und daß nach einiger Zeit auf die Aussagen von 3,9 die deutschen Truppen in der Nähe von Rouen zurückgeschlagen würden. Es sei also ein solcher Blitzkrieg ein sehr gefährliches Unternehmen.

Hier wurde also ein weiterer Nostradamus-Forscher aufgesucht, konsultiert, und zwar ausdrücklich nicht für psychologische Kriegsführung gegen das Ausland, sondern für eine solche hinsichtlich der eigenen deutschen Führung. Diese beiden Ereignisse zusammengenommen müssen zumindest bei Centgraf den sehr deutlichen Eindruck erweckt haben, als ob sich Hitler und die NS-Führung Ermutigung bei für die weiteren militärischen Pläne bei Nostradamus hätten holen wollen, oder als hätten andere für Hitler und Genossen nach solchen Ermutigungen gesucht. Auch mit dieser Erinnerung wird deutlich, wie sehr es jedenfalls zu jener Zeit in Berlin Bestrebungen gab, den Angriffsabsichten auf Frankreich mit Hilfe des Nostradamus psychologischen Rückhalt zu geben!

In seinem Buch "My Experiences in Astrology" (- The Autobiography of a Vedic Astrologer. 1985; 1992; South Asia Books, 1995; UBS Publishers 2011) berichtet der schon mehrmals erwähnte indische Astrologe B. Venkata Raman (Hervorhebung nicht im Original):
My first observation in the January 1940 issue of "The Astrological Magazine" on the outcome of the war were no doubt fairly accurate but the liming of the termination was somewhat vague. I had said: "Suffice it to say that till at least Saturn emerges out of his fall the war may not end. Hitler's own horoscope points to his downfall. The aggressive forces at work will be on the increase and destruction of life will be colossal indeed. The affliction of Mercury in Hitler's horoscope will pull him down as speedily as he rose to power."

Januar 1940: Krafft drängt auf zügige militärische Entscheidungen

Stephan Berndt schreibt von (1, S. 207)

den Hitler-Horoskopen, die er (Krafft) laut von Borresholm ab Anfang 1940 in Goebbels' Auftrag erstellen mußte.

Der Inhalt dieser Horoskope und ihre Verwendung scheinen nicht bekannt zu sein. (Dazu ist noch einmal von Borresholm selbst zu lesen.) Wollte sie Goebbels ebenfalls für die Auslandspropaganda benutzen? Wie auch immer. Einige der Inhalte der Hitler-Horoskope kann man auch ablesen aus anderen Voraussagen, die Krafft bei verschiedenen Anlässen gegeben hat.

Krafft wurde auf einer Gesellschaft bei dem Bildhauer Arno Breker gesellschaftlich in die Führungskreise der Nationalsozialisten eingeführt. Howe's Bericht über seinen dortigen, geradezu "inszenierten" Auftritt ist sehr bezeichnend (S. 233):

Krafft kam spät, und als ein Diener ihm Hut und Mantel abnahm, hörte er Klavierspiel im Salon. Die Künstlerin war die berühmte Konzertpianistin Elly Ney. Sie unterbrach ihre Darbietung, als Krafft den Raum betrat.
Das ist schon sehr ungewöhnlich, daß in einer vielköpfigen Gesellschaft das Klavierspiel unterbrochen wird, weil ein zu spät gekommener Gast dazu kommt, den außerdem zunächst kaum jemand kennt. Howe weiter:
Ein weiterer Gast war Dr. Hans Frank, der Generalgouverneur von Polen (...). Er stellte Krafft mit den dramatischen Worten vor: "Das ist der Mann, der den Anschlag auf das Leben des Führers vorhersah!"
Also zumindest Hans Frank scheint dieser Astrologe mit seiner Voraussage voll überzeugt zu haben! Sein Ausruf erweckt den Eindruck, als ob sich Frank und Krafft schon vorher begegnet wären und diesen "Auftritt" irgendwie abgesprochen hätten. Da sich Krafft in seiner Haftzeit zunächst an Hans Frank und, als er darauf keine Antwort erhielt, an Arno Breker wandte mit der Bitte, Hans Frank zu konsultieren, wird Krafft womöglich vor allem von Hans Frank und Arno Breker besonders warm auf der Gesellschaft begrüßt worden sein und wird Krafft von einem guten Verhältnis zwischen Breker und Frank gewußt haben oder dies unterstellt haben. Weiter berichtet Howe (Hervorhebung nicht im Original):
Am späteren Abend wurde er (Krafft) aufgefordert, über die Nostradamus-Prophezeiungen zu sprechen, und besonders Frank, so seine (Kraffts) Witwe, verfolgte seine Ausführungen mit großem Interesse. Auch Bernhard Rust, der Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, war zugegen, teilte aber nicht Franks Begeisterung. (...) Offenbar zeigte Krafft Brekers Gästen ein "Dynamogramm" (...) wie sie Deutschland 1940 betrafen, und deutete an, man solle nicht zulassen, daß sich der Krieg über den Winter 1942/43 hinaus fortsetzte. Jemand war im Brustton der Überzeugung ein, bis dahin sei die ganze Sache sicher ausgestanden.

Auch über diese politisch doch keineswegs wenig brisante "Voraussage" geht Howe hinweg, als sei sie gar nicht getätigt worden. Dabei waren Regierungsmitglieder anwesend! Krafft drängt hier darauf, daß zügige militärische Entscheidungen getätigt werden müßten, wohlgemerkt: militärische. Denn er spricht ja über den Zeitraum von 1940 bis Ende 1942 von Krieg. Daß er dabei - wie schon 1938 Bullitt - westliche wie östliche Kriegsgegner im Auge gehabt hat, ist keineswegs auszuschließen.

Da Howe diesen Aussagen auf Brekers Abendgesellschaft keinerlei Bewertung unterwirft und Bedeutung zumißt, kann er auch die Behauptungen von Louis de Wohl (in der 1948 gegründeten und bis heute fortbestehenden Frauenzeitschrift "Heim und Welt") vom 20. August 1950 als ganz abwegig hinstellen (S. 286), nämlich daß Krafft - wohl im Jahr 1940 - in seinen Briefen an Tilea angedeutet hätte, er,

Krafft sei nicht sicher, ob Deutschland den Krieg gewinnen werde und es bestehe die Möglichkeit, daß der Führer plötzlich verschwinde.

Diese Voraussagen hätten ja ebenfalls zur "Warnung" für Hitler dienen können und nicht, wie es Louis de Wohl dann im Herbst 1941 propagandistisch auswertete, zur Entmutigung der Nationalsozialisten und zur Ermutigung des demokratischen Westens, bzw. sogar zur "Desavourierung" Kraffts in den Augen Hitlers.

Howe berichtet dann auch von einem Besuch Kraffts bei Robert Ley, dem Chef der Deutschen Arbeitsfront (S. 234):

Nach einem längeren Gesrpäch vertraute Ley Krafft an, er persönlich glaube an kosmische Einflüsse. (...) Ley wollte eine gute Ausgabe der Propheties (des Nostradamus) haben.

Also noch einer, der von Krafft begeistert war. Auch hier wird letztlich klar ausgesagt, daß der Nostradamus nicht nur Kriegsgegner beeinflussen soll, sondern daß sich auch ein Robert Ley von ihm beraten lassen will!

22. Februar 1940: Das "Foreign Office" zeigt sich an einer astrologischen Überwachung Kraffts interessiert

Ellic Howe berichtet (S. 277):

Laut de Wohl ("Sterne Krieg und Frieden") hatte Tilea den Briten den Inhalt von Kraffts Brief am 22. Februar 1940 mitgeteilt und im Gespräch mit Tilea habe er, de Wohl, die richtige Formel gefunden, die zu seiner späteren Anstellung in London als Wachhund Kraffts führen sollte. Es sei nicht von Bedeutung, ob gewisse hochgestellte Briten an Astrologie glaubten, es komme darauf an, daß Hitler daran glaubt. Wenn er die gleichen Berechnungen aufstelle wie Hitlers Astrologe, der zweifelsohne Krafft sei, so werde er wissen, welchen Rat der Führer bekomme, und könne so die entsprechenden Stellen des britischen Geheimdienstes informieren. (...)

Tilea besprach die Angelegenheit Krafft mit Sir Omre Sargent, der damals stellvertretender Unterstaatssekretär im Außenministerium war. Tilea nannte drei entscheidende Faktoren: Kraffts beeindruckende Codreanu-Prophezeiung, seine Anwesenheit in Berlin und seine vermutliche Verbindung zu Hitler, und schließlich das Wichtigste, daß die Astrologie sich zur psychologischen Kriegführung einsetzen lasse. (...)

Wenig später teilte Sargent Tilea mit Bedauern mit, "unsere Astrologen sehen die Sache ziemlich pessimistisch", und deshalb sei ihm auch niemand für den Posten von Kraffts "Double" empfohlen worden. Tilea wußte eine Lösung. "Ich kenne einen Astrologen, der es nicht pessimistisch sieht", sagte er. "Sein Name ist Louis de Wohl."

Omre Sargent gehörte auch zu jenen Mitarbeitern des Foreign Office, die schon 1940 und 1941 von weitreichenden und - wie sich 1945 herausstellen sollte - sehr präzise richtigen politischen und militärischen Prognosen für den weiteren Ablauf des Zweiten Weltkrieges ausgingen. Spätestens im November 1941, noch während des Vormarsches der deutschen Truppen auf Moskau und vor dem Kriegseintritt der USA bereiteten sie die britische Außenpolitik auf eine Zweiteilung Europas an der Elbe und eine "Sowjetisierung Osteuropas" vor (Bading 1994). Warum sollten ihnen da Astrologen nicht willkommen sein, die - wie Ebertin, Hanussen, Krafft, Wulff und andere mehr - dem Horoskop Hitlers und dem Horoskop des Dritten Reiches negative Prognosen ab 1941 stellten? Und die damit all jene auf westalliierter und deutscher Seite, die an diese Horoskope glaubten, willenslahm machten der Möglichkeit alternativer Geschichtsabläufe gegenüber oder die sie auf so obskure Ideen brachten wie die des Rudolf Heß? Schließlich konnten auf diese Weise auch so naheliegende alternative Geschichtsabläufe ausgeschlossen werden wie etwa ein britisch-deutscher Friedensschluß, ein westalliiert-deutscher Separatfrieden, eine Invasion der Westalliierten auf dem Balkan, ein Vorrücken der Westalliierten über die Elbe hinaus und ähnliche Dinge mehr.

Natürlich war man im Februar 1940 im britischen "Secret Service" schon lange mit der Infiltration des okkulten Umfeldes von Rudolf Heß - und damit auch von Adolf Hitler - befaßt. Das mußte man ja dem Tilea und dem de Wohl gar nicht angedeutet haben. Daß jedoch auch Ellic Howe den Implikationen der Aussage von Ian Fleming nicht nachgeht, berührt merkwürdig.

Im Jahr 1940 hat die Mutter von Karl E. Krafft, die noch in der Schweiz lebte, von einer Bekannten aus Genf gehört, der BBC habe die Meldung gebracht, Krafft sei der Astrologe Hitlers (Howe, S. 310). Aus Angaben der Ehefrau von Krafft geht hervor (Howe, S. 310);

daß ihr Mann seine Hitler-Prophezeiung in einem Brief an seine Mutter erwähnt haben muß, und auch, daß er mit einflußreichen Leuten aus der Spitze des Dritten Reiches in Verbindung stand.

Februar/März 1940: Krafft schreibt in Abstimmung mit dem RSHA an Tilea

Auch das Reichssicherheitshauptamt war schon zu diesem Zeitpunkt merkwürdig stark sensibilisiert für den Briefwechsel zwischen Krafft und Tilea. Nach merkwürdig vielen, eigentlich bis heute von der Forschung nicht gut motivierbaren Korrekturen durch das Reichssicherheitshauptamt (Fesel) antwortete Krafft jedenfalls Tilea schließlich wie folgt:

Berlin-Halensee, 14. Mz. 40
Lieber Herr Tilea,

Ihr Brief von Ende Januar ist mir erst Mitte Februar zugegangen. Die Verzögerung war zumteil verursacht durch mehrfache Ortswechsel während der letzten Zeit. Mitte Dezember wurde ich nämlich nach Berlin eingeladen zu einem Referat über Nostradamus. Bei dieser Gelegenheit wollten wir nach Eisenach in Thüringen übersiedeln, fanden aber dort keine Wohngelegenheit.
In okkult-geographischem Denken spielen die Wartburg bei Eisenach und Eisenach selbst einige Bedeutung als eines der okkulten Zentren Deutschlands. Womöglich hängt die Wohnortwahl von Krafft damit zusammen. Weiter schreibt er:
So beschlossen wir, hierher weiter zu fahren, wo ich im Zusammenhang mit meinen kosmobiologischen Forschungen seit Jahren einen grösseren Bekanntenkreis habe, und sich auch günstigere Arbeitsmöglichkeiten bieten als in unserm weltverlorenen Urberg.
Eigentlich konnte Tilea erst mit diesem Brief von der Wohnortwahl Berlin durch Krafft wissen und dann gegenüber dem "Foreign Office" damit argumentieren. Der obige Bericht rund um Omre Sargant nennt also Geschehnisse, die sich über einen längeren Zeitraum hinzogen. Warum dem RSHA der Kontakt zu Tilea überhaupt so wichtig war, daß es diesen Brief mehrmals überarbeiten ließ, bleibt völlig im Dunkeln. Ging es nur darum, daß Krafft keinen Geheimnisverrat gegenüber dem Ausland dabei beging? Ging es darum, seiner Anwesenheit in Berlin einen möglichst harmlosen Anstrich zu geben? Zu glauben, man könne einen Tilea, der ja erst ein Jahr zuvor durch als "deutsch- und hitlerfeindlich" empfundene Taten bekannt geworden war, durch einen solchen Kontakt "herumdrehen", würde ja reichlich naiv anmuten. Aber Howe scheint davon auszugehen. Wie wir sehen werden, wird dieser Briefwechsel wenig später auch dem "Auswärtigen Amt" auf merkwürdige Weise zugespielt (siehe unten). Wurde der Brief auch in Hinblick auf dieses Zuspielen schon so oft überarbeitet? Im Brief heißt es weiter:
Seit fünf Wochen bin ich nun beschäftigt, für eine hiesige Gesellschaft in Verbindung mit einer Reichsstelle eine neue Ausgabe der Ihnen wahrscheinlich bekannten Propheties von Nostradamus zu besorgen, mit einer wissenschaftlich-kritischen Einführung in das umstrittene Gebiet.
Diese Gesellschaft war also die genannte "Metaphysische Gesellschaft". Die Reichsstelle könnte nach den Berichten damals Beteiligter sowohl das Propagandaministerium wie das RSHA gewesen sein - oder beide. Oder noch eine dritte (Reichskanzlei oder das Braune Haus in München mit Rudolf Heß). Auffällig ist, daß man sich in diesem Brief auch nicht besonders bemüht, eine etwaig einflußreiche Tätigkeit von Krafft in Berlin zu verschleiern. Sollten durch solche Briefe, wie es dann ja auch erreicht wurde, einem Louis de Wohl in England Argumente gegeben werden, damit er dann seine Art von "psychologischer Kriegführung" mit Hilfe britischer Stellen in Szene setzen konnte? Mitarbeiter von Krafft berichten jedenfalls, die Forderung nach Korrekturen dieses Privatbriefes von Seiten des RSHA hätten Krafft immer wieder erneut sehr verärgert. Andererseits sei er aber auch fasziniert gewesen von der Arbeitsweise des RSHAes (S. 239 - 242). Auch warum Krafft seine derzeitige Arbeit einem Menschen gegenüber so ausführlich erläutert, mit dem er doch noch nicht gar so intensiven Austausch gehabt hatte, bleibt ebenso erklärungsbedürftig. Jedenfalls berichtet Krafft weiter:
Da ich mich damit (mit Nostradamus) seit zwanzig Jahren abgebe und schon vor Jahren viel darüber geschrieben habe, macht mir diese Arbeit viel Freude; und ich darf wohl sagen, dass hier das Beste und Gründlichste vorbereitet wird, was bisher je über Nostradamus und das Prophetische veröffentlicht worden ist.

Sobald das Werk fertig ist - ich hoffe auf Anfang April - wird es mir ein Vergnügen sein, Ihnen ein Stück zu dezdieren. Vielleicht schreiben Sie mir bis dahin, ob ich Ihnen das Buch durch die Gesandtschaft Ihres Landes senden darf, da es sich um ein kostbares Werk handelt, das nur in kleiner Auflage gedruckt werden und im Buchhandel nicht erscheinen wird (damit nicht daraus der Aberglauben neue Nahrung schöpft, - obwohl, oder gerade weil darin unwiderlegliche Beweise für die seherische Begabung von Nostradamus über Jahrhunderte weg erbracht werden).
Oder ging es darum, daß dieser Briefwechsel früher oder später auch in die Hände von Hitler selbst "geraten" sollte? Das typische elitäre "Doublethink" unter den okkulten Nationalsozialisten von damals ist jedenfalls hier erneut sehr eindrucksvoll formuliert. Es wird durch diese Worte einmal aufs Neue bestens bestätigt und erläutert. Genauso gibt ja auch Himmlers Masseur Felix Kersten das Doppeldenk von Heinrich Himmler wieder. Wenn man davon ausgeht, daß in der NS-Spitze durchgängig so gedacht worden ist, auch viele Belege dafür hat, daß auch Hitler so gedacht haben muß: wie kann man da eigentlich noch glauben, Hitler oder Goebbels seien nicht noch viel deutlicher wahrsager- und astrologiegläubig gewesen, als bis heute bekannt?

Im weiteren Brief gibt sich Krafft dann auch noch als Gläubiger der Bedeutung von "Sieben-Jahres"-Rhythmen zu erkennen, als der sich auch der okkult-anthroposophische Ex-RAF-Anwalt, Ex-Grüne und Ex-Bundesinnenmister Otto Schily bekannt gemacht hat. Krafft schreibt:
Eine andere wichtige Entdeckung, die ich noch bei Ihrer Studie mit-verwerten will, betrifft den verbesserten Siebenjahres-Rhythmus. Dieser umfasst nämlich, wie umfangreiche Erhebungen gezeigt haben, nicht genau 7 Jahre, sondern 7 Jahre weniger 7 Wochen ...

... bla, bla, bla. Nun, damit konnte dann auch Louis de Wohl wieder "arbeiten" (oder vorgeben zu arbeiten).

März 1940: Tilea und andere glauben, Krafft wäre der Astrologe Hitlers

Über Tilea schreibt Howe (S. 242f):

Er hatte schon seit dem letzten Herbst einen Verdacht gegen Krafft gehegt. (...) Er habe sich aus verschiedenen Gründen entschlossen, erzählte er mir, mit Krafft in Kontakt zu bleiben und seine Briefe zu beantworten, denn er glaubte, Krafft werde sich früher oder später verraten.
Tilea glaubte (S. 243) (Hervorhebung nicht im Original),
daß Krafft, wenn er in Berlin war, offenbar die Top-Nazis beriet, vielleicht sogar Hitler. Tilea ging davon aus, daß Krafft ein hochbegabter Astrologe war - seine erfolgreiche Codreanu-Prophezeiung hatte das gezeigt - und nach seinen Informationen glaubte Hitler an Astrologie. Dies hatte auch sein Kollege Raoul Bossy, der rumänische Botschafter in Berlin, berichtet, und Tilea hatte diese aufschlußreiche Mitteilung seines Kollegen in einem Geheimdienstbericht gelesen, den das rumänische Außenministerium an alle Botschaften und Konsulate versandt hatte.

(...) Frau Tilea (...) konnte mit Franklin Bircher über Krafft reden. Bircher (...) war ebenfalls zu dem Schluß gelangt, daß er (Krafft) auf höchster Ebene für die Nazis tätig sein mußte. (...) So mußten nur noch die Briten davon überzeugt werden, die nötigen Gegenmaßnahmen in die Wege zu leiten.

Somit gibt es eine ganze Menge Leute, die unabhängig voneinander von denselben Tatsachen ausgegangen sind, nämlich daß Hitler astrologiegläubig war und nach "seinem Seni" suchte (Raoul Boussy, das rumänische Außenministerium, Borresholm) und daß es naheliegend war, daß (der vorgeblich so "wissenschaftlich" arbeitende) Krafft diese Rolle einnehmen würde (Borresholm). Warum auch sonst die ganze Inszenierung des Elser-Attentats samt "astrologischer Begleitmusik"? Und es gibt eine ganze Menge Leute, die unabhäng voneinander davon ausgingen, daß eben jener Krafft dann auch tatsächlich als Wahrsager und Astrologe für Hitler gearbeitet hat (Tilea, Franklin Bircher, Louis de Wohl und noch zahlreiche deutsche Nachkriegsveröffentlichungen). Auch der Astrologe Wilhelm Wulff hat das selbst nach der Veröffentlichung seines Freundes Ellic Howe nicht ausschließen wollen.

Diesen Vermutungen und Behauptungen stehen die Behauptungen damals dem Astrologen Krafft nahestehender Menschen entgegen wie seiner Ehefrau oder auch wie die seines damaligen Mitarbeiters Georg Lucht.

Ungeklärt ist, wie sehr Adolf Hitler selbst die Voraussagen des Nostradamus ernst genommen hat. Da er noch 1945 das wohl schon in den 1920er Jahren von ihm erworbene Nostradamus-Buch von Loog (?) unter seinen 80 persönlichen Büchern im Führerbunker stehen hatte, kann es keineswegs ausgeschlossen werden, daß Hitler diesen Voraussagen Bedeutung zugesprochen hat.

Jedenfalls klingt unter der Berücksichtigung aller Mitteilungen ein Londoner Zeitungsartikel vom 9. November 1947 (Sunday Graphic) keineswegs mehr gar so unplausibel, in dem Louis de Wohl sagte (zit. n. Howe, S. 311):

Im Jahr 1940 arbeitete ich mit Kraffts Methode als Captain in der Abteilung für psychologische Kriegführung, und es war klar, daß er dem Führer raten werde zu handeln. Der Führer nahm den Rat an und besetzte Frankreich.

Diese Aussage paßt durchaus gut zusammen mit dem, was Krafft auf Breker Abendgesellschaft gesagt hat und was er zu dieser Zeit auch aus dem Nostradamus "herauslas" (siehe gleich).

Krafft: "Rückhaltlose Hochschätzung aller (astrologischen) Fachkreise der gesamten Welt"

All dem ist auch hinzuzufügen, daß die deutsche Astrologin Waldtraud Weckerlein in ihrem 1949 erschienenen Buch Karl Ernst Krafft als "Hitlers Kriegsastrologen" bezeichnet (zit. n. 1, S. 367, Anm. 258). Sie schrieb über ihn außerdem (zit. n. 1, S. 200):

Unter den (...) Astrologen galt Krafft als außerordentliche Begabung. Er war Statistiker und Zahlengenie. (...) Er bewältigte mit einer ungeheuren Arbeitskraft eine gewaltige Stoffmenge (...). Als er sich hindurchgearbeitet hatte, wurde er ein überzeugter Anhänger der Astrologie.

Sein schier unheimliches Wissen und die souveräne Beherrschung des gesamten okkulten Stoffgebietes um Zahlen und Sterne trug ihm die rückhaltlose Hochschätzung aller Fachkreise der gesamten Welt ein.
Daß das Urteil der Astrologin Weckerlein nicht allein dasteht, kann den Einschätzungen des Astrologen Wilhelm Wulff entnommen werden (S. 108):
Krafft war nicht nur hochbegabt, sondern auch besonders ehrgeizig. Seine astrobiologischen Publikationen waren von dem angesehenen Verlag Orell-Füssli in Zürich verlegt worden. (...) Zeitweise genoß er großes Ansehen bei der Gestapo.

Wulff selbst will sich noch in den letzten Jahren des Krieges über Himmler erfolglos für Krafft eingesetzt haben (S. 109) (siehe unten). Und so wie Weckerlein und Wulff hat man ganz offensichtlich auch in der okkulten Umgebung von Rudolf Heß über Krafft gedacht. Und wenn Krafft auch Hitler gegenüber in dieser Weise vorgestellt worden sein sollte, sollte man es schon für plausibel erachten, daß jener Hitler, der 1935 dem deutschen Astrologen-Kongreß "weiteren Erfolg" wünschte, sich besonders für diesen "Hochbegabtesten" unter ihnen interessiert hat.

Übrigens impliziert der Begriff "Hitlers Kriegsastrologe" auch das Wissen darum, daß Hitler "Friedensastrologen" hatte ...

März 1940: Das Auswärtige Amt wird auf Krafft aufmerksam

Dem damaligen Chef der Protokollabteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin, Alexander Freiherrn von Dörnberg, wurde Anfang März 1940 der Briefwechsel zwischen Krafft und Tilea "seitens einer Verwandten überreicht". Wie kam diese Verwandte an diesen Briefwechsel? Womöglich wollte das RSHA sicherstellen, daß auch das dafür zuständige Auswärtige Amt über diese Verbindung informiert wäre. Schließlich befand man sich zu diesem Zeitpunkt mit Großbritannien im Krieg. Der Gesandte legte in einer Aufzeichnung nieder (Maichle 2006):

Gesandter Frh. von Dörnberg
Berlin am 8.3.1940
Aufzeichnung:
Dem Herrn Gesandten von Dörnberg wurde seitens einer Verwandten der beigefügte Schriftwechsel eines Herrn K. E. Krafft mit einem Angehörigen der Rumänischen Gesandtschaft in London sowie eine Stellungsnahme zu einem Artikel der Genfer Zeitung La Suisse überreicht. Der Schriftwechsel und die Stellungnahme befassen sich in mehr oder weniger „wissenschaftlicher“ Weise mit okkultisti­schen und astrologischen Studien, die belanglos wären, wenn der Verfasser, Herr Krafft, nicht - bewußt oder unbewußt politische Dinge berührte, die schon aus propagandistischen Gründen nicht ohne Interesse sein können. Die Art und Weise wie Herr Krafft die Ansichten derjenigen Kreise, die die Nostradamus - Forschung für ihre Zwecke und Interessen in Anspruch nehmen, widerlegt, und gleichzeitig für das Reich propagandistisch ausbeutet, erscheint hier nicht ungeschickt. Vielleicht können die Bestrebungen des Herrn Krafft, sofern es dort für dienlich gehalten wird, noch intensiviert werden. 
Herrn Geh. Rat Altenburg m. d. B. um Prüfung, ob gegen die Fortsetzung des Schriftwechsels Bedenken erhoben werden müssen.
Womöglich eine etwas komplizierte Art und Weise, in der sich hier das RSHA mit dem AA über den Briefwechsel zwischen Krafft und Tilea abstimmte. Die Antwort vom 19. März 1940 klingt so, als wäre auch im Auswärtigen Amt inzwischen einiges von den okkulten Methoden der Auslandspropaganda-Aktivitäten des Propagandaministeriums und seiner "psychologischen Kriegsführung" bekannt geworden und als wolle man sich als die - laut Führerbefehl - eigentlich dafür zuständige Institution nun ebenfalls und eigenständig darum kümmern:
L.R. Dr. Rahn
Berlin, den 19. März 1940
Die Informationsabteilung beabsichtigt seit längerer Zeit, die in einer zweck­entsprechen­den Lenkung und Auswertung des okkultisti­schen und astrologi­schen Schrifttums liegen­den Möglichkeiten einer Beeinflus­sung weitester Kreise der Bevölkerung des neutralen und feindlichen Auslands in den Dienst der Auslandspropaganda zu stellen.  H. E. wäre Herr Krafft, der als Nostradamus - Forscher bereits einen Namen gewonnen hat, hierfür durchaus geeignet. Es darf daher er­gebenst gebeten werden, Herrn Krafft veranlassen zu wollen, mög­lichst bald in der Informati­onsabteilung vorzusprechen und sich bei dem Unterzeichnenden zu melden. Bei dieser Gelegenheit könnte auch die Frage der Fortsetzung des Schriftwech­sels des Herrn Krafft mit einem Angehörigen der Rumäni­schen Gesandtschaft in London geklärt werden.
Hiermit: Herrn Ge­sandten Freiherr von Dörn­berg mit der Bitte um entspre­chende weitere Veranlassung

März 1940: Krafft sagt die deutsche Besetzung Hollands und Belgiens voraus

Am 2. April trennte sich Georg Lucht von Krafft. Nach seinem Nachkriegsbericht waren die Motive dafür die folgenden (zit n. Howe, S. 245):

In den letzten Märztagen hatten wir ein Stadium unverhohlener wechselseitiger Feindseligkeit erreicht. Krafft beschuldigte mich, apathisch zu sein und wiederholte immer wieder das Sprichtwort, "das Eisen schmieden, solange es heiß ist". (...) "Wir tanzen nach ihrer Pfeife," sagte ich, "unsere Auftraggeber beuten uns aus und pervertieren Nostradamus schamlos für die psychologische Kriegführung." Ich sagte, ich könne in all dem keinen Sinn mehr sehen.

"Psychologische Kriegführung" wem gegenüber ist ja hier gar nicht gesagt. Gewiß, gegenüber dem Ausland. Aber warum nicht auch gegenüber der Führungsspitze des Dritten Reiches? Und müssen Krafft und Lucht eigentlich mitbekommen haben, an wen die Teile des Manuskriptes alles weitergegeben wurde? Für jemanden, der nach 1945 nicht dastehen will, als ob er mit Hilfe von Nostradamus-Prophezeiungen den Frankreichfeldzug Hitlers und die übrige Expansionspolitik des Dritten Reiches gefördert hätte, klingen die Worte Luchts jedenfalls recht plausibel. Ob sie Wahrheit sind oder die ganze Wahrheit enthalten, muß dennoch dahinstehen. Seinen Worten widerspricht, daß Georg Lucht auch weiterhin in intensivem Kontakt mit Krafft blieb, wie wir sehen werden.

Ab 9. und 10. April 1940 wurden dann schließlich Dänemark und Norwegen besetzt. Am 10. Mai 1940 begann der Angriff auf Frankreich. Zumindest die Besetzung Hollands und Belgiens war nun von Krafft schon mit Hilfe von Nostradamus (!!!) vorausgesagt worden. Was Howe nur mit einer Nebenbemerkung abtut. Und diese Voraussagen sollten nicht auch gegenüber der NS-Spitze in irgendeiner Weise benutzt worden sein? Howe jedenfalls berichtet (S. 247):

Als Lucht am 2. April seinen Abschied nahm, war der (Nostradamus-)Kommentar Kraffts schon auf 200 Schreibmaschinenseiten gewachsen. Laut Lucht war Krafft zu einer ganzen Reihe verblüffender Schlußfolgerungen gelangt. Nicht so überraschend war dabei die Ankündigung der unmittelbar bevorstehenden Besetzung Hollands und Belgiens durch deutsche Truppen.

Es ist völlig unerfindlich, warum diese Voraussage "nicht überraschend" gewesen sein soll. Damals wußte kein Mensch, wie der Krieg mit Frankreich ausgehen würde. Frankreich galt als ein ganz anderer Kriegsgegner als Polen und war es ja auch. Der sowjetisch-finnische Winterkrieg 1939/40, der einen so ganz falschen Eindruck von der Kriegsfähigkeit der Sowjetunion vermittelte, wird zu seinem Teil sicherlich auch zu der "psychologischen Kriegsführung" gegenüber Hitler beigetragen haben, dahingehend, Hitler sicher zu machen, daß die Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt nicht den abgeschlossenen Nichtangriffspakt brechen werde, um ihm während des Krieges mit Frankreich in den Rücken zu fallen.

Dennoch stand den Menschen - und auch Hitler - damals noch der vierjährige Stellungskrieg mit Frankreich während des Ersten Weltkrieges vor Augen. Ihnen stand die Maginotlinie vor Augen. Wenn Krafft also militärische Erfolge voraussagte, darf darüber nicht in einer Nebenbemerkung hinweggegangen werden, wenn nicht ein ganz falsches Gesamtbild gezeichnet werden sollte.

Denn sofern diese Voraussage an Hitlers Ohr gedrungen sein sollte (wie ja frühere Voraussagen Kraffts auch), müßte diese Hitler gegenüber ebenfalls als "psychologische Kriegsführung" bezeichnet werden, da sie zumindest Hitler in der Sicherheit seiner Entscheidungen für einen Angriff im Westen bestärkt hätte. Louis de Wohl in England jedenfalls ging zu jener Zeit mit großer Bestimmtheit davon aus, daß sich Hitler von Krafft astrologisch beraten ließ und gab vor, aus Kraffts astrologischer Methode die Termine militärischer Aktionen Hitlers herauslesen zu können! (siehe andernorts). Wie kann man über so zahlreiche Vermutungen so oberflächlich und unkritisch hinweggehen, wie Howe das tut? Howe jedenfalls schreibt weiter (S. 247):

Doch die Geheimdienstleute beanstandeten derart treffende Spekulationen und als das Manuskript die Zensur passiert hatte, blieb praktisch nichts mehr übrig. Im Frühjahr verbot das RSHA die Publikation, und das Buch durfte bis zum Dezember 1940 nicht "veröffentlicht" werden.

Es wäre ja auch reichlich "verblüffend" gewesen, wenn das RSHA jene Voraussagen veröffentlicht hätte, die Hitler und die NS-Führung in ihren Angriffsabsichten bestärkt hatten. Welche Teile dieser Manuskripte also vom RSHA an Heinrich Himmler, Rudolf Heß, Adolf Hitler usw. weitergeleitet worden sind - als Teil der psychologischen Kriegsführung des britischen "Secret Service" gegenüber der Führungsspitze des Dritten Reiches - muß einstweilen als ganz ungeklärt gelten. Wie kann Howe so tun, als hätte eine solche Möglichkeit nie bestanden? Nach William C. Bullitt war die militärische Expansion des Dritten Reiches in dieser Zeit politisch - auch von Seiten der Westmächte - "vorgesehen" (vgl. Bading 1994). Also wird auch der britische "Secret Service" die NS-Führung auf astrologisch-wahrsagerischem Wege darin bestärkt haben, ebenso wie das "Foreign Office" dies auf rein politischem Gebiet getan hat.

Denn die Angriffstermine waren ja jeweils von Angehörigen des deutschen Widerstandes an die Westmächte weitergegeben worden, ohne daß diese daraus einen Nutzen gezogen hätten. Eigentlich ist es nach allem, was wir sonst wissen, mehr als naheliegend, daß zumindest Rudolf Heß und Heinrich Himmler sich Horoskope für diese Angriffe haben stellen lassen und dann mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit auch an Hitler weitergegeben haben. Heß galt unmittelbar nach seinem Englandflug in Zeitungsberichten als "der Astrologe Hitlers" (siehe andernorts). 

Der Krafft-Kommentar für einen Reprint des Nostradamus (S. 248)

war so ausgedünnt, daß er in eine 32-seitige Broschüre mit Datum vom 12. Oktober 1940 paßte.

Und selbst dieser von mehr als 200 auf 32 Seiten "ausgedünnte" Kommentar wurde nur in einer Auflage von 299 Stück gedruckt! Also hier wurde doch unglaublich viel Geheimniskrämerei mit diesen "wissenschaftlichen" Kommentaren von Krafft getrieben. War Adolf Hitler so süchtig nach solchen Kommentaren, daß Krafft so fleißig an solchen arbeitete, und weshalb diese dann nicht veröffentlicht werden durften? Ausgeschlossen kann auch dies nicht. Himmler und Heß jedenfalls würde man eine solche Sucht jederzeit zutrauen.

Kann eigentlich die immense Geheimniskrämerei anders erklärt werden als dadurch, daß die wesentlichsten Inhalte nur für Adolf Hitler selbst und ihm Nahestehende bestimmt waren? Um ihn in der richtigen Weise zu beeinflussen?

1940: Nostradamus-Propaganda

Die propagandistische Auswertungen der Weissagungen des Nostradamus spielten dann jedenfalls während des Frankreichfeldzuges eine Rolle und lenkten - nach Walter Schellenberg - die Fluchtbewegungen der französischen Bevölkerung zugunsten der deutschen militärischen Operationen. Es wird berichtet (Irving/Goebbels, S. 333f):

Mit Kraffts Hilfe und einiger Phantasie wurden des Nostradamus alte Prophezeiungen zum Nutzen des Reiches mißbraucht. Goebbels ordnete eine neue "Übersetzung" der für die Propaganda geeigneten Teile des Nostradamus an und ließ Millionen Flugblätter mit diesen nachgemachten Prophezeiungen drucken. Es gab Sonderausgaben mit ausgewählten Passagen, die den Untergang Frankreichs, respektive Englands, vorhersagten.
Weiter heißt es in der zugehörigen Anmerkung:
Karl Loog: "Die Weissagungen des Nostradamus" (Pfullingen 1940). Und Bruno Winkler: "Englands Aufstieg und Niedergang" (Leipzig 1940). (...) Er (wohl Goebbels gemeint) sandte ein Exemplar der Nostradamus-Broschüre an Hitler Adjutanten Albert Bormann am 10. Sept. 1940.

Ob also auch der Nostradamus eine größere Rolle gespielt hat bei den Entscheidungen Hitlers, im Westen anzugreifen, muß einstweilen ungeklärt bleiben. Auszuschließen ist das keinesfalls. Denn nur so oder ähnlich würden doch die geschilderten umfangreichen Bemühungen der Astrologen-Interessierten und des Reichssicherheitshauptamtes gegenüber der Reichsspitze seit November 1939 Sinn machen.

Krafft arbeitete für Goebbels, Heß und Himmler (1, S. 207). Vor seinem Englandflug bestellte Heß bei ihm ein Horoskop über Winston Churchill. Nur für jenen, der nach seinem "Seni" suchte, soll er dabei nicht gearbeitet haben? Obwohl er nach der Meinung der Beteiligten - wie schon Elsbeth Ebertin 1923 - befähigt war, das bedrohte Leben seines "Führers" zu retten?

Daß es hier noch mehr an Hintergrundvorgängen gegeben haben muß, wird aus dem weiteren Lebensschicksal von Krafft deutlich. Nach dem Englandflug von Rudolf Heß wurde Krafft in Konzentrationslagern interniert. Selbst Himmler soll es nach den Erinnerungen des Astrologen Wulff nicht gewagt haben, den Hellseher Kraft (1, S. 208)

ohne Einwilligung seines Führers (...) aus dem KZ zu entlassen oder ihm wenigsten Hafterleichterungen zu verschaffen.

Anderen zunächst internierten Astrologen war es da ganz anders gegangen. War Krafft doch einer der "persönlichen Gefangenen des Führers" geworden? Dem Hitler mehr nachtrug als Himmler? Hatte er durch sein Handeln doch sehr direkte Enttäuschungen bei Hitler bewirkt, vergleichbar der etwaig durch Hanussen bewirkten? Enttäuschungen, die Hitler womöglich noch nicht einmal Himmler anvertraute? All dies muß einstweilen ungeklärt bleiben. Es deuten sich aber allmählich aufgrund von "Wiederholungen" Regelmäßigkeiten im Verhältnis Hitlers zu seinen Wahrsagern an. -  Oder wollte Hitler nur nicht, daß Krafft einmal wie Seni vor seiner Leiche würde stehen können?

Jedenfalls wurde in der Folge ein "Institut für okkulte Kriegführung" gegründet, was Berndt gar nicht erwähnt. Ihm gehörte auch der Pendler, Astrologe und Architekt Ludwig Straniak (1879-1951) an. (Auf dem englischen Wikipedia findet sich übrigens eine Liste deutscher Astrologen., die man ebenfalls noch einmal mit allerhand Fragen durchgehen könnte.)

6. Mai 1940: Das Auswärtige Amt nimmt mit Krafft Kontakt auf

(Maichle, 2006)

Ref. Dr. Wilmanns
Berlin, den 6. Mai 1940
Karl E. Krafft b. Holzapfel
Berlin - Wilmersdorf 
Joachim - Friedrichstr. 54
Sehr geehrter Herr Krafft
Mir wurde von dritter Seite mitgeteilt, daß Sie sich lange Zeit mit No­stradamus - Stu­dien beschäftigt haben. Im Anschluss daran, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie sich an einen der nächsten Vormittage mit meinem Sachbearbeiter Dr. Wilmanns, den Sie per­sönlich und fernmündlich in der Kurfürstenstr. 137 über mein Vorzimmer errei­chen, in Verbindung setzen würden.
Heil Hitler
gez. Rahn

Etwa ab Mai und Juni 1940 arbeitet Krafft - zumindest offiziell - als Übersetzer für das Deutsche Nachrichtenbüro (DNB) (Howe S. 250). Am 21. Mai 1940 hält Krafft einen Votrag in Berlin auf einer ungewöhnlich gut besuchten Versammlung der "Akademischen Gesellschaft für Astrologische Forschung" (Howe, S. 251). Das Auswärtige Amt hat sich nun intern darauf verständigt, daß Krafft von seiner Arbeit für das DNB freigestellt werden soll (Maichle, 2006):

Berlin, den 27. Mai 1940
Herrn L. R. Dr. Rahn ergebenst
Betr.: Nostradamus – Broschüre
Ich habe mit Herrn Krafft Disposition der von ihm abzufassenden NOSTRADAMUS – Bro­schüre besprochen und ihn ab morgen für etwa eine Woche aus seiner Überset­zungstä­tigkeit beim DNB zur Fertigstellung des Manuskripts freigemacht. Ich rechne mit dem Ma­nuskript Anfang der nächsten Woche.
Durch Herrn Krafft höre ich, daß sich im Promi Herr Dr. Seifert eben­falls mit einer No­stra­damus – Broschüre beschäftigt ist, die ein Dr. Kritzinger schreiben soll. Herr Krafft behauptet, Herr Kritzinger hat versucht, Material beim ihm herauszulocken. Da das Auswärtige Amt für die Auslandspropaganda zuständig und Herr Krafft auf dem NOSTRADAMUS – Gebiet ohne Frage hinrei­chend sachkundig ist, schlage ich vor, der Angelegenheit beim Promi nicht weiter nachzugehen.
Wi. (handschriftlich)

Zu jener Zeit gab es viele Differenzen darüber, wer für die Auslandspropaganda zuständig ist. Im Auswärtigen Amt, das offiziell für diese für zuständig erklärt worden war in einem Führerbefehl, scheint man zum Teil wenig Ahnung davon zu haben, wie sehr sich Joseph Goebbels, was den Nostradamus betrifft - in Abstimmung mit Hitler - in die Auslandspropaganda eingemischt hat!

Juni 1940: Bringt die Folgenlosigkeit von Dünkirchen Hitlers Glaube an den Astrologen Krafft ins Wanken?

Vom 27. Mai  bis 4. Juni 1940 fand die Schlacht bei Dünkirchen statt. In ihr lies Adolf Hitler - entgegen der Erwartungen aller Militärs - das Gros des britischen Expeditionskorps ungeschoren über den Kanal zurück nach England fliehen. Offenbar glaubte er mit diesem irrationalen Entgegenkommen ein Entgegenkommen Englands bewirken zu können. Dieses irrationale Handeln wirkt tatsächlich so, als ob es nur durch okkulte Einflüsse bewirkt worden sein könnte. Wenn dem so ist, wird Hitler natürlich in der Folge, nachdem er sah, daß dieses Entgegenkommen in England keine Wirkung zeigte, von okkulten diesen Einflüssen und Ratschlägen enttäuscht gewesen sein. Louis de Wohl schrieb jedenfalls am 9. November 1947 in der Londoner Zeitung "Sunday Graphic" (zit. n. Howe, St. 311):

Nach Dünkirchen geriet Hitlers Glaube an seinen Chefastrologen erstmals ins Wanken, und von nun an begann er sich mehr und mehr auf seine eigene Intuition zu verlassen. Seine Intuition wurde der unbekannte Faktor in meinen Berechnungen. Bis zuletzt glaubte Hitler an Astrologie, und die Nachfrage nach meinen Berichten riß nicht ab. Mehr als einmal konnten wir einige taktisch unberechenbare Züge Hitlers vorhersagen.
Gemeint sind Berichte an führende britische Stellen über die okkulten Einflüsse auf Hitlers Politik. Daß durch das Wissen um solche Einflüsse auch Züge der Politik von Rudolf Heß vorhersagen konnten, erwähnt er an dieser Stelle nicht. Das hat ja auch erst Ian Fleming in späterer Zeit bekannt gemacht (siehe unten).

In seinem Buch "My Experiences in Astrology" (- The Autobiography of a Vedic Astrologer. 1985; 1992; South Asia Books, 1995; UBS Publishers 2011) berichtet der schon mehrmals erwähnte indische Astrologe B. Venkata Raman (Hervorhebung nicht im Original):
The fall of France in 1940 as per the forecasts given in my "World Prospects in 1939 - 40, to which reference has been made earlier, brought me a number of letters of appreciation and I was being often referred to as a "great astrologer", a compliment which I liked then.

Auch die kurze, zweijährige Dauer des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes will dieser indische Astrologe schon bei seinem Abschluß richtig vorausgesagt haben. Und so noch vieles weitere über den Ablauf des Zweiten Weltkrieges, wobei auch gegen die "westlichen Astrologen" in England und Frankreich viel polemisiert wird (was für sich interessant sein mag, aber zunächst womöglich doch zu weit ab von der Thematik dieses Beitrages führen würde).

Ende Juni 1940: "Propagandaministerium mischt sich in Auslandspropaganda"

Am 23. Juni 1940 wurde im DNB ein Bericht über neue Nostradamus-Veröffentlichungen in der Schweiz, Jugoslawien und Griechenland verfaßt und verbreitet. Darauf reagierte Wilmanns im Auswärtigen Amt mit der folgenden Aufzeichnung (Maichle, 2006):

Nostradamus-Propaganda

Die Prophezeiungen des Nostradamus über den Niedergang Englands spielen im Ausland bereits eine Rolle. In der Anlage wird eine kürzlich in der Schweiz erschienene Flugschrift beigefügt. Aus der anliegenden DNB – Meldung ist ersichtlich, daß ähnli­ches auch in Jugo­slawien verbreitet worden ist. Wie ich höre, soll auch eine Athe­ner Zeitung den Nostradamus – Komplex aufgegriffen ha­ben.

Es besteht Grund zur Annahme, daß die Schweizer und Belgrader Veröffentlichungen durch das Promi veranlaßt worden sind, das sich dadurch in die Auslandspropaganda einmischt.

Welche tiefgreifende Propagandawirkung mit den Nostradamus – Prophezeiungen zu erreichen ist, geht aus dem anliegenden Artikel des V. B. (vom 27.5.1940) sowie der DNB – Meldung her­vor.

Die Frage, ob es zweckmäßig ist, Nostradamus – Prophezeiungen zu verwenden, habe ich mit Herrn Dr. Fesel vom SD – Hauptamt er­örtert. Herr Fesel bearbeitet dort die Fragen der geistigen Kriegs­führung, soweit sie in den Zuständigkeitsbereich des SD fal­len. Die Frage wurde von dort lebhaft bejaht und hinzugefügt, daß Nostradamus höchstens Halbjude war.

Der Autor des hier zur Zeit vorliegenden Manuskripts ist schweizer Staatsbürger. Die Ver­öffentlichungen erscheinen propagandistisch zweckmäßig, sollten aber in einer Form er­folgen bei der die offizielle Beteiligung nicht ersichtlich ist.

Wi. (handschriftlich)
Der genannte Artikel im "Völkischen Beobachter" "Die Kolonne des Nostradamus" ist auch von Goebbels in seinen Tagebüchern erwähnt worden.

5. Juli 1940: Die "pro-deutsche Einstellung" des Nostradamus wird Krafft immer deutlicher

(Howe, S. 251):
Auf einer Postkarte vom 5. Juli 1940 an Dr. Ferriere schreibt Kraft, er habe weitere "erstaunliche Entdeckungen" gemacht, und die "pro-deutsche Einstellung" Nostradamus' werde ihm immer deutlicher.
Im Herbst 1940 arbeitet Krafft eine weitere Nostradamus-Studie für einen Dr. Wilmanns im Auswärtigen Amt aus (S. 251).

Ende 1940 zeigte Kraft Lucht einige Entwürfe und Borschüren, die er für das Propagandaministerium verfaßt hatte (S. 252). Krafft machte Lucht auch mit Wilmanns bekannt (S. 252):
Wilmanns fragte Lucht, wann die USA in den Krieg eintreten würden. Lucht gab vorsichtig eine ausweichende Antwort.
Daß Lucht, wie ihm Howe glaubt, mit den Nazis nichts hatte zu tun haben wollen, steht im Widerspruch dazu, daß er doch einen recht intensiven Kontakt zu Krafft aufrechterhält, der auch Wilmanns miteinschließt. Im Nachhinein kann Lucht natürlich viel erzählen.

18. August 1940: Der britische Außenminister erkundigt sich eine Stunde lang über Hitlers Horoskop

Howe berichtet (S. 278):
Als de Wohl am 18. August 1940 in der spanischen Botschaft zum Diner war, warn auch der Herzog von Westminster und Lord und Lady Halifax zugegen.
Also der damalige britische Außenminister. Und weiter:
Nach de Wohls Bericht von diesem denkwürdigen Ereignis habe, als nach dem Essen Portwein gereicht wurde, der Herzog von Alba ihn gebeten, Lord Halifax alles zu erzählen, was er über Hitlers Horoskop wisse. (...) Er sprach über eine Stunde, von Zeit zu Zeit warf Lord Halifax Fragen ein.
Damit waren dann nicht nur untergeordnete Beamte des britischen Foreign Office über die Möglichkeiten den Astrologie informiert, sondern auch der Außenminister selbst.

20. August 1940: „Nostradamus sieht die Zukunft Europas“ ist fertig

Am 20. August 1940 versendet die Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes (Maichle 2006)
das Manuskript K. E. Kraft „Nostradamus sieht die Zukunft Europas“ in 15 Exemplaren zur Verbreitung im Auslande. (...) Eine Verbreitung des Manuskriptes in Deutschland ( nicht Drucklegung für Auslandsaufla­gen ) ist nicht ins Auge gefasst, da sie voraus­sichtlich seitens des Promi als unerwünscht bezeichnet werden würde. (...) Der Verfasser, der als französischer Übersetzer im DNB tätig ist, fertigt eine französische Übersetzung selber an, die in aller Kürze vor­liegt.
22. August 1940: "Die Daten aller wichtigen coups Hitlers" vorher astrologisch berechnet

Howe berichtet (S. 278):
Lord Horne hatte ihm (de Wohl) am 22. August geschrieben. Er bezog sich auf das Treffen kurz zuvor bei Tilea und wollte ein Schreiben, das de Wohl für ihn angefertigt hatte, mit gewissen Leuten diskutieren. Darin hatte de Wohl die Daten aller wichtigen coups Hitlers mit planetaren Aspekten in Zusammenhang gebracht, wie sie wohl dessen angeblicher astrologischer Ratgeber vorher ausgerechnet hatte.
Würde dieselbe Behauptung für Heinrich Himmler aufgestellt oder für Rudolf Heß, müßte man heutzutage sofort von ihrer Richtigkeit überzeugt sein. Ob es sich mit Adolf Hitler so wesentlich anders verhalten hat, dürfte doch deutlich infrage gestellt werden. Das dürfte sich dann also auf all die vielen "risikoreichen" Entscheidungen Hitlers aus der Zeit seit 1933 beziehen. Etwa auf den "Röhm-Putsch", auf die Blomberg-Fritsch-Krise, auf den Austritt aus dem Völkerbund, auf die Remilitarisierung des Rheinlandes, den Anschluß Österreiches, des Sudetenlandes, der Resttschechei, des Angriffs auf Polen, Norwegen und Dänemark und schließlich Frankreich.
 
In einem Tätigkeitsbericht bis 31. August 1940 einer "Abteilung Ausland" heißt es (Maichle 2006):
Herausgegeben wurde im laufenden Jahr:
1) Die NOSTRADAMUS – Schrift, in einer Gesamtauflage von 83000, die sich vertei­len: auf eine französische (20000), eine holländische (5000), eine italienische (10000), eine serbische (10000), eine kroatische (25000), eine rumänische (5000), ein schwe­dische (5000) und eine englische Ausgabe für USA (3000).
2) Catholicus: “Gods will is gerechtigheid“. Eine Zusammenfassung von Prophezeiungen aus der Offenbarung des Johannes, die den Untergang von London voraussagen.
Es folgen 10 weitere Punkte in dieser Liste mit vorwiegend politischen Schriften.

Der Krafft-Kommentar für den Reprint des Nostradamus erschien nun also - wie oben schon ausgeführt am 12. Oktober 1940 als 32-seitige Broschüre mit einer Auflage von nur 299 Exemplaren (S. 248).

17. Oktober 1940: Nostradamus-Veröffentlichungen: "Konkurrenz belebt das Geschäft"

Am 17. Oktober 1940 wird im Auswärtigen Amt - offenbar für Wilmanns - eine Stellungnahme von Krafft festgehalten zu Nostradamus-Propaganda-Schriften im Ausland, die nicht vom Auswärtigen Amt stammmen (Maichle 2006):
Aufzeichnung
Der Inhalt der Broschüre “Hoe Zal Deze Oorlog endigen?“ (Den Haag 1940) deckt sich – abgesehen vom Vorwort – ganz genau mit zwei anderen Schriften, welche im Jahre 1940 ebenfalls über Nostrada­mus erschienen sind, und zwar
1.)  “Prédictions“ (Edition Ant. Genf) unter dem Titel (verdeutscht): „Was wird zwischen dem Frühjahr 1940 und Frühjahr 1941 geschehen?“
2.)  “1940“ (Belgrad) – eine wörtliche Übersetzung der oben zitierten Genfer Veröffentlichung.

In den obigen beiden Schriften lassen sich nach Inhalt und Reihen­folge wörtliche Zitate aus H. H. Kritzingers “Mysterien von Sonne und Seele“ nachweisen (Berlin 1922). Ins­be­sondere deckt sich die in der holländischen Schrift verwandte Illustration (Wieder­gabe des Titel­blattes der Amsterdamer Ausgabe von 1668) mit einer Illustration des genannten Bu­ches.

Ich habe Gründe anzunehmen, dass zwar Dr. Kritzinger nicht der Verfasser der drei gleichartigen Propagandaschriften ist, wohl aber über deren Herkunft Bescheid weiss. Mit größter Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass sie aus dem Promi hervorgegan­gen sind.

Inhaltlich decken sich die Propagandaschriften nur zum Teil mit dem Inhalt meiner ei­ge­nen Nostradamus – Studie. Von über 20 dort zi­tierten Vierzeilern finden sich bei mir nur 6, davon 2 in bedeutend besserer Fassung. Umgekehrt finden sich von den in mei­ner Bro­schüre zitierten 37 Stellen und Vierzeilern in der „Konkurrenzschrift“ nur 9, da­von 3 in un­zulänglicher Übertragung.  Die Überschneidung der beiden Schriften erscheint demnach so ge­ring, dass eine ge­gen­seitige Konkurrenzierung nicht vorliegt.

Zusammenfassung:
Mögen die oben erwähnten Schriften aus Den Haag, Genf und Bel­grad einem Konkur­renzunternehmen zu den Bestrebungen des Aus­wärtigen Amts entspringen, so er­schei­nen sie doch weder nach Inhalt noch nach Qualität so gestaltet, dass sie einer gleichzeiti­gen Ver­öf­fentlichung meiner eigenen Studie ernsthaft im Wege stehen könn­ten.
Im übrigen gilt gerade im Bereich der Veröffentlichungen über No­stradamus nachweis­lich die Wahrheit des Sprichwortes: „Konkurrenz hebt das Geschäft“.
Berlin, den 17. Oktober 1940
K. E. Krafft (handschriftlich)

Der Grundsatz "Konkurrenz hebt das Geschäft" war ja, wie wir schon feststellten, eines der Erfolgrezepte des Skandal-Hellsehers Eric Jan Hanussen. Krafft sandte seine Nostradamus-Broschüre auch an seinen ehemaligen Arbeitgeber in Zürich, woraus Maichle schließt, daß die Angabe bei Howe, Krafft hätte sich mit seinem früheren Arbeitgeber zerstritten, in Zweifel zu ziehen ist.

1940/41: Hitler ermöglicht das Erscheinen verbotenen astrologischen Schrifttums

Um die Jahreswende 1940/41 ist nun im okkultismuskritischen Amt Rosenberg ein "Lagebericht auf dem Gebiet des astrologischen Schrifttums" verfaßt worden (1, S. 137 - 149). (Die Biographie des Astronomen und Astrologie-Kritikers Kurd Kisshauer würde übrigens dafür sprechen, daß er der Verfasser dieses Lageberichtes war oder daß der Bericht zumindest mit seiner Beteiligung geschrieben wurde.) Stephan Berndt zitiert und behandelt diesen Lagebericht dankenswerterweise sehr ausführlich und gründlich. Dieser Lagebericht schildert die starken Widerstände innerhalb der NSDAP gegen ein allgemeines Verbot des astrologischen Schrifttums, wie es vom Amt Rosenberg - wohl zum Teil auch in Zusammenarbeit mit Göring - angestrebt worden war:

Einen besonderen Widerstand (...) fanden wir in den Kreisen um den Stellvertreter des Führers; an der Spitze Reichsleiter Schulte-Strathaus. (...) Die Parteiamtliche Prüfungskommission. (...) Hier trat uns besonders ihr stellvertretender Leiter, Pg. Hederich, entgegen. (...)
Nachdem die Parteiamtliche Prüfungskommission durch eine Führerverfügung (...) eine erweiterte Verbotsfunktion auf dem Gebiet des Schrifttums erhalten hatte, nutzte sie diese sogleich dazu aus, das astrologische Schrifttum zu schützen und bereits erlassene Verbote (...) wieder aufzuheben. (...)
Es wurde seitens der Parteiamtlichen Prüfungskommission auch die Freigabe bereits beschlagnahmter Bücher verfügt.
Stephan Berndt schreibt dazu ganz richtig (1, S. 139):
Der letzte Absatz ist eine Sensation. Er besagt nichts anderes, als daß Adolf Hitler um die Jahreswende 1940/41 höchstpersönlich durch eine "Führerverfügung" dafür sorgte, daß ein Verbot okkulter Literatur (...) von Heß & Co. wieder aufgehoben werden konnte!

Hier wird also nur allzu deutlich - und zwar durch Dokumente gut bezeugt! - daß Adolf Hitler selbst ein "doppeltes Spiel" mit der Astrologie spielte. Nach außen stimmte er der offiziellen anti-okkultistischen Politik zu, während er ihr stillschweigend mit "Führererlassen" in den Rücken fiel. An dieser Stelle erkennt man das Wesen des Verhältnisses von Hitler zur Astrologie wohl besser als an vielen anderen Stellen: Nein, die Astrologie war ihm keineswegs gleichgültig oder "Nebensache". Sie war ihm so wichtig, daß er Führererlasse erließ, die es erlaubten, der Arbeit seines "Parteigenossen" Alfred Rosenberg entgegenzuwirken. Das ist übrigens nicht die einzige Stelle, an der Hitler intern - und ggfs. auch nach außen - von Rosenberg abrückte. Rosenberg erhielt ja auch nie ein Ministeramt, obwohl Hitler ihm dies einstmals versprochen hatte. Und Rosenberg fügte sich allem, begehrte nie auf, denn sonst hätte er noch mehr Einfluß verspielt und das wußte er. Auch der hier zitierte Lagebericht wurde, soweit übersehbar, nur "für die Akten" verfaßt und nie an Hitler oder andere weitergeleitet. Das war sehr typisch für Rosenberg.

Dem Lagebericht sind übrigens auch noch weitere Vorgänge der damaligen Zeit zu entnehmen, die hier nicht alle behandelt werden können.

Ende 1940: Hohe Wertschätung des Astrologen Krafft in der okkulten Umgebung von Rudolf Heß

Wichtig ist aber auch eine Anlage zu diesem Lagebericht, nämlich zum Thema Nostradamus. In dieser heißt es unter anderem über die von Krafft bearbeitete Fotokopien-Ausgabe des Nostradamus (zit. n. 1, S. 144): Sie sind 

inzwischen tatsächlich hergestellt und an führende Männer der Partei verteilt worden. Das Wesentliche hierbei ist, daß diesen Fotokopien eine gedruckte "Einführung zu den Propheties ..." aus der Hand eines bekannten Berufsastrologen beigefügt und damit die ganze Angelegenheit ins rein astrologische Fahrwasser geleitet wurde.

Der hier in Rede stehende Sterndeuter Karl Ernst Krafft ist der gleiche, der auch in einer Broschüre, die das Amt Schrifttumspflege aus der Hand des Pg. Schulte-Stratthaus erhielt, als derjenige erscheint, der eine "wissenschaftliche Bereinigung" der Astrologie durchzuführen in der Lage wäre.

Die hier erwähnte Broschüre zu kennen wäre allerdings von Interesse. Stephan Berndt verweist mit Recht darauf (1, S. 201), daß durch diese Angabe gesichert ist, daß der Astrologe Krafft eine hohe Wertschätzung in der (vom britischen Geheimdienst infilitrierten) okklten Umgebung von Rudolf Heß genießt. Ja, Schulte-Stratthaus geht sogar so weit, Krafft zu einer "wissenschaftlichen Bereinigung" der Astrologie vorzuschlagen. Das wäre im übrigen allerdings eine hübsche "Bereinigung" geworden!

(Weiter zum: 4. Teil, 5. Teil mit Anhang und Literaturverzeichnis.)



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  1. von Unruh, Fritz: Der nie verlor. Roman von Haß und Liebe, Dunkelheit und Licht, Verzweiflung und Hoffnung, Tod und Leben, von Krieg und einem neuen Mut. Geschrieben 1944. Zum ersten Mal erschienen auf amerikanisch unter "The End is not Yet", in New York 1947. Deutsch: Verlag Hallwag, Bern 1948; nochmals in: Sämtliche Werke, Bd. 8. Haude & Spener, Berlin 1971 (Google Bücher)
  2. Fritz Carl Roegels: August Wilhelm von Preußen, SA-Mann und Hohenzollern-Prinz O. Stollberg, 1933 - 118 Seiten
    (Google Bücher Ausschnitt)
  3. Besuch von Adolf Hitler, Joseph Goebbels und Prinz August Wilhelm von Preußen im Luise-Henrietten-Stift in Lehnin am 2. Mai 1933. In: Bericht über das 37. Arbeitsjahr 1932 - 1933 der Stiftung Tannenhof. Remscheid 1933 (Bibliothek des Diakonischen Werkes der EKD, Berlin) (Google Bücher) Weitere Zitierungen: (Google Bücher) (Google Bücher)
  4. Goebbels, Joseph: Die Tagebücher. Aufzeichnungen 1924 - 1941 Saur, 1987 (351 S.) (Google Bücher) 
  5. Schaub, Julius: Hitlers Schatten. Erinnerungen und Aufzeichnungen des Chefadjutanten 1925 - 1945. Druffel & Vowinckel-Verlag, 2005 (440 S.) (Google Bücher); 2010 (Google Bücher

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