Donnerstag, 19. August 2010

Kirsten Heisig: "Mir springt keiner zur Seite."

Ein zweiter Fall "Benno Ohnesorg"?

Der Bestseller der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig soll auf Türkisch erscheinen, wie gestern berichtet wurde.

Lassen wir aus diesem Anlaß noch einmal Revue passieren die Berichterstattung über die polizeiliche Suche nach ihr und über das Auffinden ihrer Leiche. Und zwar anhand zahlreicher, öffentlich zugänglicher Pressefotos (im folgenden aus: Bild, 1.7., t-online, 2.7., t-online, 3.7., Heute, 3.7., Süddt., 3.7., Morgenpost 4.7., RTL, 4.7., HAZ 4.7., Stern, 4.7. a, b, Spreeradio 4.7., News, 5.7., Märk. Allg. 5.7.). Im Anschluß daran wollen wir noch einmal darauf eingehen, wie derzeit die Berliner Generalstaatsanwaltschaft und das Verwaltungsgericht Berlin die Auskunftspflicht hinsichtlich dieses Falles sehen (s.a.: a, b).

Im großer Zahl rücken Anfang Juli in einem Waldstück bei Berlin-Tegel
Polizisten an zur Suche nach Kirsten Heisig


Hier der Anhänger mit Suchhunden

Tagelang finden sie nichts, weil sie - so erfahren wir später - nicht in die Baumwipfel gucken

Es sind heiße Sommertage in einem sonnen- und lichtdurchfluteten Wald,
in dem die Bäume nicht auffallend dicht stehen


Es wird in Waldstücken am Elchdamm gesucht und in Verlängerung des Schauflerpfades (siehe frühere Beiträge hier auf dem Blog). Aber auch an der S-Bahn-Strecke, sowie auf Wiesenflächen. Auch vom Hubschrauber aus (Fotos dazu findet man in den angebenen Berichten ebenfalls). Und es wird bei Nacht gesucht.

Ein Laptop der Polizei - oder der Feuerwehr - mit dem weiß eingegrenzten Suchgebiet: Warum gerade da,
wo doch der Wald so groß ist und - beispielsweise - die S-Bahn so viel weiter weg ist?



Die Gerichtsmedizin fährt vor


3. Juli 2010: Schließlich erfährt die Öffentlichkeit nach mehreren Tagen, daß die Leiche doch noch gefunden worden ist. Und die Pressefotografen machen folgende Fotos von den Geschehnissen:

Der blaue Wagen, offenbar der Gerichtsmedizin, ist vorgefahren.

Das Straßenstück wird abgesperrt.

Zwei Gerichtsmediziner ziehen sich weiße Schutzanzüge an.

Leitern werden gebracht.

Das Straßenschild macht den Straßenknick des Elchdamms eindeutig lokalisierbar.

Ein grüner Wagen der Gerichtsmedizin fährt vor.

Offenbar die Gerichtsmediziner: Eine Frau und ein Mann in ihren Schutzanzügen mit Koffern

Fotos von einer Bahre oder einem Sarg mit der geborgenen Leiche von Kirsten Heisig finden sich in der Presseberichterstattung - soweit übersehbar - nicht. Wurde die Absperrung im Anschluß an die hier fotografierten Szenen erweitert? - Auch Videos über die Suche sind übrigens im Netz zugänglich (RBB Abendschau 1.7., ZDF, 1.7., Morgenpost TV 2.7.).

Juli/August 2010: Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin verweigert Auskünfte

Der Journalist Gerhard Wisnewski hat sich nun in den letzten Wochen um weitere Auskünfte von Seiten der Behörden bemüht. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin weigert sich aber, genaue Auskünfte über die Todesumstände und den Todesort von Kirsten Heisig zu geben (Teil 7, pdf. a, pdf. b). Und das Verwaltungsgericht Berlin meint, daß die Generalstaatsanwaltschaft ein ...
... "Auskunftsverweigerungsrecht" habe, da "schutzwürdige private Interessen, nämlich das ideelle, postmortale Persönlichkeitsrecht der Verstorbenen und das Persönlichkeitsrecht ihrer hinterbliebenen Angehörigen verletzt werden" (pdf. b, S. 3)
könnten, bzw. würden, wenn weitere Auskünfte gegeben würden. Auch die "Menschenwürde" von Kirsten Heisig würde verletzt, wenn genauere Details bekannt gegeben würden (S. 4)! Dann folgt etwa auch folgender Satz:
"Ein Mensch, der Suizid begeht, kann grundsätzlich verlangen, daß in den Medien nicht eingehend über seinen Tod (...) berichtet wird."
Offenbar gibt es darüber also keine einigermaßen einheitlichen Regelungen. Und man faßt sich an die Stirn, was hier Richter im Namen von Kirsten Heisig glauben, sagen zu dürfen. Als wüßten sie selbst, was Kirsten Heisig verlangt hätte. Aber: Wenn das dieser Mensch denn wirklich so ernsthaft wollte, daß nicht eingehend über seinen Tod berichtet wird (!!!), hätte er ja nur eine persönliche Erklärung zuvor hinterlassen brauchen. Jemand, der gerade ein Buch veröffentlicht zu dem brisanten Thema Jugend- und Migrantenkriminalität und der am Ende schreibt "Deutschland wird mich aushalten", der gerade einen Talkshow-Termin zugesagt hat, der wird wohl damit rechnen müssen, daß die Öffentlichkeit sehr genau Bescheid wissen will, wie und warum sich dieser Mensch - angeblich - so plötzlich und unvermittelt "selbst" umgebringt.

Man kann es als geradezu ungeheuerlich empfinden, was hier das Verwaltungsgericht Berlin formuliert. Im Grunde sind das ganz unglaubliche Schriftstücke, die hier von der Berliner Justiz verfaßt werden. Und man sollte sie wirklich noch umfangreicher auf sich wirken lassen. Die Richter und Staatsanwälte werden sich doch auch alle persönlich untereinander kennen, was man auch in diesem Text glaubt, mitschwingen zu spüren.

Und das Berliner Verwaltungsgericht weiß, warum die Auskunftsverweigerung richtig ist

Kann man sich in fünf Meter Höhe in einem Baum auf eine Weise umbringen, selbst töten, daß eine Auskunft über diese Art und Weise der Tötung der Öffentlichkeit nicht gegeben werden darf, um - - - die "Menschenwürde" der betroffenen Person zu wahren? - ??? Wie stellt sich denn in anderen, vergleichbaren Fällen die Berichterstattung und die Wahrnehmung der Auskunftspflicht der Behörden dar?

Als wäre nicht jeder gewaltsame Tod die tiefste Infragestellung der Menschenwürde an sich. Aber in diesem Fall sogar noch, wie gesagt, eines Menschen, der von sich sagt: "Deutschland wird mich aushalten." Eines Menschen, der Zusagen zu Talkshow's gibt, der Besteller-Manuskripte gerade druckfertig gemacht hat. Liest man den Text des Berliner Verwaltungsgerichtes, gewinnt man geradezu den Eindruck, als wäre die Art, mit der sich Kirsten Heisig umgebracht hat, eine irgendwie hochgradig peinliche gewesen. Es liest sich geradezu so, als hätte dies etwas mit ihren primären Geschlechtsmerksmalen zu tun. Zumal wenn dauernd von "hochpersönlichen" Gründen gesprochen wird für diesen Suizid. "Persönliche" Gründe reichten den Richtern offenbar gar nicht aus. Nein, auch "hochpersönliche" taten es noch nicht. Es mußten "höchstpersönliche" sein. Erst dann kamen sich diese Richter der Öffentlichkeit gegenüber überzeugend genug vor.

Und das können sie allein aus einer einzigen SMS ablesen, die Kirsten Heisig hinterlassen hat?

Und damit läßt sich unsere hochgepriesene, demokratisch-kritische Öffentlichkeit abspeisen? Hier riecht doch etwas - wieder einmal, wieder einmal: zehn Meter gegen den Wind.

Am 19. Juli, also zwei Wochen nach Auffinden der Leiche von Kirsten Heisig, lagen übrigens noch nicht alle toxikologischen Untersuchungen zu ihrem Todesfall vor (pdf. a, S. 2). Solche sind also - offenbar gründlich - vorgenommen worden. Die Öffentlichkeit harrt der Erklärung.

"Mir springt keiner zur Seite ...."

In der Süddeutschen Zeitung vom 1. Juli hieß es bedeutungsschwanger:
Die frühere Staatsanwältin erhält in ihrer Öffentlichkeitsarbeit wenig Rückendeckung von Kollegen. "Mir springt keiner zur Seite", sagte sie.
Wie weit sind diese Sätze auch auf Kollegen bei der Generalstaatsanwaltschaft Berlin und beim Berliner Verwaltungsgericht anwendbar? Und darauf folgen die Sätze:
Aber die Tatsache, dass ihr auch niemand in die Parade fahre, niemand ihr das Gegenteil dessen beweise, was sie erzähle, stärke sie.
Wirklich? Ist ihr wirklich keiner der "Kollegen" "in die Parade" gefahren? Tut es wirklich niemand heute? Was ist mit dem Ehemann, von dem sie getrennt lebte, dem Herrn Oberstaatsanwalt? Etwa so eine Art zweiter Prinz Charles? ...

Schon am 3. Juli hieß es in der Süddeutschen Zeitung, die wie der "Spiegel" oft ihre Informationen aus jenen Kreisen bekommt, die die eigentliche Macht haben heute: "Von einer Entführung war die Polizei von Anfang an nicht ausgegangen." Man wußte also offenbar "von Anfang an", daß die Gründe für ihr Verschwinden im ... "höchstpersönlichen Bereich" ... lagen.

In Berlin morden Polizisten und Verfassungsschützer seit Jahrzehnten, gerne werfen sie auch Steine auf ihre eigenen Kollegen (siehe 1. Mai)

Erinnern wir uns: In Berlin haben schon Polizisten und Vertrauensleute von Geheimdiensten mehrerer früherer Generationen politische Morde und Straftaten begangen. Es sei - nur als Beispiel - erinnert an den Reichstagsbrand von 1933. Es sei an den Mord an Benno Ohnesorg erinnert. Es sei an Morde im Grunewald erinnert im Zusammenhang der Geschichte der RAF. Es sei erinnert an die Durchfilzung der Berliner und Brandenburger Polizei durch Geheimdienste, unter anderem der DDR-Staatssicherheit, deren Seilschaften fortbestehen. Überall Polizisten, die von ihren eigenen Kollegen und dem Behördenapparat lebenslang gedeckt worden sind.
Polizisten, die auf die Deckung durch die Justizbehörden und die "kritischen" Presseorgane dieser Stadt fast bis heute rechnen konnten. Von den Straftaten in den offensichtlich totalitären Systemen des Dritten Reiches, der Sowjetunion und der DDR ganz abgesehen.

Und hatte nicht auf einer der letzten 1. Mai-Demonstrationen am Kottbuser Tor in Berlin ein Frankfurter Polizist in Zivil Steine auf seine uniformierten Berliner Kollegen geworfen? Alles nur Zufälle. Sie stehen natürlich in keinem Zusammenhang miteinander.

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