Samstag, 6. März 2010

Die Macht des Jesuitengenerals und die Lieblosigkeit seines Ordens

Die Macht und der Einfluß des Jesuitenordens ganz allgemein wird im Zusammenhang mit den derzeitigen Kindesmißbrauchsfällen vergleichsweise wenig thematisiert. Da ist es vielleicht sinnvoll, einmal die Einschätzung der Süddt. Ztg. vom 11.1.08 (Stefan Ulrich) zu Macht und Einfluß des Jesuitenordens zu lesen. Diese Worte wurden vor zwei Jahren geschrieben:
Die Jesuiten gelten als Avantgarde der katholischen Kirche.
Über die damals bevorstehende Wahl des neuen Jesuitengenerals heißt es da:
"Was da abgeht, hat große Auswirkungen auf die ganze katholische Kirche", sagt ein gut informierter Monsignore in Rom. "Denn die Jesuiten waren und sind - heute wohl mehr denn je - eine Avantgarde. Sie nehmen äußerst sensibel die Fragestellungen der jeweiligen Zeit auf."

Derzeit seien das etwa der Dialog mit dem Islam, das Verhältnis zu China, der Umweltschutz, die Verwerfungen der Globalisierung und die Stellung der Christen in einer sehr weltlichen Gesellschaft - alles Themen also, die auch Papst Benedikt besonders beschäftigten.

Die Jesuiten dürften daher weiter wegweisend für den Katholizismus wirken. (...) "Schwarzer Papst" wird der Jesuitengeneral genannt; wegen seiner Kleidung, vor allem aber, weil er, wie der Papst im Vatikan, in einem konklaveähnlichen Verfahren auf Lebenszeit gewählt wird und über viel Macht in einer straff geführten Organisation verfügt. (...)

"Man hat den Eindruck, dass sich die Jesuiten wieder erholt haben und auch im Vatikan wieder stärker vertreten sind", sagt ein Kirchenmann. (...) Traditionell sind die Jesuiten in der Ausbildung stark. Durch ihre Schulen und Hochschulen - sie leiten 665 Bildungseinrichtungen in 65 Ländern und wirken an unzähligen anderen mit - prägen sie Millionen Menschen. Dabei formen sie die künftigen Eliten.

James Joyce und Alfred Hitchcock wurden ebenso von Jesuiten geprägt wie Heiner Geißler und Fidel Castro. Besonders in den Medien sind die Ordensleute, die nicht in Klöstern leben, präsent, (...) die Elitetruppe der Kirche.
Wenn übrigens so verschleiernd vom "Verhältnis zu China" die Rede ist, dann geht es sicherlich wiederum um handfesten Schäfchenfang und um Machtfragen hinsichtlich eines noch wenig von der katholischen Kirche "beackerten" Bodens. Daß man den eigenen Schüler Josef Ackermann zu fortschrittlichen Aussagen hinsichtlich der "Verwerfungen der Globalisierung" aufgefordert hätte, hat man bislang ebensowenig erfahren.

Von 1948 bis 1958 im Jesuiten-"Gefängnis": Mathias Jung

Mitglieder der Giordano Bruno-Stiftung haben sich von derartigen Organisationen schon lange entsetzt abgewandt. Zu ihnen gehört der Ehetherapeut und Philosoph Mathias Jung (geb. 1941) (a, b), auf den uns dankbarerweise eine Leserin dieses Blogs aufmerksam gemacht hat. Als Verfasser von 45, wie es heißt gut zu lesenden Büchern hat er, wenn er Vorträge hält, ein begeistertes Publikum. Auch dieser Mathias Jung ist von 1948 bis 1958 auf ein Jesuiteninternat in Feldkirch in Österreich geschickt worden, nachdem die Ehe seiner Eltern gescheitert war. Unsere Leserin berichtet weiter:
Dr. Mathias Jung hielt wieder einen VHS-Vortrag. Sein heutiges Thema: "Sucht, Seele, Sehnsucht". Ich habe ihn schon öfter gehört und war sehr gespannt darauf, denn es würden bestimmt wieder viele spritzige Pointen zu hören sein, über die der ganze Saal (ausverkauft!!!) lachen würde, aber auch sehr nachdenkliche Momente würden darin vorkommen, wo man eine Stecknadel fallen hören kann im Saal. ... Denn Sucht beinhaltet mehr als Rauchen, Trinken oder Essen.

Und so war es auch. Ich komme gerade wieder aus dem tollen Vortrag zurück und möchte nur kurz berichten, dass Dr. Mathias Jung diesmal auch etwas ausführlicher über seine Erlebnisse im Jesuiten-Internat erzählt hatte. Er musste sieben Jahre lang ein österreichisches Jesuiten-Internat /-"Gefängnis", wie er es nannte, besuchen, da beide Eltern Ärzte, also berufstätig waren. Missbrauch sei die eine schlimme Seite dort gewesen.

Genauso, nur anders schlimm empfand er dort diese Härte und Strenge und völlige Lieblosigkeit und ständigen Drohungen, Angstmacherei vor der Hölle, - bei gleichzeitiger Wissensvermittlung von höchster Qualität. Sie, die Jungs, hätten ihre Matrazen heimlich und vorsichtig aufgeschlitzt, um darin ihre Süßigkeiten zu verstecken, um wenigstens etwas Lebens-Süße spüren zu können, woraus sich viele weitere Süchte entwickelt hätten.

... aus einem Kinofilm

Mit 35 Jahren hat er sich dann freiwillig in eine Therapie begeben, da er total zu vereinsamen drohte, weil er einfach nicht wusste, wie er Menschen, geschweige denn ein Mädchen ansprechen sollte, und weil er sich nur noch hinter Bücher und Arbeit vergrub. Erst nach seinem 50. Lebensjahr hat er das Buch "Mut zum Ich" geschrieben. Hätte er es vorher geschrieben, wäre es eine Lüge geworden, denn erst so spät hat er sich selbst so richtig bewusst wahrnehmen und sein eigenes Leben sinnerfüllt führen können, vorher hätte er sich vor allem leben lassen ohne es selbst so richtig gemerkt zu haben.
Er wußte noch mit 35 Jahren nicht, wie er ein Mädchen ansprechen sollte

Das sind neuerlich schlimme Einblicke, die man hier in die Erziehung, ausgeübt durch die "Avantgarde", die "Elitetruppe" der katholischen Kirche, gewinnt. Außerordentlich schlimme Einblicke. In seinem Buch "Mut zum Ich" werden diese Ausführungen ab Seite 155ff, wie wir von der Leserin erfahren, noch etwas ergänzt, allerdings drückt er sich hier noch zurückhaltender, ja, fast "schuldbewußter" aus:
... Muss ich, Mathias, jedem Menschen auf die Nase binden, dass ich als Jugendlicher aus dem elitären Jesuitenkolleg hochkant hinausgeworfen wurde oder dass ich das Abitur beim ersten Durchgang vergeigt habe? ... Nichts ist bitterer, als von alten Idealen Abschied nehmen zu müssen. Ich habe dies selbst mehrfach in meinem Leben schmerzhaft erlebt. Ich musste, als Kind einer Scheidungsehe, den für mich katastrophalen Zusammenbruch des Ideals einer vitalen Arztfamilie und den Exodus von uns drei Söhnen in ein Internat im Ausland erleben.

Noch als Gymnasiast erwies sich mir das Ideal der alleinseligmachenden heiligen römisch-katholischen Kirche als brüchig. Im Studium trat ich nach schwerer, innerer Krise und einer mich fast zerreißenden philosophischen Erschütterung aus der Kirche aus. Das war für mich ein Schritt von solch kühner Tragweite, als hätte ich mit dem Faltboot den Atlantik überquert.
Kirchenaustritt: als hätte man mit dem Faltboot den Atlantik überquert

Der Jesuitenorden wird neuerlich sagen, daß diese schwer schädigenden menschlichen Prägungen, Erlebnisse und Erfahrungen von seiten des Jesuitenordens ja "schon" 50 Jahre her wären. Stimmt das? - - - Es gibt hier viele Themen, denen weiter nachzugehen wäre. Der ganze Themenbereich Höllenangst, Sündenbewußsein, Vergebung von Sünden - durch einen institutionalisierten Menschenkreis - ist ein so abartiger, so fremdartiger, daß schon allein eine Erziehung aus solchen Einstellungen heraus Seelenmord bedeuten könnte, ganz unabhängig davon, ob auch tatsächliche sexuelle Übergriffe dabei vorkommen.

Priesterweihe: Auf die Knie vor Gott, dem Tyrannen. Demütig sein. ... Selbst "wie Gott" werden.

Die Frage, ob der Jesuitenorden eine Psychosekte ist, wird wohl seit Jahrzehnten nur allein deshalb nicht thematisiert, weil diejenigen, die ihn von dieser Seite kritisch kennengelernt haben, viel zu traumatisiert, eingeschüchtert oder schuldbewußt sind, um diese Frage ganz nüchtern und sachlich zu erörtern. Gerade deshalb wäre es so wichtig, daß sich einmal Unbeteiligte, neutrale Menschen darüber ein Urteil bilden würden und dabei auch vor "heiligen Kühen" nicht zurückschrecken würden.

Wider postmoderne philosophische Unverbindichkeit

Viele, die solche Erziehung genossen haben, wechseln - im Gegensatz zu Mathias Jung - in die seelenmordende "Show"-Branche. Nur wenige - wie Mathias Jung - schaffen es offenbar, sich ihre Ernsthaftigkeit in Fragen hinsichtlich des Lebenssinnes zu bewahren, auch bei Abwendung von alten religiösen Anschauungen. Mathias Jung sagt heute:
Ich möchte weder von der Anthroposophie noch von den Zeugen Jehovas, weder von der Esoterik noch von der "postmodernen" philosophischen Unverbindlichkeit orthodox vereinnahmt werden.
Und richtig ist es sicherlich auch, sich gründlicher darüber Gedanken zu machen, wie denn überhaupt mit den Motivationssystemen der menschlichen Seele sinnvoll umzugehen ist. Und eben nicht so abartig archaisch, seelenmordend, seelen-einschüchternd, seelen-traumatisierend wie das von Seiten einer katholischen Morallehre und erst recht vom Jesuitenorden nahegelegt wird. Denn alle Suchterscheinungen haben mit dem Motivationssystem der menschlichen Seele zu tun, wie man unter anderem von dem - von diesem Blog sehr geschätzten - Buchautor Joachim Bauer lernen kann.

Ist es richtig zu sagen, daß im Angesicht all der modernen Erkenntnisse über die menschliche Psychologie katholische Theologie menschenverachtend ist? Nichts drängt sich stärker auf, als ein solcher Verdacht.

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