Freundin - sprach Columbus - traue
Keinem Genueser mehr!
Immer starrt er in das Blaue,
Fernstes zieht ihn allzusehr!
Wen er liebt, den lockt er gerne
Weit hinaus in Raum und Zeit -
Über uns glänzt Stern bei Sterne,
Um uns braust die Ewigkeit.
Friedrich Nietzsche
Friedrich Nietzsche (1844-1900) gilt als Verächter der Frauen. "Du gehst zu Frauen? - Vergiß die Peitsche nicht!" So läßt er ein altes Mütterchen sagen in seinem "Zarathustra". Ist das aber die ganze Wahrheit? Kann das die ganze Wahrheit sein, wenn man weiß, daß das eingangs gebrachte Gedicht an Lou Andreas-Salomé (1861-1937) gerichtet war?
Lou Andreas-Salomé als Anregerin des "Zarathustra" von Friedrich Nietzsche
Ohne sie wäre das Hauptwerk von Friedrich Nietzsche "Und also sprach Zarathustra" (1883-1885) nicht geschrieben worden. Nach der eigenen Aussage Nietzsches. Ohne seine Freundschaft mit ihr im Jahr 1882, eine Freundschaft, in der beide intensiv über eine gemeinsame Ehe - oder zumindest ein eheähnliches Verhältnis - nachgedacht haben. Nietzsche also ein Frauenverächter?
Abb. 1: Lou Andreas-Salomé |
Die Biographie dieser Menschen - Friedrich Nietzsches einerseits und Lou Andreas-Salomé's andererseits - liest sich deshalb, wo immer man auf sie trifft und sie aufblättert, aufregend.
Lou hat sich sehr früh und selbständig von Christentum und Monotheismus losgesagt. Sie hat dann versucht, nach aus ihr selbst geschöpften Moralvorstellungen und nach aus ihr selbst geschöpfter Verantwortung zu leben. Die Begegnung mit einem Mann wie Friedrich Nietzsche mußte ihr da sehr starke Ermutigung sein. Dies beruhte aber auf Gegenseitigkeit. Mit ihrer Art zu denken und zu leben hat sie große Bedeutung gewonnen für das Leben und Werk von Friedrich Nietzsche so wie später noch für das Leben und Werk von Rainer Maria Rilke (1875-1926).
Ohne ihre Biographie versteht man also wesentlichste Ereignisse der europäischen Geistesgeschichte etwa zwischen 1882 und 1926 nicht. Über die Biographie von Lou kann man sich informieren in ihrem eigenen "Lebensrückblick" (1). Dieser wird aber erst wirklich verständlich durch ergänzende Biographien (etwa: 2, 3).
Zu der frühzeitigen Beendigung der intensiven und leidenschaftlichen Freundschaft zwischen Friedrich Nietzsche und Lou Salomé im Sommer 1882 trug die Schwester von Friedrich Nietzsche, Elisabeth, spätere Förster-Nietzsche, nicht wenig bei. Nietzsche liebte seine Schwester. Aber er konnte sie auch hassen. Seine Freundschaft mit Lou war seiner Schwester und seiner Mutter - aus den moralischen Ansichten der damaligen Zeit heraus - zu "unmoralisch" erschienen. Auch zu der Beendigung der Freundschaft mit seinem besten Freund Paul Rée, ebenfalls ein Philosoph, und des zweiten Mannes, mit dem Lou damals ein sehr freies Dreiecks-Verhältnis pflegte, hatte die Schwester Nietzsches beigetragen.
Wie man sich die damaligen Gespräche über "wilde Ehe" zwischen Friedrich Nietzsche und Lou vorzustellen hat, wird sehr gut deutlich in der Nietzsche-Biographie von Werner Ross (3, S. 631-638), insbesondere erarbeitet aufgrund einer älteren Dokumentensammlung (4).
"Bedenkliche Eigenschaften ..."
Abb. 2: Friedrich Nietzsche |
... soviel steht fest, daß Du und niemand anders mein Leben drei Mal in zwölf Monaten in Gefahr gebracht hast ... Einem Menschen wie mir - seine höchste Tätigkeit zu zerstören! Ich habe noch niemand gehaßt, Dich ausgenommen!
Das Eine ist: Von allen Bekanntschaften, die ich gemacht habe, ist eine der wertvollsten und ergebnisreichsten die mit L[ou]. Erst seit diesem Verkehre war ich reif zu meinem Z[arathustra]. Ich habe diesen Verkehr Deinetwegen abkürzen müssen. Verzeihung wenn ich dies härter empfinde als Du mir nachfühlen kannst. Lou ist das begabteste, nachdenkenste Geschöpf, das man sich denken kann, natürlich hat sie auch bedenkliche Eigenschaften. Auch ich habe solche. Indessen das Schöne an bedenklichen Eigenschaften ist, daß sie zu denken geben, wie der Name sagt. Natürlich nur für Denker ...
Du kannst mir nicht nachfühlen, welcher Trost mir jahrelang Dr. Rée gewesen ist. faute de mieux [in Ermangelung eines Besseren] wie es sich von selber versteht, und welche unglaubliche Wohlthat mir gar der Verkehr mit Fräulein Salomé gewesen ist.
Es waren aber auch andere Gründe, als bloß das Entsetzen der Schwester Nietzsches, die zum nachfolgenden Abstand zwischen Lou Salomé und Nietzsche beitrugen. Es könnte gemutmaßt werden, dass es ähnliche gewesen sind, die dazu führten, daß sie später auch auf persönlichen Abstand zu Rainer Maria Rilke ging. So viel wie Nietzsche und später Rilke wollte sie womöglich über die "Bedenklichkeiten" ihres eigenen Charakters - und den anderer - dann möglicherweise doch nicht nachdenken (oder ihn gar "experimentell" erproben). Diese beiden sicherlich geistig innovativsten Männer im Leben von Lou stellten emotional - aufgrund der "Bedenklichkeiten", die sie wahrhaftiger als andere sich selbst und Lou gegenüber zur Diskussion stellten - zu heftige und widersprüchliche Ansprüche an Lou. Sigmund Freud war ihr da später - offenbar - ein angenehmerer, weniger fordernder Gesprächspartner und Freund als diese beiden. Nietzsche schrieb dann noch sein berühmtes, hier eingangs gebrachtes Gedicht an Lou Salomé, das wohl vieles auf den Punkt bringt, was die beiden zusammen- aber dann auch wieder auseinander führte.
In dem Gedicht sagt Nietzsche ja selbst der Freundin, sie solle keinem "Genueser" trauen. Er hatte kurz bevor er Lou im April 1882 in Rom persönlich kennengelernt hatte, in Genua gelebt. Nietzsche spricht aber zugleich - und bezeichnend - von "uns", die sich da - der Möglichkeit nach - auf Fahrt begeben könnten ... - Diese Ereignisse im Leben von Friedrich Nietzsche machen einmal auf's Neue deutlich, wie selbst im Leben eines der größten - angeblichen - Frauenverächters unter den Großen der abendländischen Philosophie-Geschichte eine Frau tatsächlich für sein Werkschaffen gar nicht hinwegzudenken ist. Nach eigenen Worten.
Freundin - sprach Columbus - traue
Keinem Genueser mehr!
Immer starrt er in das Blaue,
Fernstes zieht ihn allzusehr!
Wen er liebt, den lockt er gerne
Weit hinaus in Raum und Zeit -
Über uns glänzt Stern bei Sterne,
Um uns braust die Ewigkeit.
- Andreas-Salomé, Lou: Lebensrückblick – Grundriß einiger Lebenserinnerungen. 1951/1994
- Koepcke, Cordula: Lou Andreas-Salomé. Leben, Persönlichkeit, Werk. Eine Biographie. (= Insel-Taschenbuch 905). Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1986
- Ross, Werner: Der ängstliche Adler. Friedrich Nietzsches Leben. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1980
- Pfeiffer, Ernst (Hg.): Friedrich Nietzsche, Paul Rée, Lou von Salomé. Die Dokumente ihrer Begegnung. 1970
Dieser Blogbeitrag von 2009 ist nach der Lektüre der Nietzsche-Biographie von Werner Ross überarbeitet worden. Der blöde Titel dieser Biographie lautet "Der ängstliche Adler" - von 1980. Aber durch diese sehr gute Biographie versteht man zum ersten mal das Verhältnis zwischen Nietzsche und Lou Andreas-Salome weitgehend vollständig.
AntwortenLöschenDie beiden haben im Sommer 1882 viel über "wilde Ehe" miteinander geredet - zum Entsetzen ihrer ganzen Umgebung (insbesondere von Nietzsches Schwester Elisabeth). Die beiden sind diese "wilde Ehe" dann aber doch nicht eingegangen.
Lou erklärte Elisabeth zum Beispiel, sie könne mit Nietzsche in einem Zimmer schlafen, ohne dass etwas passieren würde. Elisabeth war entsetzt, worauf Lou erklärte, mit dem dritten Freund im Bunde, mit Ree würde sie noch ganz andere Dinge besprechen!!!!
Ich glaube, dies ist einer der raren Fälle in der Geistesgeschichte, wo man mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, dass da zwei Menschen (Nietzsche und Lou) KEIN intimes Verhältnis miteinander hatten, obwohl es ohne solche genauen Schriftdokumente und Erinnerungen wie denen, die hier vorliegen, bestimmt sofort unterstellt worden wäre von den Biographen. Da ja die Menschen von heute von ihrem eigenen Verhalten so gerne auf andere Zeiten und andere Menschen schließen. So wird dies ja mit großem Vergnügen gemacht gegenüber Leuten wie Beethoven (der sogar ein Kind gehabt haben soll!), Mozart (der zahlreiche Affären gehabt haben soll), Friedrich dem Großen (dem sonstwas unterstellt wird) und so vielen anderen. Obwohl es in all solchen Fällen niemals auch nur irgend welche überzeugenderen Belege gibt als den, dass heutige Menschen von sich auf andere, historische Persönlichkeiten schließen, von unserer Zeit auf andere Zeiten.
Aber die (für damalige Zeiten "verwegenen") Diskussionen, die im Sommer 1882 in Thüringen zwischen Nietzsche und Lou geführt wurden, das sind GENAU jene Diskussionen, die auch heute noch zu führen sind von allen Menschen, die es nur irgendwie ernsthaft meinen. Denn wenn man sich mit seiner Geschlechtlichkeit - in sprachloser Weise - nicht auseinandersetzt, ist keine Entwicklung nach irgendeiner Richtung hin möglich.
Insofern bekommt der Buchtitel vielleicht doch noch Sinn: Nietzsche mag nicht "ängstlich" aber doch behutsam und überlegt umgegangen sein mit der Adlerkraft der Geschlechtlichkeit. Und darauf mag seine ganze geistesgeschichtliche Bedeutung zurückzuführen sein.