Montag, 14. September 2015

Mit welchen Aufträgen waren Friedrich Hielscher und Ernst Jünger nach 1933 unterwegs?

Rechtselitäre Schwarz-, Quer- und Geheimfröntler - Bereit gehalten für einen etwaigen Militärputsch?

Hier auf dem Blog sind schon zwei Beiträge veröffentlicht worden zu dem Vordenker der heutigen christlichen Rechtskonservativen, bzw. der "Neuen Rechten" mit Namen Friedrich Hielscher (1902-1990), und zwar:
K. Lehner, 2015
Ein dritter Blogbeitrag zu diesem Vordenker aus dem Mai 2012 ist bislang nie veröffentlicht worden. Er soll hiermit veröffentlicht werden. Inzwischen ist auch eine neue Biographie über Friedrich Hielscher erschienen:
  • Lehner, Kurt M.: Friedrich Hielscher. Nationalrevolutionär, Widerständler, Heidenpriester. Schöningh Verlag, Paderborn 2015 (233 S.),
die vor knapp zwei Wochen auch in der rechtschristlichen Wochenzeitung "Junge Freiheit" besprochen worden ist:
  • Weißmann, Karlheinz: Eigentümlich eigenwillig. Der Nationalrevolutionär und Religionsphilosoph Friedrich Hielscher im biographischen Fokus. In: Junge Freiheit, 28. August 2015, S. 21
(Mit Dank an einen Hamburger Blogleser für die Zusendung dieser Buchbesprechung!) Karlheinz Weißmann lässt in dieser Buchbesprechung womöglich eine größere innere Distanzierung von diesem "Vordenker" erkennbar werden, als man das bislang von Autoren seines Schlages zu hören bekommen haben mag. (Aber das kann auch - nach beiderlei Richtungen hin - ein Irrtum sein. Man hält sich ja immer gerne alle Türen offen ...) Seine Rezension enthält jedenfalls mehrere Absätze, die als willkommene inhaltliche Ergänzung und Bestätigung der beiden genannten, hier schon erschienenen Blogbeiträge dienen können. Deshalb sollen diese Absätze angeführt werden. 1932, so schreibt Weißmann, habe Hielscher erkannt, 
dass das entscheidende Feld überhaupt nicht der Staat, sondern die Religion sei. In der Folge konzentrierte er sich auf die Schaffung eines Bundes, der in vielen Zügen Ähnlichkeit mit dem des verhassten Konkurrenten Stefan George hatte, aber in seinem Anspruch weit darüber hinaus ging.
1932 - das ist kurz nachdem die Männerbund-kritischen Erich und Mathilde Ludendorff ihre weltanschauliche, religiöse Vereinigung "Deutschvolk e.V." gegründet hatten. Für die von ihm gegründete Glaubensgemeinschaft erarbeitete Hielscher nun eine "Liturgie". Weißmann (Hervorheb. nicht im Original):
So hat Hielscher zwar gegenüber Außenstehenden ein großes Geheimnis um seine Konzeption gemacht, konnte aber nicht verhindern, dass durch enttäuschte Anhänger bekannt wurde, in welchem Ausmaß er seine Verkündigung abänderte, von den germanischen Göttern zu den keltischen überging und schließlich bei einem Monotheismus landete, der sich auf irritierende Weise jüdischer Formeln bediente.
... Grins .... ;) "Irritierend" kann das natürlich für Leser dieses Blogs keineswegs sein. Haben wir doch schon im oben genannten zweiten unserer Blogartikel anhand genauer Lektüre des Buches "Das Reich" dargelegt - was auch immer wieder in der Zeitschrift "Sezession" hindurchklingt (etwa in einem dort vor Jahren gebrachten Aufsatz des katholischen Philosophen Spaemann) -, dass der Bezug zum Judentum sowohl bei der Zeitschrift Sezession allgemein wie bei Friedrich Hielscher im Besonderen ein sehr "besonderer" immer schon war und gar nicht erst werden musste. Woraus sich fast zwanglos die Schlussfolgerung ergibt, dass dieser sehr besondere Bezug zum Judentum nur zuvor bei der Verehrung germanischer oder keltischer Götter verbrämt werden musste, um überhaupt in jenen religiös interessierten Kreisen, die sich vom (jüdischen) Christentum abgewandt hatten, Anklang finden zu können. Lauschen wir dem gewiss nicht besonders "irritierten" Karlheinz Weißmann weiter:
Dazu kam noch der dramatische Wechsel in Bezug auf die Lehre vom unfreien hin zum freien Willen, das Ganze weiter kombiniert mit einer Art rationalistischer Esoterik und schließlich noch bereichert um Vorstellungen der Freimaurerei.
Ach ja, und wenn man nun sagen würde, da wäre gar nichts durch Vorstellungen der Freimaurerei "bereichert" worden, sondern diese Vorstellungen bildeten immer schon den Kern jener Religiosität, auf die der gute Friedrich Hielscher hinaus wollte, der ja nach 1945 dann auch ganz offen Freimaurer geworden ist, so würde man sicherlich ganz und gar falsch liegen!! "Völkische" Freimaurerei jedenfalls, Orakelgesellschaften wie Thule-Orden, Bund der Guoten, Ariosophen und Vril-Gesellschaft. Die alle gar nichts anderes waren als Freimaurerei. Oder sagen wir besser, die Freimaurerei waren für - - - "Freimaurergegner". ;) (In der Geschichte des menschlichen Irrwahnes gibt es alles. - Alles.) Der, wie gesagt, keineswegs besonders irritierte Karlheinz Weißmann (der sich ja übrigens auch von einem Herrn Lucke in den letzten Monaten viel zu lange viel zu wenig "irritieren" ließ in der sicher klugen "Strategie", sich immer alle Türen offen zu lassen) schreibt weiter:
Niemand außer Hielscher wusste, welchen zahlenmäßigen Umfang die Gemeinschaft eigentlich hatte, und ein hierarchisches System von "Enkeln", "Söhnen", "Vätern" und "Großvätern" führte dazu, dass die jungen Frontoffiziere in Bezug auf die Bewertung des Kriegsverlaufs kein Wort mitzusprechen hatten, sondern sich stattdessen die Weisung ihres ungedienten Meisters und und Älteren ohne militärische Erfahrung demütig anhören mussten.
Weißmann meint, hier hätte Hielschers "Arkandisziplin absurde Formen" angenommen. Dreimal laut gelacht. Weißmann sollte kein Vorstellungsvermögen darüber besitzen, dass in Geheimgesellschaften eigentlich immer die Absurdität vorherrscht, dass "Ungediente" es besser wissen als das doofe Fußvolk, die "Frontschweine"? Wie lächerlich! Was man der Leserschaft der "Jungen Freiheit" alles so zu bieten wagt. Und wieder einmal besonders auffallend, wenn dann ein Jürgen Elsässer mit solchen Augenwischern sich so herrlich versteht ... Aber all das nur nebenbei.

Jedenfalls: Wie kommt uns das alles doch so bekannt - und keineswegs "absurd" - vor. Das allseits beliebte "Wissensgefälle" von Geheimdiensten und Geheimgesellschaften. Jeder soll nur das wissen, was er zur Erfüllung speziell seiner Aufgabe benötigt ... Und Herr Weißmann sollte sich in seinem Leben noch nie in Lebensbereichen bewegt haben, in denen Wissensgefälle vorherrscht? Wer's glaubt, wählt Lucke, möchte man mal hier ein wenig burschikos sagen. Am Ende von solchem Wissensgefälle haben wir jedenfalls dann immer solche Dinge wie: NSU und RAF, Terrorismus hier und Terrorismus dort, Regierungsumsturz hier und Regierungsumsturz dort, Krieg hier und Krieg dort, Flüchtlingswellen hier und Flüchtlingswellen dort, Gutmenschentum hier und Gutmenschentum dort, Dunkelmenschentum hier und Dunkelmenschentum dort. Und keiner war's gewesen. Keiner.

Das ist ja der springende Punkt. Sondern Bönhard, Tschäpe und Mundlos waren es. Oder Lee Harvey Oswald. Oder Siegfried Nonne. Oder das deutsche Volk. Oder Adolf Eichmann. Schuldige müssen natürlich - mitunter - genannt werden. Sonst wird die Unruhe zu groß. Sonst kämen ja auch noch Leute wie Werner Best - also Freunde Ernst Jüngers - vor Gericht. Na, das wollen wir ja dann doch verhindern!

Nachdem wir jedenfalls diese Absätze aus der Weißmann-Besprechung zitiert haben, können wir den Anlass nutzen, den genannten, bislang unveröffentlichten Blogbeitrag aus dem Jahr 2012 hier folgen zu lassen. Er beinhaltet eine Art Zusammenfassung von vielen disparaten, verteilten Bloginhalten aus früheren Jahren, sowie ihre gedankliche Weiterführung, indem auf das Wirken des elitären Salons Salinger ab dem Jahr 1927 hingewiesen wird.

Hielscher - Jünger -Schmitt - Die intellektuelle "Reservearmee" der Wallstreet, des Vatikans und asiatischer Geheimorden für den Fall eines erfolgreichen deutschen Militärputsches gegen Hitler und seinen Krieg?

Was die reale und faktische politische Bedeutung von Friedrich Hielscher und seines Kreises betrifft, muss man beachten, dass weite Kreise innerhalb Deutschlands und in den Führungsetagen der anderen Großmächte für das Jahr 1932 ziemlich sicher einen neuen Weltkrieg erwarteten. Bei kaum jemanden werden diese geradezu religiösen Erwartungen eines neuen Krieges, ja, sein Herbeisehnen so deutlich wie bei Friedrich Hielscher und der Bibel seines Freundeskreises, seiner "Kirche", nämlich in seinem Buch "Das Reich" aus dem Jahr 1931. 

Die Kreise, die mit dem Ausbruch dieses Krieges an die Macht zu kommen hofften und glaubten, waren eben jene "nationalrevolutionären" Kreise der "Neuen Nationalisten", die spätestens mit der Reichskanzlerschaft des Kurt von Schleicher und mit seinen Querfront-Konzepten ihre politischen Ideale hatten verwirklichen wollen.

Von der "Schwarzen Front" (1930) über die "Harzburger Front" (1931) und die "Querfront" (1932) zur "Geheimen Front" (1933/34)

Es waren dies - neben anderen - die Kreise rund um den "Deutschen Herrenklub" (dem unter anderem Franz von Papen angehörte) und mehr wohl noch rund um den "Tatkreis", der von Hans Zehrer geleitet wurde. Werner Best hinwiederum hat damals wohl eher dem Herrenklub nahe gestanden. Seine Freunde Friedrich Hielscher, Ernst Jünger und andere standen dem Tatkreis nahe. Man verteilte sich, um überall einsatzbereit zu sein, um überall die "Eisen im Feuer" zu haben. Es wird hier auch viele Überschneidungen gegeben haben. In beiden Kreisen glaubte man - wie Hitler und die Nationalsozialisten - mit einer neuen "Herrenschicht" "Das Reich" oder "Das Dritte Reich" oder "Das Dritte Reich und die Kommenden" (nämlich die östlichen Buddhisten) schaffen zu können.

Insbesondere glaubten die mehr intellektuellen Kreise um Salinger, Zehrer, Hielscher, Best (Alexander Rüstow, Carl Schmitt ...) die mehr als proletenhaft empfundene NSDAP am langen Arm von der Macht entfernt halten zu können, bzw. zugleich doch auch ihre Machtstellung ausnutzen zu können und sie nach und nach "einbinden" zu können für die eigenen elitären, totalitären, priesterdiktatorischen ("theokratischen"), ordensartigen Zwecke. (Die Organisation des Staates selbst "als Orden", als totalitäre "[Einheits-]Kirche" und Priesterhierarchie ist der hier vorherrschende faschistische Grundgedanke. Und dies ist auch der faschistische Grundgedanke des zeitgleichen Julius Evola in Italien.)

Als dann all diese Pläne für so viele so plötzlich und überraschend Ende Januar 1933 mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler "zunächst" einmal fehlgeschlagen waren, machten sich viele weiterhin Hoffnungen auf eine "Geheime Front" (so der "Jungdeutsche Orden", der "Bund der Guten" unter Kurt Paehlke, die Strasser-Brüder und andere) (vgl. Franz Wegener / Weishaar und der Bund der Guten). Auch zu diesem Zweck schon war es gut, sich in Positionen im neuen Staat hinein zu schieben oder diese Positionen zu behalten und auszubauen.

Einige blieben auf der Strecke ...

Die länger vorbereiteten Morde des "Röhm-Putsches" vom 30. Juni 1934 scheinen genau gegen diese "Geheime Front" und damit zum Teil auch gegen die vormalige Schleicher-Strasser(-Röhm[?])'sche "Querfront"-Politik gerichtet gewesen zu sein, die die NSDAP also offenbar immer noch fürchtete und brutalst einzuschüchtern bestrebt gewesen ist. Auch die Querfront-Intellektuellen selbst wären im Falle ihrer Machtübernahme vor ähnlichen Maßnahmen nicht zurückgeschreckt (siehe die Hielscher-Bibel "Das Reich"). Weshalb diese Morde von dieser Seite auch nur "kalt" registriert, bzw. "kalt"-enthusiastisch gerechtfertigt wurden (Carl Schmitt), quasi als eines der vielen "notwendigen" "Stahlgewitter" des weitergehenden "Dreißigjährigen Krieges". Nur dass "Proleten" "Edle" mordeten, war für die nationalrevolutionären Herrenschicht-Kreise womöglich ein Problem. Nicht jedoch, dass sie überhaupt mordeten.

Nach dieser endgültigen Entmachtung der rechtselitären Nationalrevolutionäre und "Neuen Nationalisten" durch den "Röhm-Putsch" setzten Friedrich Hielscher, Ernst Jünger, Friedrich Wilhelm Heinz, Carl Schmitt und andere dann endgültig in der Weiterverfolgung ihrer Ziele auf die Unterwanderung von Partei und SS durch die eigenen Leute. Dabei waren sie nicht zimperlich. - Aber was wollten sie dabei? Was hatten sie mit der "Querfront"-Regierung unter von Schleicher denn gewollt?

Für Carl Schmitt endete die "Unterwanderung" schon im Oktober 1936. Werner Best wurde 1940 in Nebenpositionen abgedrängt, behielt aber nicht geringe Macht in Frankreich und Dänemark bis 1945. Friedrich Hielscher und zahlreiche Freunde hielten sich im Umfeld des "Ahnenerbes" und konnten sogar einen Schüddekkopf - und wohl zahlreiche andere - ins Reichssicherheitshauptamt schieben.

Aber eigentlich haben sie alle außen- und kriegspolitisch nichts anderes gewollt als die NSDAP, nur dass eben jetzt die "proletarischere" NSDAP - und nicht sie selbst (also die vorgeblich "Intelektuelleren", "Überlegeneren", "Abgehobeneren", "Konspirativeren"), am Ruder waren. Wenn sie also in der Folge das Dritte Reich unterwanderten und gerne auch - im Zusammenwirken mit den Geheimdiensten unter Canaris und Best - die Kriegsbemühungen zunächst (bis 1940) anfeuerten und dann (ab 1940) dosiert sabotierten, so nicht etwa deshalb, weil sie die Verwirklichung der als bürgerlich-spießerhaft empfundenen demokratischen, rechtsstaatlichen Prinzipien im Dritten Reich vermissten, beziehungsweise weil sie etwa - Spaß beiseite!: "bürgerlich-spießerhaft" - seine Mordmoral verurteilen würden. 

Nein, nein, keineswegs. Sondern schlicht weil sie insgesamt selbst nicht jene Macht in Besitz hatten, von der sie zumindest bis Ende 1932 fast sicher geglaubt hatten, dass diese ihnen zufallen würde und deshalb auch zukommen müsse. Schlicht deshalb, weil der oberste religiöse Führer Adolf Hitler hieß - und nicht Friedrich Hielscher (oder Kurt Paehlke). Dieses ganze Intrigenspiel wurde bis 1945 weitergespielt und nach 1945 dann als "Widerstand" verkauft. Einige blieben auf der Strecke (Gerhard von Tevenar 1943, Kurt Paehlke 1945, Albrecht Haushofer 1945, Wolfram von Sievers 1946 ...). Andere hievten sich nach 1945 in neue Machtpositionen: Friedrich Wilhelm Heinz als erster Geheimdienstchef Adenauers. Andere sollten noch lange nach 1945 von ihren Auftraggebern ans Messer geliefert werden (vermutlich): Rudolf Diehl etwa.

Umstürzlerische Tendenzen im "Salon Salinger" seit 1927?

Schon im "Salon Salinger", der etwa seit 1927 bestand, hatte die politische Polizei der Weimarer Republik gefährliche Umsturz-Tendenzen vermutet (a):
Der jüdischstämmige Hans Dieter Salinger, Beamter im Reichswirtschaftsministerium und Redakteur der „Industrie- und Handelszeitung“, versammelte hier einen bunt zusammengewürfelten Kreis um sich. Neben Hielscher sind hier Ernst von Salomon, Hans Zehrer, Albrecht Haushofer, Ernst Samhaber oder Franz Josef Furtwängler, die rechte Hand des Gewerkschaftsführers Leipart, zu nennen.
Der Bombenleger Ernst von Salomon wurde im Dezember 1927 nach nur "symbolischer" Haft aus dem Zuchthaus entlassen (1, S. 889):
Am Tage seiner Entlassung lernt er Friedrich Hielscher kennen, der ihn mit dem Wirtschaftsexperten Hans Dieter Salinger in Kontakt bringt. (...) Außerdem trifft er Hans Zehrer, Dr. Erwin Topf, Albrecht Haushofer, Ernst Samhaber und Franz Joseph Furtwängler. Alle zusammen bilden den "Salon Salinger".
Und darüber heißt es weiter (1, S. 893):
Es waren meistens Journalisten (Salinger, Zehrer, Topf) junge Wissenschaftler (Haushofer, Samhaber), Privatgelehrte vom Schlage Friedrich Hielschers und Gewerkschaftler wie Furtwängler. Die Tätigkeit dieses "Salons" war nichts anderes, als jeden Freitag bei Salinger zusammen zu kommen, um über die unterschiedlichsten Dinge zu debattieren. (...) Es war dieser "Salon" eben nicht ein Verschwörernest, wie die "politische" Polizei der Republik annahm, wo konkreter umstürzlerische Pläne geschmiedet wurden und mit Dynamit konkretisiert wurden.
Aber eben doch ...:
 ... Alles zusammengenommen eine politisch hochbrisante Gruppierung, die zu allem imstande schien.
Verneinende Bejahung nennt man das. Oder wie? Jedenfalls: Auch der Schriftsteller Alfred Bronnen, der trotz all seiner Bemühungen die proletarierhaften Nationalsozialisten nicht von seiner "arischen" Herkunft überzeugen konnte, tummelte sich in diesem Kreis (2, S. 423):
Das Phänomen Bronnen indes hatte eine große Anzahl von Freunden in Bogumils (= F. Hielschers) Wohnung gelockt. Hans Dieter Salinger, der mittlerweile auch den wirtschaftspolitischen Teil des "Vormarsch" betreute, saß seiner Gewohnheit gemäß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Sofa, Hans Zehrer (...), Otto Strasser war in Begleitung von Herbert Blank (...) erschienen, (...) Samhaber war da, Friedrich Georg Jünger, der Bruder von Ernst, und natürlich eine Anzahl von Jünger-Jüngern, die zu Füßen des Meisters kauerten.
Man kann auch sagen, diese Kreise blieben auch nach 1934 "in Bereitstellung" für den Fall, dass - z.B. - ein eher unerwarteter aber dennoch nicht unmöglicher Militärputsch "nationalkonservative Intellektuelle" gebrauchen sollte. So weit kann man sicherlich gehen, wenn man ihre "Widerstands"-Tätigkeit definieren wollte. Ob ein Militärputsch gegen Hitler etwa im Jahr 1938 oder später - der ja immer vor allem der Kriegsvermeidung oder Kriegsbeendigung hätte dienen sollen (also der schlimmstmögliche Fall für das Weltbild eines Friedrich Hielscher und damit sicherlich auch eines Jünger) - mit solchen "nationalrevolutionären Intellektuellen" nicht auf geradestem Wege von "dem Regen in die Traufe" geführt worden wäre, steht deshalb noch lange dahin.

Bereitstellung für einen - unerwarteteren - Militärputsch

Vielleicht wurden diese Kreise auch nur deshalb als "Widerstand" in "kritischer Distanz" zum Regime gehalten, um im Falle eines Militärputsches unter anderem Gewand völlig identisch auf der Linie weitermachen zu können, auf der man bis dahin jeweils schon mit Hitler und Konsorten marschiert war. Oberstes Leitziel musste ja bleiben, dass der Dreißigjährige Krieg Hielschers und Churchills den "Untergang des Abendlandes" zu vollenden hätte. - "So oder so".

Nach 1945 konnten sich Jünger, Schmitt und Hielscher in der beruhigenden Sonne wärmen, dass es ja "zum Glück" insgesamt doch noch ohne ihr direktes Eingreifen so weit gekommen war, wie es sowieso hätte kommen sollen und müssen. Zumindest gemäß den ideologischen, gesellschaftlichen Selbstmordprogrammen, die sie in ihren Köpfen herumwälzten.

So konnten die Hielscher, Jünger, Best, Schmitt und Konsorten ihren Lebensabend verbringen, sei es beleidigt (Schmitt), "großsegnieurhaft" (Jünger), die SS-Vergangenheitsbewältigung dirigierend (Best), kleinkariert an "Kirche" bastelnd (Hielscher). Auf jeden Fall waren es langwieirig sich hinziehende Lebensabende, die noch heute ganze Heere von Schreiberlingen in der Aufarbeitung dieser Lebensabende auf Trab hält. Von der großen Bühne des Weltgeschehens waren sie abgetreten, sie wurden kaum noch gebraucht und gaben zu diesem dementsprechend mehr oder weniger nur noch ihre griesgrämlichen, nichtssagenden und verhüllenden Kommentare ab.
____________________________________________
  1. Am Zehnhoff, H.W.: Der Fall Ernst von Salomon. Aktionen und Standortbestimmung eines preussischen Anarchisten in der Weimarer Republik. In: Revue belge de philologie et d'histoire, Année 1977, Volume 55, Numéro, 55-3, pp. 871-896
  2. Aspetsberger, Friedbert: Arnolt Bronnen. Biographie. Böhlau, Wien u. a. 1995 (Google Bücher)

Sonntag, 13. September 2015

Katastrophen - in Talkshows kleingeschwätzt

... sagt Didi Hallervorden

Man kann sich dumm und dusselig suchen nach dem Text des neuen Liedes von Didi Hallervorden, das gerade in den Nachrichten erörtert wird. Leider ist die Melodie ein Ohrwurm. Der Text aber weist einen sehr weiten Horizont auf, jedenfalls einen weiteren, als man das bislang einem Blödelheini wie Didi Hallervorden zugetraut hätte. Muss man erst 80 werden und alles in trockenen Tüchern haben, bevor man offen spricht?

Der Text ist im folgenden nach dem Hören zusammen gestellt, abgeglichen und ergänzt mit dem Text anderer, die - dankenswerterweise - mehr Geduld beim Zuhören hatten.
Ihr macht mir Mut in dieser Zeit
es tut einfach gut, dass ihr hier seid.
1. Tja, wenn ich auf euch zählen kann,
Denn allein in diesen Zeiten
gegen Lügenprofis fighten,
fühlt man sich oft ganz beschissen,
dann war es gut, euch nah zu wissen.
Denn als ich am Boden war,
Leute, da wart ihr nur da.
In dieser durchgeknallten Welt
die allein kein Schwein aushält,
wart ihr mehr als nur ein Publikum
Dieses Lied sing ich für euch darum.
Ihr macht mir Mut in dieser Zeit,
es tut einfach gut, dass ihr hier seid. 
2. Aids beherrscht halb Afrika
Gummis sind zu teuer da
Wer auf Krankheit spekuliert,
der macht den besten Schnitt.
Täglich Tote im Irak,
ISIS plant 'nen neuen Schlag
Kleinanleger spielen an der Börse wieder mit.
Israel macht Mauerbau
SED-Ideenklau!
Waffenhandel, Drohnenmord
sind der Schlager im Export.
Und kein Rüstungsspekulant
hat je 'n Willy Brandt gekannt.
Faule Griechen ohne Dank
an die gute Deutsche Bank.
Saudipanzer bringen Geld,
was die Arbeitsplätze hält.
Wenn's in'n Nahen Osten geht,
dann aus Solidarität.
So stehts in der Zeitung drin,
die zeigt auch mir, wie klein ich bin.
Ihr macht mir Mut in dieser Zeit,
es tut einfach gut, dass ihr hier seid. 
3. Saurer Regen, was war das?
Tschernobyl? Da war doch was?
Über alle Strahlen muss jetzt Gras gewachsen sein.
Rieseneisberg kippt ins Meer,
da müssen schnell fünf Talkshows her.
So zerbröselt und zerschwätzt man Katastrophen klein.
Ölpest droht in Kanada
Hurrican auf Cordoba,
Kiwizucht auf Hiddensee
Kuba hat den ersten Schnee.
...zu Profit
Nestle macht da gerne mit
Springflut ... und Taifun
hab'm mit Treibhaus nix zu tun.
So stehts in der Zeitung drin,
was glauben die, wie doof ich bin?
4. Wenn die Börse wieder kracht,
ewig bleibt die Bankenmacht
willst du'n offenes Wort riskier'n
Spekulanten kritisier'n
hängt'n Shitstorm gleich an dir
Magste den Netanjahu nit
biste schnell Antisemit.
Supercoole Rufmordprofis,
für die sind wir alle Doofis.
Immer eilen, nicht lang feilen,
geil auf geile Totschlag-Zeilen.
Kurz bevor ich hundert bin
geht kein Flug mehr nach Berlin
oder nur'n Milliardengrab
schafft die Bahn den Fahrplan ab?
... und Parteigezank
Autos bau'n se, Gott sei Dank.
Darf der Snowden in das Land?
- Bloß nicht in den Zeugenstand!
NSA, was hört ihr Ferkel
ab im Schlafzimmer von Merkel?
So wird Freiheit neu bedacht
auch vom BND bewacht.
Du musst, siehst du das nicht ein,
antiamerikanisch sein.
Nur wer rutscht auf seinen Knie'n,
dem hat die USA verzieh'n.
So stehts in der Zeitung drin,
was glauben die denn, wie blöd wir sind?
Ihr macht mir Mut in dieser Zeit,
es tut einfach gut, dass ihr hier seid. 
5. Ja, ja, ihr fragt mich jetzt
was tust denn du
ok, ok, ich gebs ja zu
klar, allein mit so 'nem Gesang
is nix Großes anzufang'n.
Doch nach dem Zusammensingen
könnt man mehr zusammenbringen.
Alt ists, sich mit sich bequemen.
Jung ist, sich was vorzunehmen.
Didi Hallervorden ist nur ein Jahr jünger als mein Vater. Medienkritik aus dem Mund von Didi Hallervorden. Besser später als nie! Weiter so! - Ergänzung: Der verdienstvolle KenFM hat inzwischen ein wertvolles Interview mit Dieter Hallervorden geführt aus Anlass der Veröffentlichung dieses Liedes. Hallervorden hat sich am Ende für das Gespräch bedankt und seine Freude über weitere, ähnliche zum Ausdruck gebracht.

Zur Gestaltung von Feierstunden innerhalb der Familie und darüber hinaus

Einiges Grundsätzliche aus Anlass der Beerdigung meines Vaters

Viele Menschen trauen es sich nicht zu - und damit dann auch anderen nicht -, am Grab nächster Angehöriger die Grabrede zu halten.

Das kommt natürlich daher, daß man sich in den christlichen Völkern in den vielen letzten Jahrhunderten daran gewöhnt hat, Pfarrer und christliche Rituale für einen solchen Anlaß zu haben, und daß viele Menschen es sich noch heute nicht so recht vorstellen können, daß eine so ernste Feier wie die Totenfeier vornehmlich von engsten Familienangehörigen gestaltet werden könnte oder gar sollte.

Finden sie denn dazu überhaupt die Kraft? Sollten sie an sich den Anspruch haben, mit der Ruhe und Gelassenheit von dem Tod ihres nächsten Angehörigen zu sprechen, wie sie doch für einen solchen Anlaß überhaupt nur angemessen wären?

Wenige stellen sich eine solche Frage schon vor dem Tod eines nahen Angehörigen ausreichend ernst genug, um dann, wenn ein solcher Fall eintritt, auch ausreichend darauf vorbereitet zu sein. Viele sind es aber auch schlichtweg nicht geübt und gewohnt, vor einer Gruppe von Menschen zu sprechen, die über den engsten Rahmen der Familienangehörigen hinaus geht.

Ich selbst würde zu dieser Frage zunächst sagen, daß es einen Unterschied macht, ob es sich um einen erwartbaren Alterstod im höheren Alter handelt oder ob ich es von mir hätte erwarten können, in jungen Jahren zum Tod des anderen am meisten geliebten jüngeren Menschen im eigenen Leben zu sprechen. Da ich letzteres - zum Glück - nicht erlebt habe, kann ich darüber auch nur wenig sagen. Wenn man aber bedenkt, wie wenig man schon endgültige Trennungen (Scheidungen und ähnliches) unter Lebenden mitunter verkraftet, so möchte man doch in der bejahenden Beantwortung einer solchen Frage sehr zurückhaltend sein.

"Regeln"?

Ich damit jedenfalls gesagt sein soll, ist, daß es natürlich überhaupt nichts dagegen zu sagen gibt, wenn es nicht gerade engste Familienangehörige sind, die die Grabrede für einen Verstorbenen halten. Falls denn überhaupt eine solche gehalten werden soll. Es muß halt einfach dem echtesten Gefühl der betroffenen Menschen selbst entsprechen. Warum sollten da Regeln aufgestellt werden?

Die hier geäußerte Einstellung hat sich heute ja auch schon sehr weitgehend in unserer Gesellschaft durchgesetzt, so daß sie hier nicht noch länger erläutert werden muß. Wir sind damit weit hinaus gekommen über die Einstellungen, die bis in die 1950er Jahre hinein in den christlichen Völkern der Nordhalbkugel vorherrschend waren. Erinnert mag auch werden daran, daß schon vor acht Jahren auf unserem Blog Begeisterung darüber zum Ausdruck gebracht worden war, wie souverän und so durch und durch vorbildlich der Atlantik-Überquerer Charles Lindbergh sich auf seinen Tod und seine Beerdigung vorbereitet hat (Studium generale, 05/2007).

Auch die Philosophin Mathilde Ludendorff (1877-1966), auf die wir in verschiedenen Zusammenhängen hier auf dem Blog schon zu sprechen gekommen sind, war bezüglich solcher Einstellungen ihrer Zeit weit voraus. Es sind das ja auch alles Fragen, über die man sich im Umkreis der heutigen Kirchenfreien, der Humanisten und Evolutionären Humanisten, die in der Tradition von Giordano Bruno, Charles Darwin, August Weißmann und Ernst Haeckel stehen - so wie Mathilde Ludendorff -, mancherlei Gedanken macht (GA-j! 07/2015).

Da mein Vater Mathilde Ludendorff sehr verehrte, habe ich in den letzten Tagen mitunter noch einmal ein wenig gelesen, was sie und was der von ihr gegründete "Bund für Gotterkenntnis" über das Thema der Gestaltung von Feierstunden innerhalb der Familie und darüber hinaus so geschrieben haben (1, 2). Neben manchem, was aus einem ganz anderen Geist der Zeit heraus da so geschrieben steht, findet sich doch auch vieles, das man noch heute für sich übernehmen kann.

Mathilde Ludendorff spricht den Stolz, die Kraft und die Stärke jener Menschen an, die sich vom Christentum frei gemacht haben, und die sich auf dem Weg befinden, zu der freien und auch in religiösen Dingen sehr selbständigen Lebenshaltung unserer heidnischen, germanischen Vorfahren zurück zu kehren, bzw. an diese anzuknüpfen. Das ist nachvollziehbar. Ich möchte hier nur, um einen Eindruck zu geben, weniges von dem zitieren, was sie darüber schreibt, wie sie sich das Leben unserer heidnisch-germanischen Vorfahren in dieser Hinsicht vorstellte und es damit auch als vorbildlich für moderne Zeiten hinstellte (1, S. 9-11):

Ganz herzerfrischend natürlich und selbstverständlich war ihr Feiern und Freuen und erschütternd gemütstief und innerlich war ihr Bedürfnis, über das Gotterleben auch an dem Feiertag zu schweigen. (...) Wenn in der feierlichen Versammlung der Sippengenossen der Vater dem neugeborenen Kinde den Namen eines von allen geehrten Ahnen gab, so bedurfte es hierbei keiner langen Reden, der Klang des Namens allein in dieser feierlichen Versammlung brachte den Elten den Ernst ihres Amtes voll zum Bewusstsein. Das Kind, das nun in die Sippenfolge der Geschlechter durch diese Namengebung aufgenommen war, zu einem dieses Namens würdigen Menschen zu erziehen, war ihnen selbstverständlich. Mit Predigten und langen Gebeten und Ritualen (...) hätten sie nichts anzufangen gewusst. (...)
Wenn am Tage der Eheschließung die Eltern in der feierlichen Versammlung der Sippe schlicht und innig dem jungen Paar die Mahnung mit auf den gemeinsamen Lebensweg gaben:
"Haltet heilig euer Heim!"
so bedurfte es zum seelentiefen Erleben dieses hohen Tages keiner weiteren Worte und keines Priestersegens. Noch viel weniger bedurfte es feierlicher Treuegelübde, um der freiwilligen Gemeinschaft für das ganze Leben Dauer und Halt zu verleihen. Nein, solche Gelübde wären eine Entweihung der freiwilligen Treue gewesen.
Wenn endlich Verwandte und Freunde die Totenbahre umstanden und der Sippenälteste vortretend die Worte durch die Halle rief:
"Helge, der Tapfere, ist tot."
So war kein Wunsch nach weiteren Worten oder Priestersegen, auch nicht nach Freundespreisen, um die Feier zu erhöhen. Schweigend, wussten sie, erlebt sich Schmerz und Totenehrung tiefer und weit innerlicher.

"Anerzogene Unmündigkeit in der Feiergestaltung"

Edmund Reinhard, der zweite Vorsitzende des "Bundes für Gotterkenntnis", schrieb zu Weihnachten 1958 als Vorwort zu dem damals herausgegebenen Band über "Sippenfeiern" (2, S. 9f):

Gotterkenntnis wird erst dann als ein Volksgut Segen wirken können, wenn Deutsche mehr und mehr eigene Wege in ihren Feiern gehen. Bei weitem nicht alle Sippen, in denen unser Geistesgut lebendig ist, gehen eigene Wege, und sehr viele Menschen, welche innerlich dem Christentum und der Kirche entfremdet sind, wagen nicht, aus der Kirche auszutreten, weil sie sich einfach nicht vorstellen können, ihren Feiern selbst die Weihe zu geben. Es gehört Mut dazu, aus der anerzogenen Unmündigkeit herauszufinden; Selbstvertrauen muss wachsen, um hier mündig zu werden. (...)
Wenn sich auch die Worte nicht zu einer wohlgeformten Festrede formen wollen, so können ein paar einfache, schlichte Worte Gleiches bewirken. Nur eines ist nötig: Aus dem Herzen müssen sie kommen, dann werden sie auch zu Herzen gehen.

Das ist doch ermutigend ausgedrückt. Ja, es bedarf auch heute noch, über 50 Jahre nachdem diese Worte niedergeschrieben worden sind, solcher Ermutigung, solchen Wachsens von Selbstvertrauen, solcher Sehnsucht nach Mündigkeit. Als wir unserem Vater vor zwei Tagen die Feierstunde gehalten haben zu seiner Beerdigung, glauben wir auch, hierbei wieder ein wenig mündiger geworden zu sein, mehr Selbstvertrauen gewonnen zu haben, gewachsen zu sein - und damit auch aufgeklärter geworden zu sein im Sinne der schönen Worte Immanuel Kants ("Was ist Aufklärung?"). Denn die Aufklärung ist - obwohl das viele gerne so hätten und viele andere dementsprechend gar nicht merken und sehen - noch lange nicht zu Ende!

Wie in dem Blogartikel von vor drei Tagen schon angeklungen war, haben sich Menschen im Umkreis von Alfred Mechtersheimer und des "Ostpreußenblattes" schon vor 20 Jahren Gedanken gemacht zu der Frage "Wie ruiniert man einen Staat?" Und sie haben als Antwort auf ein solches besorgniserregendes Geschehen geäußert:

Zur Abwehr dieser Gefahren forderte der Redner eine gewaltfreie deutsche Volksbewegung, die ein neues Bewusstsein und ein geistiges Kraftfeld schaffen könne. Impulse dazu müssten von einer intellektuellen Minderheit ausgehen. Entscheidend für den Erfolg sei eine gemeinsame Synthese aus Religion und Nationalbewusstsein.

Mein Vater hätte zu diesen Worten gesagt, wenn er sie denn damals oder später gelesen hätte: Was fragt ihr denn noch, was sucht ihr denn noch? Diese "Synthese aus Religion und Nationalbewusstsein" liegt doch schon lange vor. Sie trägt den Namen des bedeutendsten Hintergrundpolitikkritikers der Geschichte weltweit. Seht sie Euch doch an, die Philosophie von Mathilde Ludendorff. Nun, noch heute mögen solche Worte fremd hineinklingen in eine materialistische und volksvergessene Zeit, in der eine Lügenpresse auch rund um eine deutsche, naturwissenschaftsnahe Philosophin wie Mathilde Ludendorff eine unendlich hohe Mauer des Schweigens gezogen hat.

Wenn jedenfalls eine solche "Synthese", deren Notwendigkeit ja auch an so vielen anderen Orten gesehen wird, endlich einmal Sinn machen soll, dann muss sie von den einzelnen Menschen nicht nur gefordert, sondern auch in allen Abschnitten ihres Lebens mit Inhalt gefüllt werden. Und wann, wenn nicht dann, wenn die großen Feierstunden ihres Lebens statthaben? - - -

Synthese zwischen Religion und Nationalbewusstsein muss gelebt werden

Die Stunden der seelischen Wachheit, die durch den Tod eines Menschen ausgelöst werden innerhalb einer Gemeinschaft, sei es der Familie, sei es einer Dorfgemeinschaft, sei es eines Freundeskreises - wäre es nicht schade, wenn diese nur in der Einsamkeit jedes einzelnen erlebt werden? Wenn man sich - gerade in solchen Stunden - nicht der gegenseitigen Anteilnahme versichert innerhalb einer Gemeinschaft? Wenn das Erlebnis des Zusammenhalts in solchen Stunden nicht die Gemeinschaften auch als solche anginge und bestärken würde?

Unser Vater traute es jedenfalls unserer Familie zu, dass wir seine Grabfeier selbständig und aus eigener Kraft würden feiern können. Und auf seinen Wunsch hin haben denn auch meine Schwester und ich ihm dementsprechend vorgestern die Grabrede gehalten, haben die Enkelkinder ihm Musikstücke gespielt, haben ihm alle Anwesenden Volkslieder gesungen wie "Im schönsten Wiesengrunde" und erklang die Trompete eines Freundes, als sein Sarg in die Erde hinab gelassen wurde. Es erklang die Melodie jenes Liedes, das auch 1949 aus Anlass der Verabschiedung des Grundgesetzes von den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates - anstelle einer Nationalhymne - gesungen wurde (Wiki). Sein Text lautet:

Ich hab mich ergeben
Mit Herz und mit Hand,
Dir Land voll Lieb’ und Leben
Mein deutsches Vaterland!
Mein Herz ist entglommen,
Dir treu zugewandt,
Du Land der Frei’n und Frommen,
Du herrlich Hermannsland!
Lass Kraft mich erwerben
in Herz und in Hand,
zu leben und zu sterben
fürs deutsche Vaterland!
            Ferdinand Maßmann 
___________________________________________________
  1. Ludendorff, Mathilde: Sippenfeiern - Sippenleben. Eine Sammlung von Aufsätzen. Ludendorffs Verlag, München 1939 (11.-13. Tsd.) (6.-10. Tsd.: 1937) (Archive.org)
  2. Deutsche Sippenfeiern. Wege zu ihrer Selbstgestaltung. Hrsg. vom Bund für Gotterkenntnis (L) e.V.. Bearbeitet von Dirk Hansen, Krista Lutz und Irmgard Keller. Verlag Hohe Warte, Pähl 1959 

Samstag, 12. September 2015

Dem Andenken meines Vaters

Zwei Gedichte zum Andenken an einen der treuesten Leser und Unterstützer dieses Blogs

In diesem Blogbeitrag sollen einmal zwei wenig bekannte und sicherlich auch bis heute wenig beachtete Gedichte, die einem in den letzten Tagen als bemerkenswert aufgefallen sind, veröffentlicht werden. Zwei Gedichte zu sehr unterschiedlichen Themen.

Abb.: Als Landwirtschaftsgehilfe, etwa 1953
Sie sollen dem Andenken an meinen Vater gelten, der, wie berichtet, am 2. September 2015 mit 81 Jahren gestorben ist, und den wir gestern unter Anteilnahme vieler Menschen begraben haben.

Das erste Gedicht passt womöglich ganz gut auch auf die heutige Lage unseres Volkes, dem die Anteilnahme meines Vaters gehörte.
Der neue Weg
Du bist - mein Volk - durch manche Not geschritten,
Und warst im Unglück immer wahrhaft groß,
Du hast gekämpft, gehungert und gelitten,
Der Drang nach Freiheit war dein Schicksalslos.
Doch selten nur hast du im Sieg gefunden,
Worum du Blut und Opfer dargebracht,
Und tausendfach ward dir der Lohn entwunden
Von seelenlosen Hörigen der Nacht.
Heut weißt du - Volk - um jene dunklen Mächte,
Die deine Seele fesselten ans Leid -
Nun hol dir wieder deine heil'gen Rechte
Und schreite frei in eine neue Zeit.
                                                  Erich Limpach
Über die "seelenlosen Hörigen der Nacht" ist gerade auch hier auf diesem Blog in den letzten Jahren viel geschrieben worden, was auch mein Vater mit Aufmerksamkeit zur Kenntnis nahm. Dabei ist insbesondere auch auf das Wirken Erich und Mathilde Ludendorffs als frühe Kritiker satanistischer, völkischer Okkultlogen hingewiesen worden. Der Dichter Erich Limpach war einer der frühen Anhänger und "Mitkämpfer" dieser beiden Satanismus-Kritiker.

Auch das zweite Gedicht, das hier eingestellt werden soll, stammt von einem solchen frühen Anhänger und langjährigen engen Mitarbeiter Erich und Mathilde Ludendorffs. Es stammt von dem Schriftleiter ihrer Wochenzeitung, bzw. ihrer Halbmonatsschriften: Karl von Unruh. Dies ist der ältere Bruder seiner jüngeren und bekannteren Schriftsteller-Brüder Fritz von Unruh und Friedrich Franz von Unruh. Auch dieses Gedicht ist in den 1930er Jahren entstanden.

Und in diesem Gedicht findet sich viel, was man auch beim Tod meines Vaters erleben konnte.
Nun kam der Tod ...
Mein alter Freund -
Nun kam der Tod mit starken gütigen Händen
und schloss zu ewigem Schlummer deine Augen.
Im Raum, den eben noch qualvollen Atems Laut erfüllte,
herrscht Totenstille.
Bleich, reglos liegst du auf den weißen Kissen.
Und während ich in heilger Ehrfurcht
der Majestät des Todes tief ins Antlitz schaue,
vollendet er sein Werk. Mit zarter Hand
entfernt er alle Spuren deines Kampfes
und glättet deine Züge,
legt dir ein leises Lächeln um die Lippen
und gibt dem Antlitz stolze Kraft zurück.
Straff reckt sich deine aufrechte Gestalt -
und als der Künstler scheidet,
liegst du vor mir stark, gütig, schön -
ein Bild unendlicher Erhabenheit.

Donnerstag, 10. September 2015

Menschen, die sich zwischen 1945 und 1989 für die Wiedervereinigung Deutschlands eingesetzt haben

Zu der Biographie des politischen Journalisten Richard E. Sperber (1921-2000)

Als ich mich in den letzten Monaten mit dem Leben meines Vaters beschäftigte und seine alten Briefe durchsah, stieß ich auch auf den Brief eines Journalisten Richard E. Sperber (1921-mind. 2000) aus Michigan/USA. Und zwar vom 5. Dezember 1963. Diesen Journalisten hatte ich bis zu diesem Sommer gar nicht gekannt. Mein Vater hatte von ihm und seinem Brief nie erzählt. Richard E. Sperber war die Wiedervereinigung Deutschlands Zeit seines Lebens wie im folgenden dargestellt werden soll ein ebenso großes Anliegen wie meinem Vater. Und aus dieser Gemeinsamkeit heraus war der Brief geschrieben worden wie ich dann noch in einem weiteren Beitrag berichten will.

Hier aber soll es um Richard E. Sperber gehen. Meinem Vater war damals, 1963 - lange vor den Zeiten des Internets und beruflich eingespannt wie er damals war - und wohl auch danach bis zu seinem Lebensende gar nicht wirklich bewusst geworden, wer ihm da als Richard E. Sperber geschrieben hatte. Denn sonst hätte er ihn sicher einmal gesprächsweise erwähnt. Wenn ich also im folgenden von Richard E. Sperber berichte, setze ich damit gewissermaßen das Gespräch mit meinem Vater fort über seinen Tod hinaus. Aber natürlich macht es Sinn, an Richard E. Sperber zu erinnern auch ganz unabhängig von meinem Vater. Sonst würde in diesem Blogbeitrag nicht die Rede von ihm sein.

Abb. 1: Wahlkampfplakat der SPD, 1949
(Bundesarchiv)
Im folgenden soll das an Auskünften zusammen gestellt werden, was ein erster Überblick in Form von Internetrecherchen über das Leben dieses Richard Sperber ergibt. Aus ihnen wird erkennbar, dass es auch Sinn machen könnte, sich mit Richard E. Sperber gründlicher zu beschäftigen, als es in dem folgenden Überblick geschehen kann. Wie erkennbar werden wird, haben das offenbar auch schon allerhand Historiker, Hobbyhistoriker und pensionierte Alt-„68er“ getan aus unterschiedlichen Perspektiven heraus. Insbesondere auch Menschen aus der ehemaligen DDR und aus dem ehemaligen Westdeutschland, die sich noch heute mit den sehr konkreten und handlungsnahen Plänen beschäftigen, die es innerhalb der deutschen Friedensbewegung westlich und östlich der Elbe vor 1989 gegeben hat für eine Wiedervereinigung Deutschlands. Und zwar in Form eines „dritten Weges“, also neutral von Ost und West, sowie als Friedensgarant in Europa und der Welt.

Man taucht in so eine ganz andersartige Welt ein, wenn man sich nur so wenige Jahrzehnte in der Geschichte Deutschlands von heute aus gesehen zurückbewegt. Fast ist einem ja noch - aufgrund seiner ideologischen Allgegenwärtigkeit - das Dritte Reich innerlich "näher" als diese 1950er Jahre in der Geschichte Deutschlands. Und daran mag auch erkennbar sein, welche rasanten Entwicklungen sich gerade gegenwärtig in Deutschland vollziehen.

Jedenfalls: Mein Vater verehrte Mathilde Ludendorff (1877-1966) und las die Zeitschriften der Ludendorff-Bewegung. Mathilde Ludendorff legte ihren Lesern in den 1950er Jahren immer und immer wieder bis zu ihrem eigenen Tod nachhaltig und warm ans Herz, sich unermüdlich und ohne zu erlahmen für die Wiedervereinigung Deutschlands einzusetzen. Und Wiedervereinigung hieß in den 1950er Jahren noch – quer über alle deutschen politischen Parteien hinweg (s. Abb. 1): einschließlich des Memellandes, Ostpreußens, Westpreußens, Danzigs, Pommerns und Schlesiens. Und für diese Wiedervereinigung setzte sich auch mein Vater ein und deshalb war Richard E. Sperber auf ihn aufmerksam geworden.

Alpha-Journalist“ in den deutschsprachigen Medien der USA

Richard E. Sperber war, wie man Internetrecherchen entnehmen kann, gebürtiger Nürnberger. Wie er in die USA gekommen ist, wird zunächst nicht erkennbar. Vielleicht gibt es ja auch noch irgendwo eigenhändig verfasste Lebenserinnerungen dieses Richard Sperber? Jedenfalls war er spätestens 1952 Deutschland-Redakteur der großen amerikanischen Tageszeitung „Cleveland Plain Dealer“ in Cleveland (Ohio). Er wurde auch Chefredakteur und Herausgeber weiterer deutschsprachiger Zeitungen und Zeitschriften in den USA.

In einem Lebensbericht über ihn heißt es1 (wobei es hier nur um die Sachinformationen geht, nicht um die politischen Zusammenhänge, in denen diese 1991 veröffentlicht wurden):
Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR ergriff Sperber mit Hilfe des US-Kongressabgeordneten Charles J. Kersten eine Initiative für die Wiederherstellung der deutschen Einheit, die zur einstimmigen Annahme einer gemeinsamen Resolution beider Häuser des amerikanischen Kongresses führte. Darin wurde das Recht des deutschen Volkes, in einem vereinten Staat zu leben, durch die USA ausdrücklich anerkannt. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher hat Sperbers Verdienst um das Zustandekommen dieser Resolution in einem Schreiben im Jahr der deutschen Einigung lobend gewürdigt.
Als Vorsitzender des von ihm in Chicago gegründeten „Amerikanischen Rates für die Wiedervereinigung Deutschlands“ entwarf Sperber einen „Generalplan“ zur Wiederherstellung der deutschen Einheit, der von mehreren US-Senatoren, darunter dem späteren Präsidenten John F. Kennedy, gutgeheißen wurde.
Über die Aktion von 1953 wurde auch noch einmal 1994 berichtet2. An anderer Stelle heißt es3:
Mehrere Jahre lang fungierte er auch als Programmdirektor des von dem Rundfunkproduzenten William L. Klein geleiteten „Germania Broadcast“, des ältesten deutschen Radioprogramms in Amerika.

Juni 1957 - „Generalplan“ zur Wiedervereinigung Deutschlands

Im Juni 1957 gründete er als erster Vorsitzender den „Amerikanischen Rat für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit“. In dieser Eigenschaft sollte er 1963 auch an meinen Vater schreiben. Über diesen „Rat“ (englisch „council“) wurde schon zeitgleich 1957 im „Ostpreußenblatt“ berichtet. Das ist die bis heute weiterbestehende große deutsche Vertriebenenzeitung, zu der Richard E. Sperber, wie wir noch sehen werden, offenbar bis zu seinem Lebensende ein herzliches Verhältnis beibehielt. Ihr Chefredakteur war ab 1967 der schätzenswerte Autor Hugo Wellems, der zugleich Freimaurer war (zumindest einer Tempelherrenordens-artigen Organisation angehörte - ob im übrigen auch Richard E. Sperber Freimaurer war oder freimaurerähnlichen Organisationen angehörte, was angesichts seiner Biographie nicht gänzlich unwahrscheinlich sein muss, ist zunächst nicht bekannt)4:
Der „Amerikanische Rat für die Wiedervereinigung Deutschlands“, eine private Organisation amerikanischer Bürger deutscher Herkunft, die vor einiger Zeit in Chikago gegründet wurde, legte vor einigen Tagen eine längere Denkschrift vor, die sich mit den Fragen der deutschen Wiedervereinigung und der europäischen Sicherheit befasst. Der Vorsitzende des Rats, Richard E. Sperber, der den sogenannten „Generalplan für die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit“ der amerikanischen Regierung und dem Kongress zuleitete, erklärte vor Pressevertretern, seine Organisation habe eigentlich erwartet, dass die deutsche Bundesregierung bei der Viermächtearbeitsgruppe für die Wiedervereinigung oder während des Adenauer-Besuches in Washington von sich aus einen konkreten Wiedervereinigungsplan vorlegen werde. Da das jedoch nicht erfolgt sei, habe sich seine Organisation verpflichtet gefühlt, einen eigenen Plan auszuarbeiten. Der acht längere Punkte umfassende „Generalplan“ ist insgesamt über zehn Schreibmaschinenseiten lang.
Zusammen mit dem Kongressabgeordneten Caroll Reece sprach sich Richard E. Sperber auch als Gegner der Oder-Neiße-Linie aus und forderte, dass Deutschland in den Grenzen von 1937 wieder errichtet werden müsse. Deshalb wurde er vom „Milwaukee Journal“ - schon damals - als „Unruhestifter“ angegriffen. Das Ostpreußenblatt berichtete5:
Der „Amerikanische Rat für die Wiedervereinigung Deutschlands“ (American Council for the Reunification of Germany) hat durch seinen Vorsitzenden Richard Sperber dem „Milwaukee Journal“ einen Offenen Brief übersandt, in dem er die Vorwürfe der Unruhestiftung ganz energisch zurückweist.
Der Bericht wird ergänzt durch die Mitteilung:
Die „Gesellschaft der Freunde Kants“ in Göttingen (früher Königsberg) hat den amerikanischen Abgeordneten Dr. jur. B. Carroll Reece in Würdigung seiner Verdienste um die Vertretung des Rechtsgedankens im Sinne der Kantischen Philosophie zu ihrem ordentlichen Mitglied ernannt. Der amerikanische Abgeordnete hat, wie wir berichteten, in seinen Reden vor dem amerikanischen Repräsentantenhaus wiederholt auf die Bedeutung der Universität Königsberg und des Lebenswerks Immanuel Kants für die abendländische Kultur hingewiesen und daraus Forderungen für die Deutschlandpolitik der amerikanischen Regierung abgeleitet.
In was für absurd ferne Zeiten taucht man hier ab! Dies war also eine politisch durchaus einflussreiche deutsch-amerikanische Vereinigung, die sich in den USA für die Wiedervereinigung Deutschlands einsetzte und einen Friedensvertrag für Deutschland forderte6.

1958 hat Richard E. Sperber für sein journalistisches Wirken in den USA die „Eichendorff-Gedenkmünze für seine Verdienste um die Pflege und Verbreitung der deutschen Sprache“ erhalten, in diesem Fall als Mitherausgeber der „Abendpost und Sonntagpost Chicago“. So wurde es in den damaligen „Mitteilungen des Instituts für Auslandsbeziehungen“ berichtet7.

1960 – Ostpreußen und Schlesien sind ein Teil Deutschlands

Als der amerikanische Präsidentschaftskandidat Nixon in der Öffentlichkeit so verstanden wurde, als hätte er sich für die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie ausgesprochen, protestierte Sperber im Jahr 1960 energisch8:
Auch der Herausgeber der vielgelesenen deutschsprachigen „Abendpost“ in Chicago, Richard Sperber, hat sich wie viele andere deutschsprachige Blätter der USA in einem energischen Protestschreiben an die republikanische Partei und an Nixon gewandt. Er erklärt, die Äußerungen Nixons in Buffalo seien in den USA wie auch in anderen Ländern so verstanden worden, dass der Präsidentschaftskandidat die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als endgültige Grenze zwischen Deutschland und Polen befürwortet habe. Wenn diese Interpretation richtig sei, dann werde damit jeder Grundsatz, für den Amerika bis heute in seiner Geschichte eingetreten sei, verletzt, darunter auch die Atlantik-Charta.

Ab 1965 – Rückkehr nach Deutschland

In dem schon eingangs zitierten Lebensbericht heißt es über das weitere Leben von Richard E. Sperber:
1965 in die Bundesrepublik zurückgekehrt, war Sperber bei mehreren westdeutschen Tageszeitungen als Redakteur und bei der FDP als Pressereferent tätig.
Nach dem Nachrüstungsbeschluss der NATO von 1979 schloss Sperber sich der Friedensbewegung an und kämpfte damals gegen die Stationierung der „Pershing 2“-Atomraketen auf deutschem Boden. (Diese wurden bekanntlich 1989 demontiert.)
Als Sprecher des „Initiativkreises Friedensvertrag“ trug Richard Sperber mit seinen drei Friedensvertrags-Entwürfen wesentlich zur Diskussion innerhalb der Friedensbewegung und der Partei „Die Grünen“ bei. Seine Entwürfe zielten darauf ab, durch eine friedensvertragliche Regelung zwischen den vier Alliierten und den beiden deutschen Staaten zwei bündnislose, von fremden Truppen freie, souveräne, defensiv bewaffnete deutsche Staaten zu bilden, die sich dann konföderativ verbinden könnten.
Ganz grob und im Vorgriff auf weitere Studien wird man sagen können, dass sich ein Richard E. Sperber in solchen Dingen mit einem Rudi Dutschke sehr hätte verstehen müssen. Als Rudi Dutschke jedenfalls zu den „Grünen“ ging, war es ihm um die Zusammenarbeit mit solchen Menschen wie Richard E. Sperber zentral zu tun (wie Gretchen Dutschke in ihren Erinnerungen berichtete). Und als wie brisant offenbar in Geheimdienstkreisen eine solche Zusammenarbeit von Rudi Dutschke mit diesen Kreisen und als wie abträglich ihren Zielen diese eingeschätzt wurde, mag man daran erkennen, dass Rudi Dutschke 1979 sehr überraschend in der Badewanne ertrunken ist. Da auch Uwe Barschel – offiziell – in der Badewanne ertrunken ist und angesichts der langen Geschichte des politischen Mordes in der westlichen Welt und in Russland darf man hinter den Tod Rudi Dutschkes im Jahr 1979 heute sehr, sehr viele Fragezeichen setzen. Bekanntlich wäre das ja auch nicht der erste Mordanschlag auf Rudi Dutschke gewesen.

Über Richard Sperber würde man sicher noch vieles in der Literatur finden, wenn man gründlicher recherchieren würde9. Über sein folgendes Leben können hier vorerst nur noch bruchstückartige Ausschnitte referiert werden, insbesondere anhand von Google-Bücher-Zitaten (die zumeist nicht vollständig zitiert werden können). 1985 heißt es in der „Antimilitarismus Information“10:
Stärker ins Detail geht der „Initiativkreis Friedensvertrag“ um den Publizisten Richard Sperber mit seinem Entwurf eines solchen Vertrags: BRD und DDR werden zwei neutrale, defensiv gerüstete Staaten, West-Berlin unter den Schutz von ...
1987 wird in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“11 erwähnt:
früher oder später auf ein neues Gesamtdeutschland hinauslaufen. Als Ausgangspunkt dient meist der „Dritte Friedensvertragsentwurf“ des rechtsneutralistischen Publizisten Richard Sperber und seines „Initiativkreis Wiedervereinigung“. ...
1987 wird in den „Studies in German Democratic Republic Culture and Society“ berichtet:
A recent case in point is the account by Richard Sperber, a moving force behind the West German „Initiativkreis Friedensvertrag“, of a discussion „mit einem prominenten DDR- Journalisten und mit zwei Dozenten des „Instituts für Internationale ...
In einem im gleichen Jahr erschienenen Buch heißt es12:
A parallel document drawn up by one of the signatories of the Memorandum, Richard Sperber, sets out the possible provisions of a German Peace Treaty. It is available in an English translation from Initiativkreis Friedensvertrag, Elsterweg 2, 3008 Garbsen 9.

Nach 1989 - "Synthese aus Religion und Nationalbewusstsein"

1990 heißt es im Buch eines Wiedervereinigungs-Gegners (klar doch, die deutsche Geschichte hat alles zu bieten aus der Rappelkiste des Irrsinns!) - wobei dann auch gleich der Tonfall ein ganz anderer wird13:
Die Idee der Konföderation war politisch tot, sieht man von dem randständigen neofaschistischen Schenke-Kreis ab. Erst Anfang der 80er Jahre wurde er von den neofaschistischen Nationalrevolutionären wieder aus der Kiste gezogen: von Schenke in der „Neuen Politik“, von Wolfgang Venohr (dem alten Schenke-Mitstreiter aus den 60er Jahren), der wie Theodor Schweisfurth oder Richard Sperber (dem alten Schenke-Mitstreiter aus den 50er Jahren) im nationalrevolutionären Umfeld an völkerrechtlichen Konföderationsvorschlägen arbeitete, von Peter Brandt und Herbert Ammon in ihrem Faschisten und Linke umarmenden Dokumentenband „Die Linke und die nationale Frage“ von 1981.
1991 erschien der hier schon ausführlicher zitierte biographische Bericht über Richard Sperber in der von vielen Menschen als sehr „rechts“ eingeschätzten Zeitschrift „Wir selbst“14. 1993 dokumentiert die Ostberliner „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft“15 die Bemühungen Richard E. Sperbers in den 1950er Jahren. Sie bringt als „Dokument“:
Amerikanischer Entwurf für deutschen Friedensvertrag - Vorschläge des Wiedervereinigungsrates Chicago.
12. Februar. Der „Amerikanische Rat für die Wiedervereinigung Deutschlands“ verbunden mit der „Federation of American Citizens of German Descent Inc.“ hat in seiner gestrigen Sitzung den Entwurf eines Friedensvertrags für Deutschland einstimmig angenommen, der von dem Ratsvorsitzenden Richard E. Sperber ausgearbeitet und vorgelegt worden war.
Im Mai 1996 berichtet Richard Sperber im „Ostpreußenblatt“16 über einen Vortrag von Alfred Mechtersheimer (geb. 1939) zum Thema „Wie ruiniert man einen Staat?“. Am Ende des Artikels werden sehr ungewöhnliche, bzw. besser sehr aufgeweckte Gedanken geäußert:
Zur Abwehr dieser Gefahren forderte der Redner eine gewaltfreie deutsche Volksbewegung, die ein neues Bewusstsein und ein geistiges Kraftfeld schaffen könne. Impulse dazu müssten von einer intellektuellen Minderheit ausgehen. Entscheidend für den Erfolg sei eine gemeinsame Synthese aus Religion und Nationalbewusstsein.
Dieser letzte Gedanke – eine „Synthese aus Religion und Nationalbewusstsein“ wird auch in einer Zwischenüberschrift hervorgehoben. Er ist aber vom christlichen „Ostpreußenblatt“ und von vielen anderen deutschen „Nationalbewussten“ offenbar bis heute nicht nachhaltig weiterverfolgt worden.

Im Oktober 1998 reiste Richard E. Sperber mit einer deutschen Delegation zur „Woche der unterdrückten Völker“ nach New Jersey, USA, zur "Captive Nations Week". Und er hielt dort eine Rede17:
Als letzter Redner kam der Leiter der deutschen Gruppe, Richard E. Sperber, zu. Wort.
In seiner Rede bezichtigte er anhand von Worten von Michael Gorbatschow Hans Dietrich Genscher der Lüge, wenn letzterer gesagt hatte, die Wiedervereinigung der alten mit den neuen Bundesländern von 1990 wäre nur durch den Verzicht auf Schlesien, Pommern und Ostpreußen erreicht worden. Auch protestierte er dagegen, dass Deutsche sich nicht auf polnischem Staatsgebiet niederlassen dürfen und dort auch nicht ihr Eigentum zurück erhalten. Noch mindestens bis zum Jahr 2000 war Richard E. Sperber journalistisch tätig und berichtete über Zuwanderungsprobleme in der Schweiz18.
2006 fragte dann die „Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik“19:
Wer kennt noch Richard Sperber, der einen Friedensvertragsentwurf für Deutschland bereits im August 1983 der Öffentlichkeit vorstellte. (…) Auch mit Blick auf die Würdigung Richard Sperbers und des Initiativkreises Friedensvertrag könnte ...
Und so unvollständig wie dieses Zitat muss vorläufig auch dieser Lebensbericht Richard E. Sperbers bleiben. All diese Bemühungen früherer Generationen für eine gedeihliche Fortentwicklung Deutschlands generieren einem derzeit zur „Farce“, wenn man nur noch fassungslos die gegenwärtige Einpeitschung der Abschaffung Deutschlands durch Massenzuwanderung beobachtet.

Eines wird man wohl fast sicher sagen können. Lebte Richard E. Sperber heute noch, er würde sicher zustimmen, wenn heute auf Plakaten in Dresden auch in seinem Geiste steht:
Wir sind der Mut,wir tragen die Fackel
der Freiheit
ins deutsche Land.
Sei auch Du
der Mut.

(Leider ist vorderhand keine Fotografie von Richard E. Sperber über das Internet erreichbar.)

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1Ein Leben für die Einheit Deutschlands. Publizist Richard Sperber wurde 70 Jahre alt. In: Wir selbst - Zeitschrift für nationale Identität 2/1991, S. 39, http://wir-selbst.de/wp-content/uploads/2014/02/Wir_selbst_1991_02.pdf
2Edelmann, Josef: Dem Volk zu seinem Recht verhelfen. 1953 sprach sich der US-Kongress für die Einheit der Deutschen aus. In: Das Ostpreußenblatt, 19.11.1994, S. 5, http://archiv.preussische-allgemeine.de/1994/1994_11_19_46.pdf
3Weißenburger, E. Leo: Vor der eigenen Türe kehren. In: Das Ostpreußenblatt, 24.5.1997, S. 2, http://archiv.preussische-allgemeine.de/1997/1997_05_24_21.pdf
4Generalplan für Wiedervereinigung. Vorschläge einer privaten deutsch-amerikanischen Organisation. In: Das Ostpreußenblatt, 22. 6. 1957, S. 2, http://archiv.preussische-allgemeine.de/1957/1957_06_22_25.pdf
5Mißglückte Attacke gegen Reece. „Die Oder-Neiße-Gebiete sind und bleiben deutsch“, In: Das Ostpreußenblatt, 17.8.1957, S. 2, http://archiv.preussische-allgemeine.de/1957/1957_08_17_33.pdf
6Sperber, Richard E.: Wie kann Deutschland wieder vereinigt werden? Chicago/USA 1957 (20 S.); Sperber, Richard E.: Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit. In: Nation Europa, 8. Jg., März 1958, Heft 3, S. 17ff; Sperber, Richard E.: Amerika und die deutsche Frage. (Memorandum) In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Heft 4, 1958, S.; Sperber, Richard E.: Disengagement – Voraussetzungen und Konsequenzen. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Heft 11, 1958, S.; Sperber, Richard E.: Das ganze Deutschland soll es sein! Bericht von einer Deutschlandsreise mit Dokumentation. Verl. Ostdt. Heimatzeitungen, Tauberbischofsheim/Baden 1959 (47 S.); Deneke, J. F. Volrad; Sperber, Richard E.: Einhundert Jahre Deutsches Ärzteblatt - Ärztliche Mitteilungen 1872 – 1972. Deutscher Ärzte Verlag, Lövenich / Kreis Köln, 1973 (111 S.)
7laut der „Mitteilungen des Institutes für Auslandsbeziehungen“ (Okt-Dez, 1958), http://www.archive.org/stream/universityofilli1113univ/universityofilli1113univ_djvu.txt
8Amerika-Deutsche an Nixon! Ernste Fragen bis heute nicht befriedigend beantwortet. In: Das Ostpreußenblatt, 12.11.1960, S. 2
9Erste Hinweise (im folgenden fast alles nach Google Bücher): Schmige, Georg: Das bundesdeutsche Kartenhaus. Holsten-Verlag, 1969 (170 S.), S. 140f; Laboor, Ernst: Der Rapacki-Plan und die DDR. Die Entspannungsvision des polnischen Außenministers Adam Rapacki und die deutschlandpolitischen Ambitionen der SED-Führung in den fünfziger und sechziger Jahren. Fides, 2003 (322 S.), S. 188
10Antimilitarismus Information, Bd. 15, 1985, S. 16
11In: Blätter für deutsche und internationale Politik, Band 32, 1987, S. 219
12Alternative Defence Commission: The Politics of Alternative Defence. A Policy for a Non- Nuclear Britain. Paladin, Grafton Books, 1987 (399 S.)
13Kratz, Peter: Die nationalrevolutionäre Connection. Gaddafi - Mechtersheimer – Schönhuber. Quellen und rotgrüne Querverbindungen neofaschistischer Deutschland-Vereiniger. Bonn 1990, http://www.bifff-berlin.de/Gadganz.htm
14Ein Leben für die Einheit Deutschlands. Publizist Richard Sperber wurde 70 Jahre alt. In: Wir selbst - Zeitschrift für nationale Identität 2/1991, S. 39, http://wir-selbst.de/wp-content/uploads/2014/02/Wir_selbst_1991_02.pdf
15Dokument: Amerikanischer Entwurf für deutschen Friedensvertrag - Vorschläge des Wiedervereinigungsrates Chicago. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1993, S. 235
16Sperber, Richard: „Wie ruiniert man einen Staat?“ In: Das Ostpreußenblatt, 18.5.1996, S. 2
17R.E.S. (also Richard E. Sperber): Die Opfer kommunistischer Regime nicht vergessen. In: Das Ostpreußenblatt, 31.10.1998, S. 44, http://archiv.preussische-allgemeine.de/1998/1998_10_31_44.pdf
18Sperber, Richard E. (upd): Schweiz zieht die Notbremse. Wer ohne Papiere ist, wird interniert. In: Das Ostpreußenblatt, 1.7.2000, S. 5

19In: Gerbergasse 18 - Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik, 2006, S. 39

Mittwoch, 9. September 2015

Mein Vater

(1934 bis 2015)

Mein Vater ist vor einer Woche, am 2. September  2015, gestorben. Wie vielleicht sonst nur wenige hat er inneren Anteil genommen an den Anliegen, die hier auf den Blogs vertreten werden. Deshalb soll ihm, seinem Leben und seinen Anliegen ruhig einmal ein Beitrag hier auf dem Blog gewidmet werden. Oder auch mehrere.

Abb. 2: Mit seiner Mutter, etwa 1941

Er wird übermorgen begraben. In Vorbereitung auf die Beerdigung kommen einem viele Gedanken. Man findet Gedichte, die man früher nie beachtet hat. Vielleicht wird hier nach und nach einiges, was einem wertvoll erscheint, noch eingestellt werden.

Abb. 2: Als Landwirtschaftsgehilfe, etwa 1953

Wir leben aus den Menschen, denen wir unsere Existenz verdanken. Wenn solche Menschen sterben, wird einem das wesentlich bewußter, als es einem das war, solange sie noch lebten.

Abb. 3: Unterwegs mit einer Jugendgruppe, 1960

Was wir sind, verdanken wir unseren Eltern. 

Abb. 4: Das erste Auto, 1964

Und wenn es Dinge gibt, die wir bejahen können unter all dem, was man ist, ist das Sterben eines Elternteils fast eine Art vorweggenommenes eigenes Sterben. Jedenfalls kommt man dem eigenen Tod wesentlich näher als noch beim Tod der Großeltern.

Abb. 5: um 1964

Ein Teil der aufgewühlten Gefühle, die man aus einem solchen Anlaß hat, sollen in diesem Blogbeitrag verarbeitet werden, indem zunächst einfach ein paar Fotos aus seinem Leben zusammengestellt werden.

Abb. 6: Die Feier der Verlobung meiner Eltern, Anfang 1965 in Salzburg

Wie Goethe möchte ich sagen "Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt." Über seinen Vater zu erzählen, heißt zugleich viel über sich selbst zu erzählen. Ich stelle hier einige Bilder ein, die ich schon seit längerer Zeit, in der mein Vater dement geworden war, allmählich zusammen gesammelt habe aus alten Familienalben.

Abb. 7: Auslieferungsfahrer für Vorlo in Hannover, um 1965

Mein Vater wurde 1934 in Brandenburg an der Havel geboren und ist auf einem Bauernhof in der dortigen Gegend aufgewachsen. Er hat bis 1958 in der Landwirtschaft gearbeitet. Danach war er als Milchkontroll-Assistent weiterhin in der Landwirtschaft tätig und hat Bauernhöfe in Westfalen abgefahren. Schließlich hat er bis 1961 als Büromensch in der Landwirtschaftskammer in Bonn gearbeitet.

Abb. 8: Mit dem ersten Kind im Georgengarten in Hannover, Mai 1966 

Infolge der Kriegs- und Nachkriegszeit hatte er nur eine ganz ungenügende Schulbildung, sich aber zeitlebens für eine weite Spanne von geistigen Themenbereichen interessiert. Sein Leben bestand aus einem lebenslangen Lernen, aus einem bis ins hohe Alter fortgesetzten geistigen Austausch mit Menschen, die ihm diesbezüglich wichtig waren. Und von diesen gab es sehr viele. Er interessierte sich insbesondere für Politik, für Vorgeschichte, Geschichte, Zeitgeschichte und weltanschauliche Fragen. Also für ganz ähnliche Themen wie sie auf meinen Blogs behandelt werden. Daran ist schon erkennbar, wie sehr ich durch meinen eigenen Vater geprägt worden bin und wie viel von seinem Erbgut in mir fortexistiert.

Abb. 9: Mit dem ersten Kind, August 1966 in Salzburg

Einer seiner Lieblingsschriftsteller in seinen Altersjahren war der Sozialdemokrat August Winnig (1878-1956) (Wiki). Von diesem hat er wohl in seinen Altersjahren fast alle Bücher nach und nach antiquarisch erworben. Und er hat gerne auch eine interessierte Zuhörerschaft an seinen Lesefrüchten Anteil nehmen lassen. Auf Abbildung 3 lauscht er schon 1960 den Worten eines alten Lehrers, der einer Jugendgruppe auf einer Wanderung wohl gerade etwas über Vorgeschichte erzählt. (So stelle ich es mir zumindest vor nach dem, was er über jene Zeit so erzählt hat.)

Abb. 10: Mit dem ersten Kind, August 1966 in Salzburg

Meine Mutter lernte mein Vater, obwohl er Norddeutscher war, in den Bergen, in den Alpen kennen. Sie war Österreicherin und kam aus Zell am See. Er holte sie 1965 zu sich nach Hannover, wo sie anfangs mit ihrem österreichischen Dialekt manche Heiterkeit hervorrief.

Abb. 11: Der LKW meines Vaters mit Werbung für Eden-Margarine, 1979

Noch heute sind wir amüsiert, wenn sie mit einer ihrer Schwestern telefoniert und dabei ganz selbstverständlich in den österreichischen Dialekt verfällt. In unserer Familie heißen Pfannkuchen deshalb auch Palatschinken. Seit 1961 arbeitete mein Vater als Verkaufsfahrer, zunächst im Blumengroßhandel in Bonn, Köln und Hannover, danach für die Getränkefirma Vorlo in Hannover und in Barbis im Harz.

Schließlich leitete er ab 1972 ein Auslieferungslager für die Belieferung von Reformhäusern in ganz Nordhessen mit Margarine, Rote-Beete-Saft, Sauerkraut, Tee und Müsliriegeln.

Abb. 12: Mit unserem Haflingerfohlen Lilofee, unserem Bullenkälbchen und unserem Hund Astor, 1981

Als Auslieferungsfahrer mit einem eigenen Lager (vor dem er auf Abb. 12 steht), das er selbständig führte und in dem er Frau Rhode, unsere Sekretärin, seinen Schwager Jochen und noch einen weiteren Lagerarbeiter beschäftigte, hat er viel arbeiten müssen, sein ganzes Leben. Gerne hat er einen Spruch gesagt - aber noch viel mehr gelebt, von dem ich gerade nur die letzten Zeilen in Erinnerung habe, der da aber lautete:

Arbeitsfreude ist von Nöten
die ist göttlich - nicht das Beten!

Oft war ich mir im Zweifel, ob er wirklich nur arbeitete, um zu leben, oder ob er lebte, um zu arbeiten. Ich habe ihn dafür oft kritisiert, natürlich ohne Erfolg. Er lebte die Arbeitsmoral der Generation des Wirtschaftswunders.

Abb. 13: Einer der beiden 7,5-Tonner meines Vaters auf unserem Hof (ein Fiat), etwa 1981

In den Jahren des Wirtschaftswunders und bis zur Aufgabe seines Betriebes 1990 hat er allerdings als Auslieferungsfahrer keineswegs im Niedriglohnbereich gearbeitet wie das heute wahrscheinlich der Fall wäre. Nein, er hat gut verdient. So daß unsere Eltern uns vier Kindern eine großzügige Kindheit auf dem Dorf in einem alten Fachwerkpfarrhaus mit großem Garten, Scheune und vielen Tieren (s. Abb. 6) ermöglichen konnten.

Viele Jahre prangten auf den 7,5-Tonnern meines Vater anstelle der Werbung für Eden Margarine in gleicher Größe Aufkleber wie "Atomkraft? - Nein danke!". Denn meine Eltern waren auf Regionalebene Mitbegründer der grünen Bewegung in Nordhessen und der Partei die Grünen in Hessen (anfangs der GLU, der Grünen Liste Umweltschutz). Freilich sind sie aus der Partei "Die Grünen" bald ausgetreten, nachdem darin Leute wie Joschka Fischer darin das Sagen bekommen haben und Leute wie Gerd Bastian, Petra Kelly oder Rudi Dutschke plötzlich tot waren.

Abb. 14: Aufbau von Verkaufsständen in den neuen Bundesländern, etwa 1991 oder 1992

Nach der Wiedervereinigung gab mein Vater sein Auslieferungslager auf und wurde Vertreter für die Firma Eden in den neuen Bundesländern. Er half dort, die Reformhäuser wieder aufzubauen und auf "Westniveau" zu bringen. Der "Besserwessi" also.

Manche Reformhaus-Inhaber waren ihm aber auch dankbar, wenn er ihnen Ware zurück nahm, die sie aus ihrer großen Unerfahrenheit anfangs in viel zu großen Mengen bestellt hatten, und auf der sie sonst sitzen geblieben wären.

Abb. 15: An einem Verkaufsstand in denen neuen Bundesländern, etwa 1991 oder 1992, vielleicht in Zwickau

Von den politischen Anliegen und Absichten her war mein Vater ein Revolutionär wie Rudi Dutschke. Das kann vielleicht in weiteren Blogbeiträgen noch genauer erläutert werden. Hier zunächst nur einmal so viel: Die Größe eines Menschen ergibt sich nicht daraus, wie viel Erfolg ein Mensch in seinem Leben hatte, wie viele Menschen ihn kennen. Oder gar: Wie viele Fernsehauftritte er hatte. Und was es da an Maßstäben sonst noch so geben möge.

Die Größe eines Menschen ergibt sich aus dem, für was dieses Menschenleben stand oder für was es steht. Und das Leben meines Vaters stand für viel. Es stand für das Überleben und fruchtbare Gedeihen gewachsener Volkskulturen weltweit. Es stand für eine Weltanschauung und Hintergrundpolitikkritik, die diesem Überleben und Gedeihen neuen Freiraum geben möchte. Ebenso wie das in ähnlicher Weise auch für seinen einstigen Parteifreund Rudi Dutschke gegolten haben mag.

Abb. 16: Im Rentenalter auf dem Bauernhof der Vorfahren ... (um 1995)

Gerade auch aus diesem Grund könnte über meinen Vater noch viel gesagt werden. Es kann sein, daß die Leserschaft dieses Blogs davon nicht verschont werden wird. - - - Aber für heute sei abgebrochen. Nur noch ein Gedicht zum Abschluß.

Saat
Aber dies alles wird Saat,
und es ist nicht wahr,
daß nur der rasende Tod
über die Erde kam.
Einst, an einem Morgen,
wenn das schneeige Leichentuch
hinschmolz im Frühling,
stehn wohl Kreuze im Feld,
und über schmerzlichen Hügeln
dampfen schweigende Nebel.
Aber dies alles ist Saat.
Und eine erste Lerche
singt wie einst sich zur Sonne,
lobt das heilige Leben
und preist die Wonne der jungen Welt.
Alles ist Saat.
Alles, das hinsinkt in Nacht,
schickt seine Kraft ins All.
Über die Kreuze
wuchern noch Rosen,
über den Hügeln
weichen die Nebel aus Menschentränen.
Dann kommt ein großes Wissen:
wofür dies alles war,
und ein weinend, lachend Gebet
wagt zu danken:
Denn dies ist das Reich
und die Kraft
und die Herrlichkeit.
                             Hans Schmidt-Kestner (1892-1915)
                                                        (Wiki)

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